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Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826.

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und mit dem Leben des zukünftigen Bürgers, wel-
ches sie vorbereiten soll. Ein solcher Widerspruch nun
würde er entstehen? Bekäme der Schüler eine andere
Richtung, als der Mensch erhält in der Familie, in
dem Staat, in der Kirche? Vielmehr in jeder dieser
drei Grundformen unsers Lebens ist Gemeinsamkeit,
in jedem Gehorsam, in jedem Selbstthätigkeit; in
jedem werden auch die genannten Tugenden als erste
Bedingnisse gefodert von allen, die seine wirklichen
Mitglieder sein wollen. Haben wir sie also für die
Hauptbestandtheile der Disciplin erachtet aus reiner
Betrachtung des Lehrzwecks, so müssen wir sie nun
als solche desto eher beibehalten wegen des höchsten
Zwecks der Schule, nämlich der Bildung. Ja ob-
gleich die Schule dazu nur scheinbar kleine Anord-
nungen trifft, und dieselben ohne alle äußerliche
Rücksicht nur aus ihren innern Bedürfnissen machen
muß, wie viel kann sie dennoch jenen sie umgeben-
den Lebenskreisen nützen, wie sicher die Vervollkomm-
nung derselben vorbereiten! Die erwähnten drei
Stücke finden sich nicht bloß in Kirche, Staat und
Familie ebenfalls, jedes bezeichnet auch recht eigent-
lich das Leben in einem derselben nach seiner rich-
tigsten und wünschenswerthesten Gestalt. Denn ist
nicht der Familie festeste Kraft und innigster Genuß
Gemeinsamkeit. Was fodert das Staatsverhältniß
mehr als Verehrung des Gesetzes und Gehorsam?
Und wenn die Religion den Menschen in seinem tief-
sten Grunde erneuert zum Gehorsam des Glaubens
und ihm die Verheißung des ewigen Lebens zum
höchsten Ziel macht: was anders ist dann ihre Mah-

und mit dem Leben des zukuͤnftigen Buͤrgers, wel-
ches ſie vorbereiten ſoll. Ein ſolcher Widerſpruch nun
wuͤrde er entſtehen? Bekaͤme der Schuͤler eine andere
Richtung, als der Menſch erhaͤlt in der Familie, in
dem Staat, in der Kirche? Vielmehr in jeder dieſer
drei Grundformen unſers Lebens iſt Gemeinſamkeit,
in jedem Gehorſam, in jedem Selbſtthaͤtigkeit; in
jedem werden auch die genannten Tugenden als erſte
Bedingniſſe gefodert von allen, die ſeine wirklichen
Mitglieder ſein wollen. Haben wir ſie alſo fuͤr die
Hauptbeſtandtheile der Diſciplin erachtet aus reiner
Betrachtung des Lehrzwecks, ſo muͤſſen wir ſie nun
als ſolche deſto eher beibehalten wegen des hoͤchſten
Zwecks der Schule, naͤmlich der Bildung. Ja ob-
gleich die Schule dazu nur ſcheinbar kleine Anord-
nungen trifft, und dieſelben ohne alle aͤußerliche
Ruͤckſicht nur aus ihren innern Beduͤrfniſſen machen
muß, wie viel kann ſie dennoch jenen ſie umgeben-
den Lebenskreiſen nuͤtzen, wie ſicher die Vervollkomm-
nung derſelben vorbereiten! Die erwaͤhnten drei
Stuͤcke finden ſich nicht bloß in Kirche, Staat und
Familie ebenfalls, jedes bezeichnet auch recht eigent-
lich das Leben in einem derſelben nach ſeiner rich-
tigſten und wuͤnſchenswertheſten Geſtalt. Denn iſt
nicht der Familie feſteſte Kraft und innigſter Genuß
Gemeinſamkeit. Was fodert das Staatsverhaͤltniß
mehr als Verehrung des Geſetzes und Gehorſam?
Und wenn die Religion den Menſchen in ſeinem tief-
ſten Grunde erneuert zum Gehorſam des Glaubens
und ihm die Verheißung des ewigen Lebens zum
hoͤchſten Ziel macht: was anders iſt dann ihre Mah-

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[20/0028] und mit dem Leben des zukuͤnftigen Buͤrgers, wel- ches ſie vorbereiten ſoll. Ein ſolcher Widerſpruch nun wuͤrde er entſtehen? Bekaͤme der Schuͤler eine andere Richtung, als der Menſch erhaͤlt in der Familie, in dem Staat, in der Kirche? Vielmehr in jeder dieſer drei Grundformen unſers Lebens iſt Gemeinſamkeit, in jedem Gehorſam, in jedem Selbſtthaͤtigkeit; in jedem werden auch die genannten Tugenden als erſte Bedingniſſe gefodert von allen, die ſeine wirklichen Mitglieder ſein wollen. Haben wir ſie alſo fuͤr die Hauptbeſtandtheile der Diſciplin erachtet aus reiner Betrachtung des Lehrzwecks, ſo muͤſſen wir ſie nun als ſolche deſto eher beibehalten wegen des hoͤchſten Zwecks der Schule, naͤmlich der Bildung. Ja ob- gleich die Schule dazu nur ſcheinbar kleine Anord- nungen trifft, und dieſelben ohne alle aͤußerliche Ruͤckſicht nur aus ihren innern Beduͤrfniſſen machen muß, wie viel kann ſie dennoch jenen ſie umgeben- den Lebenskreiſen nuͤtzen, wie ſicher die Vervollkomm- nung derſelben vorbereiten! Die erwaͤhnten drei Stuͤcke finden ſich nicht bloß in Kirche, Staat und Familie ebenfalls, jedes bezeichnet auch recht eigent- lich das Leben in einem derſelben nach ſeiner rich- tigſten und wuͤnſchenswertheſten Geſtalt. Denn iſt nicht der Familie feſteſte Kraft und innigſter Genuß Gemeinſamkeit. Was fodert das Staatsverhaͤltniß mehr als Verehrung des Geſetzes und Gehorſam? Und wenn die Religion den Menſchen in ſeinem tief- ſten Grunde erneuert zum Gehorſam des Glaubens und ihm die Verheißung des ewigen Lebens zum hoͤchſten Ziel macht: was anders iſt dann ihre Mah-

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Zitationshilfe: Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessert_schulzucht_1826/28>, abgerufen am 29.03.2024.