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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831.

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Kräfte der Menschen.
versuchen könne, so lehrt uns doch die Erfahrung gewisse Umstände und Verhältnisse
kennen, denen die Kraftanwendung aller, sowohl starker als schwacher, junger und al-
ter Menschen eben so wie die Kraftanwendung aller Thiere unterworfen ist, welche dem-
nach bei der Frage über die vortheilhafteste Verwendung thierischer Kräfte, hauptsäch-
lich berücksichtigt werden müssen. Diese Umstände sind nämlich:

Erstens. Die Geschwindigkeit, mit welcher die Arbeit verrichtet werden
muss, und
Zweitens. Die Dauer der Arbeit, wie lange nämlich oder durch wie viele
Stunden die Arbeit täglich fortgesetzt werden soll.

Diese zwei Bedingungen unterscheiden die thierischen Kräfte wesentlich von den
leblosen Kräften der Schwere, des Wassers, der Luft, der Dämpfe u. s. w., da die
letztern, sie mögen eine längere oder eine kürzere Zeit hindurch wirken, sich
immer gleich bleiben. Ganz anders verhält es sich aber mit den Kräften der Menschen
und Thiere, welche sowohl von der Geschwindigkeit, womit sie arbeiten, als von
der Zeitdauer, wie lange sie arbeiten, abhängig sind.

Es ist nämlich allgemein bekannt, dass alle Menschen, wenn sie eine schwere Last
tragen, sich mit derselben nicht so geschwind fort bewegen können, als wenn sie wenig
tragen oder ganz frei gehen und bloss ihren eigenen Körper in Bewegung erhalten. Alle
schwer beladenen Träger machen kleinere Schritte und gehen langsam. Da die Natur
den Menschen und Thieren durch die Grösse und Bauart ihrer Hände und Füsse be-
stimmte Gränzen für ihre Bewegungen vorgeschrieben hat, so haben schon de la Hire
und Desaguliers aus der geringen Erhebung und mindern Beschleunigung des tragenden
und getragenen Körpers eine Erklärung abgeleitet: warum man mit kleinen und langsa-
men Schritten grössere Lasten tragen könne, als mit grossen und schnellen Schritten.
Auch lehrt die tägliche Erfahrung, dass jeder, der etwas zu tragen hat, bei gleichem
Schritte früher ermüdet, als sein freier Begleiter. Läufer und Wettrenner kleiden sich
leicht an und suchen sich von aller Last möglichst zu entledigen.

§. 17.

Zur Beurtheilung der Aenderungen, welche von der Geschwindigkeit veranlasst wer-
den, ist schon in den gedruckten Briefen der Brüder Bernoully an Leibnitz die Erfah-
rung angeführt und seither von mehreren andern Schriftstellern wiederholt: dass Men-
schen von mittlerer Stärke es gleichgültig finden
, 30 Lb Last mit
2 Fuss Geschwindigkeit, oder
20 Lb Last mit 3 Fuss Geschwindig-
keit zu tragen oder zu bewegen
. Multiplizirt man nun diese Geschwindigkei-
ten mit den zugehörigen Lasten, so ist im ersten Falle 30.2 = 60, und im zweiten 20.3
= 60, d. h. die Produkte aus der Kraft in die Geschwindigkeit, oder die sogenannten
Bewegungsmomente, sind in diesen zwei Fällen einander gleich. Hieraus haben
mehrere Schriftsteller auf ein gleiches Bewegungsmoment für jeden Fall der Geschwin-
digkeit geschlossen, woraus jedoch folgen würde, dass bei einer Geschwindigkeit von
z. B. [Formel 1] Fuss ein Mann 1200 Lb tragen könne, weil [Formel 2] ist; und bei einer
unendlich kleinen Geschwindigkeit, d. h. wenn der Mann stehen bleibt, müsste er eine
unendlich grosse Last zu halten im Stande seyn; ferner müsste ein Arbeiter, wenn er

Kräfte der Menschen.
versuchen könne, so lehrt uns doch die Erfahrung gewisse Umstände und Verhältnisse
kennen, denen die Kraftanwendung aller, sowohl starker als schwacher, junger und al-
ter Menschen eben so wie die Kraftanwendung aller Thiere unterworfen ist, welche dem-
nach bei der Frage über die vortheilhafteste Verwendung thierischer Kräfte, hauptsäch-
lich berücksichtigt werden müssen. Diese Umstände sind nämlich:

Erstens. Die Geschwindigkeit, mit welcher die Arbeit verrichtet werden
muss, und
Zweitens. Die Dauer der Arbeit, wie lange nämlich oder durch wie viele
Stunden die Arbeit täglich fortgesetzt werden soll.

Diese zwei Bedingungen unterscheiden die thierischen Kräfte wesentlich von den
leblosen Kräften der Schwere, des Wassers, der Luft, der Dämpfe u. s. w., da die
letztern, sie mögen eine längere oder eine kürzere Zeit hindurch wirken, sich
immer gleich bleiben. Ganz anders verhält es sich aber mit den Kräften der Menschen
und Thiere, welche sowohl von der Geschwindigkeit, womit sie arbeiten, als von
der Zeitdauer, wie lange sie arbeiten, abhängig sind.

Es ist nämlich allgemein bekannt, dass alle Menschen, wenn sie eine schwere Last
tragen, sich mit derselben nicht so geschwind fort bewegen können, als wenn sie wenig
tragen oder ganz frei gehen und bloss ihren eigenen Körper in Bewegung erhalten. Alle
schwer beladenen Träger machen kleinere Schritte und gehen langsam. Da die Natur
den Menschen und Thieren durch die Grösse und Bauart ihrer Hände und Füsse be-
stimmte Gränzen für ihre Bewegungen vorgeschrieben hat, so haben schon de la Hire
und Desaguliers aus der geringen Erhebung und mindern Beschleunigung des tragenden
und getragenen Körpers eine Erklärung abgeleitet: warum man mit kleinen und langsa-
men Schritten grössere Lasten tragen könne, als mit grossen und schnellen Schritten.
Auch lehrt die tägliche Erfahrung, dass jeder, der etwas zu tragen hat, bei gleichem
Schritte früher ermüdet, als sein freier Begleiter. Läufer und Wettrenner kleiden sich
leicht an und suchen sich von aller Last möglichst zu entledigen.

§. 17.

Zur Beurtheilung der Aenderungen, welche von der Geschwindigkeit veranlasst wer-
den, ist schon in den gedruckten Briefen der Brüder Bernoully an Leibnitz die Erfah-
rung angeführt und seither von mehreren andern Schriftstellern wiederholt: dass Men-
schen von mittlerer Stärke es gleichgültig finden
, 30 ℔ Last mit
2 Fuss Geschwindigkeit, oder
20 ℔ Last mit 3 Fuss Geschwindig-
keit zu tragen oder zu bewegen
. Multiplizirt man nun diese Geschwindigkei-
ten mit den zugehörigen Lasten, so ist im ersten Falle 30.2 = 60, und im zweiten 20.3
= 60, d. h. die Produkte aus der Kraft in die Geschwindigkeit, oder die sogenannten
Bewegungsmomente, sind in diesen zwei Fällen einander gleich. Hieraus haben
mehrere Schriftsteller auf ein gleiches Bewegungsmoment für jeden Fall der Geschwin-
digkeit geschlossen, woraus jedoch folgen würde, dass bei einer Geschwindigkeit von
z. B. [Formel 1] Fuss ein Mann 1200 ℔ tragen könne, weil [Formel 2] ist; und bei einer
unendlich kleinen Geschwindigkeit, d. h. wenn der Mann stehen bleibt, müsste er eine
unendlich grosse Last zu halten im Stande seyn; ferner müsste ein Arbeiter, wenn er

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[14/0044] Kräfte der Menschen. versuchen könne, so lehrt uns doch die Erfahrung gewisse Umstände und Verhältnisse kennen, denen die Kraftanwendung aller, sowohl starker als schwacher, junger und al- ter Menschen eben so wie die Kraftanwendung aller Thiere unterworfen ist, welche dem- nach bei der Frage über die vortheilhafteste Verwendung thierischer Kräfte, hauptsäch- lich berücksichtigt werden müssen. Diese Umstände sind nämlich: Erstens. Die Geschwindigkeit, mit welcher die Arbeit verrichtet werden muss, und Zweitens. Die Dauer der Arbeit, wie lange nämlich oder durch wie viele Stunden die Arbeit täglich fortgesetzt werden soll. Diese zwei Bedingungen unterscheiden die thierischen Kräfte wesentlich von den leblosen Kräften der Schwere, des Wassers, der Luft, der Dämpfe u. s. w., da die letztern, sie mögen eine längere oder eine kürzere Zeit hindurch wirken, sich immer gleich bleiben. Ganz anders verhält es sich aber mit den Kräften der Menschen und Thiere, welche sowohl von der Geschwindigkeit, womit sie arbeiten, als von der Zeitdauer, wie lange sie arbeiten, abhängig sind. Es ist nämlich allgemein bekannt, dass alle Menschen, wenn sie eine schwere Last tragen, sich mit derselben nicht so geschwind fort bewegen können, als wenn sie wenig tragen oder ganz frei gehen und bloss ihren eigenen Körper in Bewegung erhalten. Alle schwer beladenen Träger machen kleinere Schritte und gehen langsam. Da die Natur den Menschen und Thieren durch die Grösse und Bauart ihrer Hände und Füsse be- stimmte Gränzen für ihre Bewegungen vorgeschrieben hat, so haben schon de la Hire und Desaguliers aus der geringen Erhebung und mindern Beschleunigung des tragenden und getragenen Körpers eine Erklärung abgeleitet: warum man mit kleinen und langsa- men Schritten grössere Lasten tragen könne, als mit grossen und schnellen Schritten. Auch lehrt die tägliche Erfahrung, dass jeder, der etwas zu tragen hat, bei gleichem Schritte früher ermüdet, als sein freier Begleiter. Läufer und Wettrenner kleiden sich leicht an und suchen sich von aller Last möglichst zu entledigen. §. 17. Zur Beurtheilung der Aenderungen, welche von der Geschwindigkeit veranlasst wer- den, ist schon in den gedruckten Briefen der Brüder Bernoully an Leibnitz die Erfah- rung angeführt und seither von mehreren andern Schriftstellern wiederholt: dass Men- schen von mittlerer Stärke es gleichgültig finden, 30 ℔ Last mit 2 Fuss Geschwindigkeit, oder 20 ℔ Last mit 3 Fuss Geschwindig- keit zu tragen oder zu bewegen. Multiplizirt man nun diese Geschwindigkei- ten mit den zugehörigen Lasten, so ist im ersten Falle 30.2 = 60, und im zweiten 20.3 = 60, d. h. die Produkte aus der Kraft in die Geschwindigkeit, oder die sogenannten Bewegungsmomente, sind in diesen zwei Fällen einander gleich. Hieraus haben mehrere Schriftsteller auf ein gleiches Bewegungsmoment für jeden Fall der Geschwin- digkeit geschlossen, woraus jedoch folgen würde, dass bei einer Geschwindigkeit von z. B. [FORMEL] Fuss ein Mann 1200 ℔ tragen könne, weil [FORMEL] ist; und bei einer unendlich kleinen Geschwindigkeit, d. h. wenn der Mann stehen bleibt, müsste er eine unendlich grosse Last zu halten im Stande seyn; ferner müsste ein Arbeiter, wenn er

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/44>, abgerufen am 28.03.2024.