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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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Stadt und Land hat sich angebahnt und ausgedehnt
auch über Kreise, die sonst nicht zu der Tafelrunde
der Reckenburg gezählt worden waren; innerhalb dieser
Kreise werden, bei dem seit den Julitagen angeregteren
Zeitwesen, denn auch wohl Stimmungen laut geworden
sein, welchen die große Hardine in früheren Tagen
schwerlich Gehör geschenkt haben würde. Kurzum,
wohin wir blicken, da ist seit dem Eintritt des kleinen
Bettlerkindes in der vertrauten Umhegung allmälig das
Alte neu, das Verlebte jung geworden. Und so sehen
wir denn auch nicht mehr die goldene Kutsche mit dem
altersschwachen Schimmelzug, sondern ein leichtes Ge¬
fährt, mit raschem Zweigespann die Herrschaft und
ihre Gäste zu einander führen, und nicht mehr die ge¬
puderten Heiducken, sondern ein flinkes, jugendliches
Völkchen versieht den Dienst in dem erneuten Haus.
Die periodischen Galafeste haben aufgehört, aber im
Schloß wie Dorf singt und springt die Jugend unter
dem Maienbaum und dem Erntekranz; die Schenke
streckt einladend ihren Arm in die Luft, die Kegel
rollen, die Krüge klappen, wenn auch mit Maaß; wir
sind noch immer eine ehrbare Colonie, aber doch an¬
dere Leute geworden wie jene, die den wandernden
Invaliden mit Wunderaugen betrachteten und die

Stadt und Land hat ſich angebahnt und ausgedehnt
auch über Kreiſe, die ſonſt nicht zu der Tafelrunde
der Reckenburg gezählt worden waren; innerhalb dieſer
Kreiſe werden, bei dem ſeit den Julitagen angeregteren
Zeitweſen, denn auch wohl Stimmungen laut geworden
ſein, welchen die große Hardine in früheren Tagen
ſchwerlich Gehör geſchenkt haben würde. Kurzum,
wohin wir blicken, da iſt ſeit dem Eintritt des kleinen
Bettlerkindes in der vertrauten Umhegung allmälig das
Alte neu, das Verlebte jung geworden. Und ſo ſehen
wir denn auch nicht mehr die goldene Kutſche mit dem
altersſchwachen Schimmelzug, ſondern ein leichtes Ge¬
fährt, mit raſchem Zweigeſpann die Herrſchaft und
ihre Gäſte zu einander führen, und nicht mehr die ge¬
puderten Heiducken, ſondern ein flinkes, jugendliches
Völkchen verſieht den Dienſt in dem erneuten Haus.
Die periodiſchen Galafeſte haben aufgehört, aber im
Schloß wie Dorf ſingt und ſpringt die Jugend unter
dem Maienbaum und dem Erntekranz; die Schenke
ſtreckt einladend ihren Arm in die Luft, die Kegel
rollen, die Krüge klappen, wenn auch mit Maaß; wir
ſind noch immer eine ehrbare Colonie, aber doch an¬
dere Leute geworden wie jene, die den wandernden
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[223/0227] Stadt und Land hat ſich angebahnt und ausgedehnt auch über Kreiſe, die ſonſt nicht zu der Tafelrunde der Reckenburg gezählt worden waren; innerhalb dieſer Kreiſe werden, bei dem ſeit den Julitagen angeregteren Zeitweſen, denn auch wohl Stimmungen laut geworden ſein, welchen die große Hardine in früheren Tagen ſchwerlich Gehör geſchenkt haben würde. Kurzum, wohin wir blicken, da iſt ſeit dem Eintritt des kleinen Bettlerkindes in der vertrauten Umhegung allmälig das Alte neu, das Verlebte jung geworden. Und ſo ſehen wir denn auch nicht mehr die goldene Kutſche mit dem altersſchwachen Schimmelzug, ſondern ein leichtes Ge¬ fährt, mit raſchem Zweigeſpann die Herrſchaft und ihre Gäſte zu einander führen, und nicht mehr die ge¬ puderten Heiducken, ſondern ein flinkes, jugendliches Völkchen verſieht den Dienſt in dem erneuten Haus. Die periodiſchen Galafeſte haben aufgehört, aber im Schloß wie Dorf ſingt und ſpringt die Jugend unter dem Maienbaum und dem Erntekranz; die Schenke ſtreckt einladend ihren Arm in die Luft, die Kegel rollen, die Krüge klappen, wenn auch mit Maaß; wir ſind noch immer eine ehrbare Colonie, aber doch an¬ dere Leute geworden wie jene, die den wandernden Invaliden mit Wunderaugen betrachteten und die

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/227>, abgerufen am 25.04.2024.