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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Vierunddreißigstes Kapitel.

Unter den Hochzeitsgästen hatte sich, wie schon kurz
erwähnt, auch ein Dr. Pusch befunden, ein gewandter
und durchaus weltmännisch wirkender Herr mit gepflegtem,
aber schon angegrautem Backenbart. Er war vor etwa
fünfundzwanzig Jahren an der Assessorecke gescheitert und
hatte damals nicht Lust gehabt, sich ein zweites Mal
in die Zwickmühle nehmen zu lassen. "Das Studium
der Juristerei ist langweilig und die Carriere hinterher
miserabel" -- so war er denn als Korrespondent für
eine große rheinische Zeitung nach England gegangen
und hatte sich dort auf der deutschen Botschaft einzu¬
führen gewußt. Das ging so durch Jahre. Ziemlich
um dieselbe Zeit aber, wo der alte Graf seine Londoner
Stellung aufgab, war auch Dr. Pusch wieder flügge ge¬
worden und hatte sich nach Amerika hinüber begeben.
Er fand indessen das Freie dort freier, als ihm lieb war,
und kehrte sehr bald, nachdem er es erst in New-York, dann
in Chicago versucht hatte, nach Europa zurück. Und
zwar nach Deutschland. "Wo soll man am Ende leben?"
Unter dieser Betrachtung nahm er schließlich in Berlin
wieder seinen Wohnsitz. Er war ungeniert von Natur
und ein klein wenig überheblich. Als wichtigstes Er¬
eignis seiner letzten sieben Jahre galt ihm sein Übertritt
vom Pilsener zum Weihenstephan. "Sehen Sie, meine
Herren, vom Weihenstephan zum Pilsener, das kann

Vierunddreißigſtes Kapitel.

Unter den Hochzeitsgäſten hatte ſich, wie ſchon kurz
erwähnt, auch ein Dr. Puſch befunden, ein gewandter
und durchaus weltmänniſch wirkender Herr mit gepflegtem,
aber ſchon angegrautem Backenbart. Er war vor etwa
fünfundzwanzig Jahren an der Aſſeſſorecke geſcheitert und
hatte damals nicht Luſt gehabt, ſich ein zweites Mal
in die Zwickmühle nehmen zu laſſen. „Das Studium
der Juriſterei iſt langweilig und die Carriere hinterher
miſerabel“ — ſo war er denn als Korreſpondent für
eine große rheiniſche Zeitung nach England gegangen
und hatte ſich dort auf der deutſchen Botſchaft einzu¬
führen gewußt. Das ging ſo durch Jahre. Ziemlich
um dieſelbe Zeit aber, wo der alte Graf ſeine Londoner
Stellung aufgab, war auch Dr. Puſch wieder flügge ge¬
worden und hatte ſich nach Amerika hinüber begeben.
Er fand indeſſen das Freie dort freier, als ihm lieb war,
und kehrte ſehr bald, nachdem er es erſt in New-York, dann
in Chicago verſucht hatte, nach Europa zurück. Und
zwar nach Deutſchland. „Wo ſoll man am Ende leben?“
Unter dieſer Betrachtung nahm er ſchließlich in Berlin
wieder ſeinen Wohnſitz. Er war ungeniert von Natur
und ein klein wenig überheblich. Als wichtigſtes Er¬
eignis ſeiner letzten ſieben Jahre galt ihm ſein Übertritt
vom Pilſener zum Weihenſtephan. „Sehen Sie, meine
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[[392]/0399] Vierunddreißigſtes Kapitel. Unter den Hochzeitsgäſten hatte ſich, wie ſchon kurz erwähnt, auch ein Dr. Puſch befunden, ein gewandter und durchaus weltmänniſch wirkender Herr mit gepflegtem, aber ſchon angegrautem Backenbart. Er war vor etwa fünfundzwanzig Jahren an der Aſſeſſorecke geſcheitert und hatte damals nicht Luſt gehabt, ſich ein zweites Mal in die Zwickmühle nehmen zu laſſen. „Das Studium der Juriſterei iſt langweilig und die Carriere hinterher miſerabel“ — ſo war er denn als Korreſpondent für eine große rheiniſche Zeitung nach England gegangen und hatte ſich dort auf der deutſchen Botſchaft einzu¬ führen gewußt. Das ging ſo durch Jahre. Ziemlich um dieſelbe Zeit aber, wo der alte Graf ſeine Londoner Stellung aufgab, war auch Dr. Puſch wieder flügge ge¬ worden und hatte ſich nach Amerika hinüber begeben. Er fand indeſſen das Freie dort freier, als ihm lieb war, und kehrte ſehr bald, nachdem er es erſt in New-York, dann in Chicago verſucht hatte, nach Europa zurück. Und zwar nach Deutſchland. „Wo ſoll man am Ende leben?“ Unter dieſer Betrachtung nahm er ſchließlich in Berlin wieder ſeinen Wohnſitz. Er war ungeniert von Natur und ein klein wenig überheblich. Als wichtigſtes Er¬ eignis ſeiner letzten ſieben Jahre galt ihm ſein Übertritt vom Pilſener zum Weihenſtephan. „Sehen Sie, meine Herren, vom Weihenſtephan zum Pilſener, das kann

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. [392]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/399>, abgerufen am 18.04.2024.