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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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das Erbe der Reckenburg aus der Hand der Marke¬
tenderinnentochter empfangen würden. Und die Reihe
war lang.

Aber nichts von dem Erwarteten geschah. Fräulein
Hardine that keinen Schritt, um die kleine Plebejerin
zu ihrem eignen Range zu erheben. Sie machte nicht
einmal ihr Testament. Ihre Pflegebefohlene blieb nach
wie vor Hardine Müller.

Auch wurde sie keineswegs herangebildet wie es einer
Erbin von Reckenburg geziemt haben würde: keiner
vornehmen Kostanstalt, keinem gelehrten Hofmeister,
keinen fremdländischen Gouvernanten übergeben. Der
erste Lehrer des Kindes, Pastor Nordheim, blieb auch
der letzte und von allen Kunstfertigkeiten der Mode
war es späterhin nur die Musik, welche ein tüchtiger
Meister der Nachbarschaft in dem talentvollen Mäd¬
chen pflegte. Im Uebrigen fügte sich dasselbe bald in
das Getriebe des inneren Haushaltes und schien sich
in demselben mit gleicher Neigung zu bewegen wie ihre
Beschützerin in der äußeren Verwaltung.

Diese Erziehung deutete allerdings nicht auf hoch¬
fliegende Pläne für das geheimnißvolle Waisenkind.
Wer hätte jedoch behaupten mögen, daß Fräulein
Hardine, welche in so vielen Stücken gegen den Strom

das Erbe der Reckenburg aus der Hand der Marke¬
tenderinnentochter empfangen würden. Und die Reihe
war lang.

Aber nichts von dem Erwarteten geſchah. Fräulein
Hardine that keinen Schritt, um die kleine Plebejerin
zu ihrem eignen Range zu erheben. Sie machte nicht
einmal ihr Teſtament. Ihre Pflegebefohlene blieb nach
wie vor Hardine Müller.

Auch wurde ſie keineswegs herangebildet wie es einer
Erbin von Reckenburg geziemt haben würde: keiner
vornehmen Koſtanſtalt, keinem gelehrten Hofmeiſter,
keinen fremdländiſchen Gouvernanten übergeben. Der
erſte Lehrer des Kindes, Paſtor Nordheim, blieb auch
der letzte und von allen Kunſtfertigkeiten der Mode
war es ſpäterhin nur die Muſik, welche ein tüchtiger
Meiſter der Nachbarſchaft in dem talentvollen Mäd¬
chen pflegte. Im Uebrigen fügte ſich daſſelbe bald in
das Getriebe des inneren Haushaltes und ſchien ſich
in demſelben mit gleicher Neigung zu bewegen wie ihre
Beſchützerin in der äußeren Verwaltung.

Dieſe Erziehung deutete allerdings nicht auf hoch¬
fliegende Pläne für das geheimnißvolle Waiſenkind.
Wer hätte jedoch behaupten mögen, daß Fräulein
Hardine, welche in ſo vielen Stücken gegen den Strom

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[219/0223] das Erbe der Reckenburg aus der Hand der Marke¬ tenderinnentochter empfangen würden. Und die Reihe war lang. Aber nichts von dem Erwarteten geſchah. Fräulein Hardine that keinen Schritt, um die kleine Plebejerin zu ihrem eignen Range zu erheben. Sie machte nicht einmal ihr Teſtament. Ihre Pflegebefohlene blieb nach wie vor Hardine Müller. Auch wurde ſie keineswegs herangebildet wie es einer Erbin von Reckenburg geziemt haben würde: keiner vornehmen Koſtanſtalt, keinem gelehrten Hofmeiſter, keinen fremdländiſchen Gouvernanten übergeben. Der erſte Lehrer des Kindes, Paſtor Nordheim, blieb auch der letzte und von allen Kunſtfertigkeiten der Mode war es ſpäterhin nur die Muſik, welche ein tüchtiger Meiſter der Nachbarſchaft in dem talentvollen Mäd¬ chen pflegte. Im Uebrigen fügte ſich daſſelbe bald in das Getriebe des inneren Haushaltes und ſchien ſich in demſelben mit gleicher Neigung zu bewegen wie ihre Beſchützerin in der äußeren Verwaltung. Dieſe Erziehung deutete allerdings nicht auf hoch¬ fliegende Pläne für das geheimnißvolle Waiſenkind. Wer hätte jedoch behaupten mögen, daß Fräulein Hardine, welche in ſo vielen Stücken gegen den Strom

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/223>, abgerufen am 28.03.2024.