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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Woldemar erfuhr am andern Morgen aus Zeitungs¬
telegrammen, daß der sozialdemokratische Kandidat, Feilen¬
hauer Torgelow, im Wahlkreise Rheinsberg-Wutz gesiegt
habe. Bald darauf traf auch ein Brief von Lorenzen
ein, der zunächst die Telegramme bestätigte und am
Schlusse hinzusetzte, daß Dubslav eigentlich herzlich froh
über den Ausgang sei. Woldemar war es auch. Er
ging davon aus, daß sein Vater wohl das Zeug habe,
bei Dressel oder Borchardt mit viel gutem Menschen¬
verstand und noch mehr Eulenspiegelei seine Meinung
über allerhand politische Dinge zum besten zu geben;
aber im Reichstage fach- und sachgemäß sprechen, das
konnt' er nicht und wollt' er auch nicht. Woldemar war
so durchdrungen davon, daß er über die Vorstellung
einer Niederlage, dran er als Sohn des Alten immer¬
hin wie beteiligt war, verhältnismäßig rasch hinwegkam,
pries es aber doch, um eben diese Zeit mit einem Kom¬
mando nach Ostpreußen hin betraut zu werden, das ihn
auf ein paar Wochen von Berlin fernhielt. Kam er
dann zurück, so waren Anfragen in dieser Wahlangelegen¬
heit nicht mehr zu befürchten, am wenigsten innerhalb
seines Regiments, in dem man sich, von ein paar In¬
timsten abgesehen, eigentlich schon jetzt über den unlieb¬
samen Zwischenfall ausschwieg.

Und in Schweigen hüllte man sich auch am Kron¬

Einundzwanzigſtes Kapitel.

Woldemar erfuhr am andern Morgen aus Zeitungs¬
telegrammen, daß der ſozialdemokratiſche Kandidat, Feilen¬
hauer Torgelow, im Wahlkreiſe Rheinsberg-Wutz geſiegt
habe. Bald darauf traf auch ein Brief von Lorenzen
ein, der zunächſt die Telegramme beſtätigte und am
Schluſſe hinzuſetzte, daß Dubslav eigentlich herzlich froh
über den Ausgang ſei. Woldemar war es auch. Er
ging davon aus, daß ſein Vater wohl das Zeug habe,
bei Dreſſel oder Borchardt mit viel gutem Menſchen¬
verſtand und noch mehr Eulenſpiegelei ſeine Meinung
über allerhand politiſche Dinge zum beſten zu geben;
aber im Reichstage fach- und ſachgemäß ſprechen, das
konnt' er nicht und wollt' er auch nicht. Woldemar war
ſo durchdrungen davon, daß er über die Vorſtellung
einer Niederlage, dran er als Sohn des Alten immer¬
hin wie beteiligt war, verhältnismäßig raſch hinwegkam,
pries es aber doch, um eben dieſe Zeit mit einem Kom¬
mando nach Oſtpreußen hin betraut zu werden, das ihn
auf ein paar Wochen von Berlin fernhielt. Kam er
dann zurück, ſo waren Anfragen in dieſer Wahlangelegen¬
heit nicht mehr zu befürchten, am wenigſten innerhalb
ſeines Regiments, in dem man ſich, von ein paar In¬
timſten abgeſehen, eigentlich ſchon jetzt über den unlieb¬
ſamen Zwiſchenfall ausſchwieg.

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[[265]/0272] Einundzwanzigſtes Kapitel. Woldemar erfuhr am andern Morgen aus Zeitungs¬ telegrammen, daß der ſozialdemokratiſche Kandidat, Feilen¬ hauer Torgelow, im Wahlkreiſe Rheinsberg-Wutz geſiegt habe. Bald darauf traf auch ein Brief von Lorenzen ein, der zunächſt die Telegramme beſtätigte und am Schluſſe hinzuſetzte, daß Dubslav eigentlich herzlich froh über den Ausgang ſei. Woldemar war es auch. Er ging davon aus, daß ſein Vater wohl das Zeug habe, bei Dreſſel oder Borchardt mit viel gutem Menſchen¬ verſtand und noch mehr Eulenſpiegelei ſeine Meinung über allerhand politiſche Dinge zum beſten zu geben; aber im Reichstage fach- und ſachgemäß ſprechen, das konnt' er nicht und wollt' er auch nicht. Woldemar war ſo durchdrungen davon, daß er über die Vorſtellung einer Niederlage, dran er als Sohn des Alten immer¬ hin wie beteiligt war, verhältnismäßig raſch hinwegkam, pries es aber doch, um eben dieſe Zeit mit einem Kom¬ mando nach Oſtpreußen hin betraut zu werden, das ihn auf ein paar Wochen von Berlin fernhielt. Kam er dann zurück, ſo waren Anfragen in dieſer Wahlangelegen¬ heit nicht mehr zu befürchten, am wenigſten innerhalb ſeines Regiments, in dem man ſich, von ein paar In¬ timſten abgeſehen, eigentlich ſchon jetzt über den unlieb¬ ſamen Zwiſchenfall ausſchwieg. Und in Schweigen hüllte man ſich auch am Kron¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. [265]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/272>, abgerufen am 29.03.2024.