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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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Mützchen, mit bunten Glasperlen durchstrickt, auf ihren
Fingern wiegte; "wenn da erst so ein Engelsköpfchen
darunter steckt! Ach, wie freue ich mich. Ich habe
Kinder immer so lieb gehabt, Fräulein Hardine."

An einem der ersten Frühlingstage, mit Stör¬
chen und Drosseln um die Wette, fand ich das neue
Erdenkind in dem Muhmenhause eingeflogen. "Zu
früh," wie die bewährte Pflegerin versicherte, wenn¬
gleich das Männchen ein gar stattliches Ansehen trug,
und die junge Mutter sich heil und frisch fühlte, wie
ein Fisch im Wasser. Freudenthränen träufelten auf
das Kind in ihrem Schoße. "So schön, so wunder¬
schön!" rief sie entzückt. "Ach, wie habe ich es lieb,
wie bin ich glücklich, Fräulein Hardine! Niemals, nie¬
mals könnte ich mich von dem kleinen Engel trennen."
Bei welcher Entzückung Ehren-Justine freilich eine gar
hämische Grimasse zog und mir beim Hinausgehen
zuraunte: "Das wäre der erste Wildling, der eine
dauerhaftige Mutterliebe spürte! Was nicht im Ehe¬
bett geboren worden ist, das verfliegt wie Spreu."

Indessen wußte sie, immer unter der Rubrik "zu
früh" schon anderen Tages eine häusliche Nothtaufe
einzurichten, bei welcher sie und ich Gevatterinnen
wurden. Der Knabe erhielt den Vaternamen August

Mützchen, mit bunten Glasperlen durchſtrickt, auf ihren
Fingern wiegte; „wenn da erſt ſo ein Engelsköpfchen
darunter ſteckt! Ach, wie freue ich mich. Ich habe
Kinder immer ſo lieb gehabt, Fräulein Hardine.“

An einem der erſten Frühlingstage, mit Stör¬
chen und Droſſeln um die Wette, fand ich das neue
Erdenkind in dem Muhmenhauſe eingeflogen. „Zu
früh,“ wie die bewährte Pflegerin verſicherte, wenn¬
gleich das Männchen ein gar ſtattliches Anſehen trug,
und die junge Mutter ſich heil und friſch fühlte, wie
ein Fiſch im Waſſer. Freudenthränen träufelten auf
das Kind in ihrem Schoße. „So ſchön, ſo wunder¬
ſchön!“ rief ſie entzückt. „Ach, wie habe ich es lieb,
wie bin ich glücklich, Fräulein Hardine! Niemals, nie¬
mals könnte ich mich von dem kleinen Engel trennen.“
Bei welcher Entzückung Ehren-Juſtine freilich eine gar
hämiſche Grimaſſe zog und mir beim Hinausgehen
zuraunte: „Das wäre der erſte Wildling, der eine
dauerhaftige Mutterliebe ſpürte! Was nicht im Ehe¬
bett geboren worden iſt, das verfliegt wie Spreu.“

Indeſſen wußte ſie, immer unter der Rubrik „zu
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[34/0038] Mützchen, mit bunten Glasperlen durchſtrickt, auf ihren Fingern wiegte; „wenn da erſt ſo ein Engelsköpfchen darunter ſteckt! Ach, wie freue ich mich. Ich habe Kinder immer ſo lieb gehabt, Fräulein Hardine.“ An einem der erſten Frühlingstage, mit Stör¬ chen und Droſſeln um die Wette, fand ich das neue Erdenkind in dem Muhmenhauſe eingeflogen. „Zu früh,“ wie die bewährte Pflegerin verſicherte, wenn¬ gleich das Männchen ein gar ſtattliches Anſehen trug, und die junge Mutter ſich heil und friſch fühlte, wie ein Fiſch im Waſſer. Freudenthränen träufelten auf das Kind in ihrem Schoße. „So ſchön, ſo wunder¬ ſchön!“ rief ſie entzückt. „Ach, wie habe ich es lieb, wie bin ich glücklich, Fräulein Hardine! Niemals, nie¬ mals könnte ich mich von dem kleinen Engel trennen.“ Bei welcher Entzückung Ehren-Juſtine freilich eine gar hämiſche Grimaſſe zog und mir beim Hinausgehen zuraunte: „Das wäre der erſte Wildling, der eine dauerhaftige Mutterliebe ſpürte! Was nicht im Ehe¬ bett geboren worden iſt, das verfliegt wie Spreu.“ Indeſſen wußte ſie, immer unter der Rubrik „zu früh“ ſchon anderen Tages eine häusliche Nothtaufe einzurichten, bei welcher ſie und ich Gevatterinnen wurden. Der Knabe erhielt den Vaternamen Auguſt

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/38>, abgerufen am 24.04.2024.