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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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lich gelöscht, dann mit gefalteten Händen, im Rückblick
oder Aufblick, mochte sie noch eine Weile geruht haben
und so entschlummert sein. Nicht wie die Kinder
beim ersten Eindruck hofften, um wiederum zu er¬
wachen, nein, eingeschlummert für immer. Ein Herz¬
schlag hatte sie getödtet. Kein Zeichen von Kampf
oder Krampf entstellte die ruhigen Züge, ein leises
Lächeln umspielte die Lippen und auf den Wangen
war der letzte röthliche Hauch noch nicht entflohen.
Das todte Antlitz sah sich schöner an als einst das
lebende. Noch zeigte es das milde Entzücken des
Heimganges, jenen Adel der letzten Stunde, welcher
den Schmerz der Ueberlebenden zu ewigem Troste ver¬
klärt. Die letzte Reckenburgerin war geschieden vor
dem Hinsiechen einer Kraft, in bewußtem Frieden mit
Gott, mit seiner Welt und mit sich selbst.

Heute aber lief die Monatsfrist zu Ende, die sie
bis zur Enthüllung ihres langbewahrten Geheimnisses
anberaumt hatte. Die Sonne des Oktobertages neigte
sich und wir empfinden den feierlichen Ernst, mit
welchem wir die jungen Gatten, in tiefe Trauerkleider
gehüllt, die Terrasse hinabsteigen und schweigend den
Ulmengang bis zum Waldesrande verfolgen sehen.

Eine langgehegte Neigung des Herzens hatte

lich gelöſcht, dann mit gefalteten Händen, im Rückblick
oder Aufblick, mochte ſie noch eine Weile geruht haben
und ſo entſchlummert ſein. Nicht wie die Kinder
beim erſten Eindruck hofften, um wiederum zu er¬
wachen, nein, eingeſchlummert für immer. Ein Herz¬
ſchlag hatte ſie getödtet. Kein Zeichen von Kampf
oder Krampf entſtellte die ruhigen Züge, ein leiſes
Lächeln umſpielte die Lippen und auf den Wangen
war der letzte röthliche Hauch noch nicht entflohen.
Das todte Antlitz ſah ſich ſchöner an als einſt das
lebende. Noch zeigte es das milde Entzücken des
Heimganges, jenen Adel der letzten Stunde, welcher
den Schmerz der Ueberlebenden zu ewigem Troſte ver¬
klärt. Die letzte Reckenburgerin war geſchieden vor
dem Hinſiechen einer Kraft, in bewußtem Frieden mit
Gott, mit ſeiner Welt und mit ſich ſelbſt.

Heute aber lief die Monatsfriſt zu Ende, die ſie
bis zur Enthüllung ihres langbewahrten Geheimniſſes
anberaumt hatte. Die Sonne des Oktobertages neigte
ſich und wir empfinden den feierlichen Ernſt, mit
welchem wir die jungen Gatten, in tiefe Trauerkleider
gehüllt, die Terraſſe hinabſteigen und ſchweigend den
Ulmengang bis zum Waldesrande verfolgen ſehen.

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[230/0234] lich gelöſcht, dann mit gefalteten Händen, im Rückblick oder Aufblick, mochte ſie noch eine Weile geruht haben und ſo entſchlummert ſein. Nicht wie die Kinder beim erſten Eindruck hofften, um wiederum zu er¬ wachen, nein, eingeſchlummert für immer. Ein Herz¬ ſchlag hatte ſie getödtet. Kein Zeichen von Kampf oder Krampf entſtellte die ruhigen Züge, ein leiſes Lächeln umſpielte die Lippen und auf den Wangen war der letzte röthliche Hauch noch nicht entflohen. Das todte Antlitz ſah ſich ſchöner an als einſt das lebende. Noch zeigte es das milde Entzücken des Heimganges, jenen Adel der letzten Stunde, welcher den Schmerz der Ueberlebenden zu ewigem Troſte ver¬ klärt. Die letzte Reckenburgerin war geſchieden vor dem Hinſiechen einer Kraft, in bewußtem Frieden mit Gott, mit ſeiner Welt und mit ſich ſelbſt. Heute aber lief die Monatsfriſt zu Ende, die ſie bis zur Enthüllung ihres langbewahrten Geheimniſſes anberaumt hatte. Die Sonne des Oktobertages neigte ſich und wir empfinden den feierlichen Ernſt, mit welchem wir die jungen Gatten, in tiefe Trauerkleider gehüllt, die Terraſſe hinabſteigen und ſchweigend den Ulmengang bis zum Waldesrande verfolgen ſehen. Eine langgehegte Neigung des Herzens hatte

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/234>, abgerufen am 16.04.2024.