Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Vater führte mich bis zur Thür, preßte
meine beiden Hände und sprach: "Gott muß es am
besten wissen, mein gutes Kind."

"Gott muß es am besten wissen!" wie oft habe
ich in ruhigeren Stunden dieses Wortes gedacht, das
so alltäglich verhallt, und doch das einzige ist, dessen
wir Menschen uns in unbegreiflichen Schickungen ge¬
trösten. Diese lebensgierige Natur, ohne Halt in der
Außenwelt, zügellos in der inneren, würde sie sich be¬
hauptet haben während der zwanzig Jahre des Ver¬
falls, welche der Spiegelfechterei von Valmy folgten,
bis zur tiefsten Schmach und hart an die Gränze der
Vernichtung? Würde sie ihre Kraft zusammengehalten
haben, für die büßende Mannesthat? Oder nach
welcher Richtung hin sie verschleudert und sich selbst
verloren? Gott hat es am besten gewußt, mein
braver Vater!

In dieser Stunde freilich da war Dein Trost¬
spruch mir ein Schall und ich hörte nur das eine
hoffnungslose todt, dahin was meiner Augen Licht und
meiner Seele Stolz gewesen. Aller Halt war ge¬
brochen, sobald ich -- endlich allein! -- die Treppe
erreicht hatte. Ich ließ mich auf die Stufen nieder¬
sinken, der Leuchter entglitt meiner Hand. So lag

Der Vater führte mich bis zur Thür, preßte
meine beiden Hände und ſprach: „Gott muß es am
beſten wiſſen, mein gutes Kind.“

„Gott muß es am beſten wiſſen!“ wie oft habe
ich in ruhigeren Stunden dieſes Wortes gedacht, das
ſo alltäglich verhallt, und doch das einzige iſt, deſſen
wir Menſchen uns in unbegreiflichen Schickungen ge¬
tröſten. Dieſe lebensgierige Natur, ohne Halt in der
Außenwelt, zügellos in der inneren, würde ſie ſich be¬
hauptet haben während der zwanzig Jahre des Ver¬
falls, welche der Spiegelfechterei von Valmy folgten,
bis zur tiefſten Schmach und hart an die Gränze der
Vernichtung? Würde ſie ihre Kraft zuſammengehalten
haben, für die büßende Mannesthat? Oder nach
welcher Richtung hin ſie verſchleudert und ſich ſelbſt
verloren? Gott hat es am beſten gewußt, mein
braver Vater!

In dieſer Stunde freilich da war Dein Troſt¬
ſpruch mir ein Schall und ich hörte nur das eine
hoffnungsloſe todt, dahin was meiner Augen Licht und
meiner Seele Stolz geweſen. Aller Halt war ge¬
brochen, ſobald ich — endlich allein! — die Treppe
erreicht hatte. Ich ließ mich auf die Stufen nieder¬
ſinken, der Leuchter entglitt meiner Hand. So lag

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0018" n="14"/>
        <p>Der Vater führte mich bis zur Thür, preßte<lb/>
meine beiden Hände und &#x017F;prach: &#x201E;Gott muß es am<lb/>
be&#x017F;ten wi&#x017F;&#x017F;en, mein gutes Kind.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gott muß es am be&#x017F;ten wi&#x017F;&#x017F;en!&#x201C; wie oft habe<lb/>
ich in ruhigeren Stunden die&#x017F;es Wortes gedacht, das<lb/>
&#x017F;o alltäglich verhallt, und doch das einzige i&#x017F;t, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wir Men&#x017F;chen uns in unbegreiflichen Schickungen ge¬<lb/>
trö&#x017F;ten. Die&#x017F;e lebensgierige Natur, ohne Halt in der<lb/>
Außenwelt, zügellos in der inneren, würde &#x017F;ie &#x017F;ich be¬<lb/>
hauptet haben während der zwanzig Jahre des Ver¬<lb/>
falls, welche der Spiegelfechterei von Valmy folgten,<lb/>
bis zur tief&#x017F;ten Schmach und hart an die Gränze der<lb/>
Vernichtung? Würde &#x017F;ie ihre Kraft zu&#x017F;ammengehalten<lb/>
haben, für die büßende Mannesthat? Oder nach<lb/>
welcher Richtung hin &#x017F;ie ver&#x017F;chleudert und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
verloren? Gott hat es am be&#x017F;ten gewußt, mein<lb/>
braver Vater!</p><lb/>
        <p>In die&#x017F;er Stunde freilich da war Dein Tro&#x017F;<lb/>
&#x017F;pruch mir ein Schall und ich hörte nur das eine<lb/>
hoffnungslo&#x017F;e todt, dahin was meiner Augen Licht und<lb/>
meiner Seele Stolz gewe&#x017F;en. Aller Halt war ge¬<lb/>
brochen, &#x017F;obald ich &#x2014; endlich allein! &#x2014; die Treppe<lb/>
erreicht hatte. Ich ließ mich auf die Stufen nieder¬<lb/>
&#x017F;inken, der Leuchter entglitt meiner Hand. So lag<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0018] Der Vater führte mich bis zur Thür, preßte meine beiden Hände und ſprach: „Gott muß es am beſten wiſſen, mein gutes Kind.“ „Gott muß es am beſten wiſſen!“ wie oft habe ich in ruhigeren Stunden dieſes Wortes gedacht, das ſo alltäglich verhallt, und doch das einzige iſt, deſſen wir Menſchen uns in unbegreiflichen Schickungen ge¬ tröſten. Dieſe lebensgierige Natur, ohne Halt in der Außenwelt, zügellos in der inneren, würde ſie ſich be¬ hauptet haben während der zwanzig Jahre des Ver¬ falls, welche der Spiegelfechterei von Valmy folgten, bis zur tiefſten Schmach und hart an die Gränze der Vernichtung? Würde ſie ihre Kraft zuſammengehalten haben, für die büßende Mannesthat? Oder nach welcher Richtung hin ſie verſchleudert und ſich ſelbſt verloren? Gott hat es am beſten gewußt, mein braver Vater! In dieſer Stunde freilich da war Dein Troſt¬ ſpruch mir ein Schall und ich hörte nur das eine hoffnungsloſe todt, dahin was meiner Augen Licht und meiner Seele Stolz geweſen. Aller Halt war ge¬ brochen, ſobald ich — endlich allein! — die Treppe erreicht hatte. Ich ließ mich auf die Stufen nieder¬ ſinken, der Leuchter entglitt meiner Hand. So lag

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/18
Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/18>, abgerufen am 19.04.2024.