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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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pries ich meinen jungen Helden selig, der in der letz¬
ten Hoffnungsstunde geendet hatte, während seine
Kampfgenossen wie von einer Narrenfahrt zurückirrten
und den königlichen Märtyrer, zu dessen Erlösung sie
den Kreuzzug erhoben hatten, unter dem Henkerbeile
fallen sehen mußten.

Auch Dorothee hatte sich so friedlich eingelebt,
als es in ihrer Lage möglich war. Der Herbst brachte
noch heitere Tage, die in das Freie lockten; die Wunde
verharschte in der Stille ländlicher Natur; die Schande
drückte sie nicht, da sie Keinem begegnete, der sie ihr
vorgeworfen hätte, und an die Sünde -- wenn sie die
Sünde überhaupt jemals gefühlt -- wurde sie um so
weniger erinnert, da heuer auch der übliche Weih¬
nachtsbrief Siegmund Fabers ausblieb.

Kehrte ich bei meinen Wanderungen durch den
auch im Winter belebten Wald in dem einsamen
Muhmenhause ein, so fand ich Dorothee flink und
zierlich mit einer Handarbeit beschäftigt, wie sie die
Sorge für ein junges Leben nöthig werden läßt. Die
Kinderlaune wachte in ihr auf, sie tändelte mit dem
kleinen Gemäch wie zu der Zeit, wo sie unter mei¬
nen verwunderten Blicken ihre Puppen ausstaffirte.
"Wie reizend!" rief sie dann wohl aus, indem sie ein

Louise v. Francois, Die letzte Reckenburgerin. II. 3

pries ich meinen jungen Helden ſelig, der in der letz¬
ten Hoffnungsſtunde geendet hatte, während ſeine
Kampfgenoſſen wie von einer Narrenfahrt zurückirrten
und den königlichen Märtyrer, zu deſſen Erlöſung ſie
den Kreuzzug erhoben hatten, unter dem Henkerbeile
fallen ſehen mußten.

Auch Dorothee hatte ſich ſo friedlich eingelebt,
als es in ihrer Lage möglich war. Der Herbſt brachte
noch heitere Tage, die in das Freie lockten; die Wunde
verharſchte in der Stille ländlicher Natur; die Schande
drückte ſie nicht, da ſie Keinem begegnete, der ſie ihr
vorgeworfen hätte, und an die Sünde — wenn ſie die
Sünde überhaupt jemals gefühlt — wurde ſie um ſo
weniger erinnert, da heuer auch der übliche Weih¬
nachtsbrief Siegmund Fabers ausblieb.

Kehrte ich bei meinen Wanderungen durch den
auch im Winter belebten Wald in dem einſamen
Muhmenhauſe ein, ſo fand ich Dorothee flink und
zierlich mit einer Handarbeit beſchäftigt, wie ſie die
Sorge für ein junges Leben nöthig werden läßt. Die
Kinderlaune wachte in ihr auf, ſie tändelte mit dem
kleinen Gemäch wie zu der Zeit, wo ſie unter mei¬
nen verwunderten Blicken ihre Puppen ausſtaffirte.
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[33/0037] pries ich meinen jungen Helden ſelig, der in der letz¬ ten Hoffnungsſtunde geendet hatte, während ſeine Kampfgenoſſen wie von einer Narrenfahrt zurückirrten und den königlichen Märtyrer, zu deſſen Erlöſung ſie den Kreuzzug erhoben hatten, unter dem Henkerbeile fallen ſehen mußten. Auch Dorothee hatte ſich ſo friedlich eingelebt, als es in ihrer Lage möglich war. Der Herbſt brachte noch heitere Tage, die in das Freie lockten; die Wunde verharſchte in der Stille ländlicher Natur; die Schande drückte ſie nicht, da ſie Keinem begegnete, der ſie ihr vorgeworfen hätte, und an die Sünde — wenn ſie die Sünde überhaupt jemals gefühlt — wurde ſie um ſo weniger erinnert, da heuer auch der übliche Weih¬ nachtsbrief Siegmund Fabers ausblieb. Kehrte ich bei meinen Wanderungen durch den auch im Winter belebten Wald in dem einſamen Muhmenhauſe ein, ſo fand ich Dorothee flink und zierlich mit einer Handarbeit beſchäftigt, wie ſie die Sorge für ein junges Leben nöthig werden läßt. Die Kinderlaune wachte in ihr auf, ſie tändelte mit dem kleinen Gemäch wie zu der Zeit, wo ſie unter mei¬ nen verwunderten Blicken ihre Puppen ausſtaffirte. „Wie reizend!“ rief ſie dann wohl aus, indem ſie ein Louiſe v. François, Die letzte Reckenburgerin. II. 3

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/37>, abgerufen am 18.04.2024.