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Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826.

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tritt. Gott allein kann sie geben. Von ihm muß
kommen wie die Gabe (das Talent), daß der Schü-
ler die Lehre in eigenen, rechten Gebrauch setze, so
auch für seinen freiwilligen und freikräftigen Wandel
in der Pflicht die Gesinnung. Der Lehrer kann den
Schüler nur anleiten, daß er jenes höhere Leben von
Gott begehre und annehme; und beistehen kann er
ihm, damit, was derselbe so hat, allmälig erstarke um
auch ohne Leitung zu bestehen und zu wirken. Jenes
geschieht durch Unterweisung, dieses durch Uebung.
Offenbar muß aber die Unterweisung der Uebung
vorangehen, denn sonst hat ja der Lehrer keine Sicher-
heit, ob der Schüler, dem er nicht in das Herz sehen
kann, die Gesinnung schon besitze, die geübt werden
soll; wiederum kann hier alle Uebung nichts anders
sein als wiederholte Darlegung der Gesinnung und
eine neue That derselben, so muß ihr ja eine gewisse
Verständigung vorausgegangen sein, sonst wäre sie
keine Uebung und That, sondern ein mechanisches
Werk, eine Form ohne Geist. Und wenn man auch
sonst sagt, daß die Form den Geist hervorbringe, so
geschieht das im Leben nur zufällig; die Schule aber
soll nichts dem Zufall überlassen, was ihr anvertraut
ist, am wenigsten die Erreichung ihres höchsten Zweckes.
Es geschieht auch nur bei einzelnen reichbegabten und
sehr entwickelten Personen, wenn ihnen anderweitig
das Verständniß aufgegangen ist über solche Form;
die Schule aber hat es mit Kindern zu thun, in
welchen also Uebung ohne Unterweisung nie lebendig
und Leben erzeugend wäre, sondern todt und tödtend.
Gibt man nun zu, daß die Disciplin nur die Uebung

tritt. Gott allein kann ſie geben. Von ihm muß
kommen wie die Gabe (das Talent), daß der Schuͤ-
ler die Lehre in eigenen, rechten Gebrauch ſetze, ſo
auch fuͤr ſeinen freiwilligen und freikraͤftigen Wandel
in der Pflicht die Geſinnung. Der Lehrer kann den
Schuͤler nur anleiten, daß er jenes hoͤhere Leben von
Gott begehre und annehme; und beiſtehen kann er
ihm, damit, was derſelbe ſo hat, allmaͤlig erſtarke um
auch ohne Leitung zu beſtehen und zu wirken. Jenes
geſchieht durch Unterweiſung, dieſes durch Uebung.
Offenbar muß aber die Unterweiſung der Uebung
vorangehen, denn ſonſt hat ja der Lehrer keine Sicher-
heit, ob der Schuͤler, dem er nicht in das Herz ſehen
kann, die Geſinnung ſchon beſitze, die geuͤbt werden
ſoll; wiederum kann hier alle Uebung nichts anders
ſein als wiederholte Darlegung der Geſinnung und
eine neue That derſelben, ſo muß ihr ja eine gewiſſe
Verſtaͤndigung vorausgegangen ſein, ſonſt waͤre ſie
keine Uebung und That, ſondern ein mechaniſches
Werk, eine Form ohne Geiſt. Und wenn man auch
ſonſt ſagt, daß die Form den Geiſt hervorbringe, ſo
geſchieht das im Leben nur zufaͤllig; die Schule aber
ſoll nichts dem Zufall uͤberlaſſen, was ihr anvertraut
iſt, am wenigſten die Erreichung ihres hoͤchſten Zweckes.
Es geſchieht auch nur bei einzelnen reichbegabten und
ſehr entwickelten Perſonen, wenn ihnen anderweitig
das Verſtaͤndniß aufgegangen iſt uͤber ſolche Form;
die Schule aber hat es mit Kindern zu thun, in
welchen alſo Uebung ohne Unterweiſung nie lebendig
und Leben erzeugend waͤre, ſondern todt und toͤdtend.
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[36/0044] tritt. Gott allein kann ſie geben. Von ihm muß kommen wie die Gabe (das Talent), daß der Schuͤ- ler die Lehre in eigenen, rechten Gebrauch ſetze, ſo auch fuͤr ſeinen freiwilligen und freikraͤftigen Wandel in der Pflicht die Geſinnung. Der Lehrer kann den Schuͤler nur anleiten, daß er jenes hoͤhere Leben von Gott begehre und annehme; und beiſtehen kann er ihm, damit, was derſelbe ſo hat, allmaͤlig erſtarke um auch ohne Leitung zu beſtehen und zu wirken. Jenes geſchieht durch Unterweiſung, dieſes durch Uebung. Offenbar muß aber die Unterweiſung der Uebung vorangehen, denn ſonſt hat ja der Lehrer keine Sicher- heit, ob der Schuͤler, dem er nicht in das Herz ſehen kann, die Geſinnung ſchon beſitze, die geuͤbt werden ſoll; wiederum kann hier alle Uebung nichts anders ſein als wiederholte Darlegung der Geſinnung und eine neue That derſelben, ſo muß ihr ja eine gewiſſe Verſtaͤndigung vorausgegangen ſein, ſonſt waͤre ſie keine Uebung und That, ſondern ein mechaniſches Werk, eine Form ohne Geiſt. Und wenn man auch ſonſt ſagt, daß die Form den Geiſt hervorbringe, ſo geſchieht das im Leben nur zufaͤllig; die Schule aber ſoll nichts dem Zufall uͤberlaſſen, was ihr anvertraut iſt, am wenigſten die Erreichung ihres hoͤchſten Zweckes. Es geſchieht auch nur bei einzelnen reichbegabten und ſehr entwickelten Perſonen, wenn ihnen anderweitig das Verſtaͤndniß aufgegangen iſt uͤber ſolche Form; die Schule aber hat es mit Kindern zu thun, in welchen alſo Uebung ohne Unterweiſung nie lebendig und Leben erzeugend waͤre, ſondern todt und toͤdtend. Gibt man nun zu, daß die Diſciplin nur die Uebung

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Zitationshilfe: Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessert_schulzucht_1826/44>, abgerufen am 29.03.2024.