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Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826.

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schränken; hier aber soll der Wille bestimmt werden
von der Ueberzeugung, und durch diese gehen die
Foderungen der Selbstthätigkeit an ihn. Daher kön-
nen sie nur eine ermahnende und warnende Form
haben; sie können nicht lauten: Du sollst das thun!
sondern vielmehr: Thue doch das! oder mit Bezeu-
gung der Gesinnung des Lehrers: Laß uns das thun!
Wir wollen das thun! *) Entsteht dann Weige-
rung, so muß freilich der Befehl eintreten: Du sollst
das thun! aber damit wird dem Schüler zugleich
erklärt, daß er der seinem Willen zugedachten Ehre
sich unwürdig zeige und, der Selbstbestimmung für
jetzt verlustig, sich unter fremden Willen beugen
müsse. Dieser Befehl ist also eine Strafe. Ohne
solche Noth darf aber hier nichts unbedingt befohlen
werden. Der Lehrer würde sonst unsägliches Unheil
anrichten! Und wie gut er es meinen mag, er
würde im Jrrthum sein! Er darf sogar den Befehl
nur dann eintreten lassen, wenn bei voller Ueber-
zeugung sich böser Wille offenbart; so lang er dar-
über ungewiß ist, muß er vielmehr in der Beleh-
rung fortfahren und in treuster Geduld ihre Wirkung
abwarten, läge sie auch weit über die Schulzeit
seiner Zöglinge hinaus; ja würde sie erst offenbar
am jüngsten Tage. Je sanfter, je schonender, je

*) Als natürlichster Ausdruck drängt sich wol dieser auf: Willst du
nicht das thun? Jndeß faßt denselben wegen der fragenden Form
zunächst das Nachdenken auf, als wäre es noch in Ueberlegung
zu ziehen, ob das Verlangte Pflicht ist, und es entsteht daraus
eben so leicht Zweifel des Verstandes als Bereitschaft des Willens.
Vermeiden kann man jenen Ausdruck nicht ganz; besser aber wäre
mit geringer Abänderung zu sagen: Wirst du nicht das thun?
*

ſchraͤnken; hier aber ſoll der Wille beſtimmt werden
von der Ueberzeugung, und durch dieſe gehen die
Foderungen der Selbſtthaͤtigkeit an ihn. Daher koͤn-
nen ſie nur eine ermahnende und warnende Form
haben; ſie koͤnnen nicht lauten: Du ſollſt das thun!
ſondern vielmehr: Thue doch das! oder mit Bezeu-
gung der Geſinnung des Lehrers: Laß uns das thun!
Wir wollen das thun! *) Entſteht dann Weige-
rung, ſo muß freilich der Befehl eintreten: Du ſollſt
das thun! aber damit wird dem Schuͤler zugleich
erklaͤrt, daß er der ſeinem Willen zugedachten Ehre
ſich unwuͤrdig zeige und, der Selbſtbeſtimmung fuͤr
jetzt verluſtig, ſich unter fremden Willen beugen
muͤſſe. Dieſer Befehl iſt alſo eine Strafe. Ohne
ſolche Noth darf aber hier nichts unbedingt befohlen
werden. Der Lehrer wuͤrde ſonſt unſaͤgliches Unheil
anrichten! Und wie gut er es meinen mag, er
wuͤrde im Jrrthum ſein! Er darf ſogar den Befehl
nur dann eintreten laſſen, wenn bei voller Ueber-
zeugung ſich boͤſer Wille offenbart; ſo lang er dar-
uͤber ungewiß iſt, muß er vielmehr in der Beleh-
rung fortfahren und in treuſter Geduld ihre Wirkung
abwarten, laͤge ſie auch weit uͤber die Schulzeit
ſeiner Zoͤglinge hinaus; ja wuͤrde ſie erſt offenbar
am juͤngſten Tage. Je ſanfter, je ſchonender, je

*) Als natuͤrlichſter Ausdruck draͤngt ſich wol dieſer auf: Willſt du
nicht das thun? Jndeß faßt denſelben wegen der fragenden Form
zunaͤchſt das Nachdenken auf, als waͤre es noch in Ueberlegung
zu ziehen, ob das Verlangte Pflicht iſt, und es entſteht daraus
eben ſo leicht Zweifel des Verſtandes als Bereitſchaft des Willens.
Vermeiden kann man jenen Ausdruck nicht ganz; beſſer aber waͤre
mit geringer Abaͤnderung zu ſagen: Wirſt du nicht das thun?
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[41/0049] ſchraͤnken; hier aber ſoll der Wille beſtimmt werden von der Ueberzeugung, und durch dieſe gehen die Foderungen der Selbſtthaͤtigkeit an ihn. Daher koͤn- nen ſie nur eine ermahnende und warnende Form haben; ſie koͤnnen nicht lauten: Du ſollſt das thun! ſondern vielmehr: Thue doch das! oder mit Bezeu- gung der Geſinnung des Lehrers: Laß uns das thun! Wir wollen das thun! *) Entſteht dann Weige- rung, ſo muß freilich der Befehl eintreten: Du ſollſt das thun! aber damit wird dem Schuͤler zugleich erklaͤrt, daß er der ſeinem Willen zugedachten Ehre ſich unwuͤrdig zeige und, der Selbſtbeſtimmung fuͤr jetzt verluſtig, ſich unter fremden Willen beugen muͤſſe. Dieſer Befehl iſt alſo eine Strafe. Ohne ſolche Noth darf aber hier nichts unbedingt befohlen werden. Der Lehrer wuͤrde ſonſt unſaͤgliches Unheil anrichten! Und wie gut er es meinen mag, er wuͤrde im Jrrthum ſein! Er darf ſogar den Befehl nur dann eintreten laſſen, wenn bei voller Ueber- zeugung ſich boͤſer Wille offenbart; ſo lang er dar- uͤber ungewiß iſt, muß er vielmehr in der Beleh- rung fortfahren und in treuſter Geduld ihre Wirkung abwarten, laͤge ſie auch weit uͤber die Schulzeit ſeiner Zoͤglinge hinaus; ja wuͤrde ſie erſt offenbar am juͤngſten Tage. Je ſanfter, je ſchonender, je *) Als natuͤrlichſter Ausdruck draͤngt ſich wol dieſer auf: Willſt du nicht das thun? Jndeß faßt denſelben wegen der fragenden Form zunaͤchſt das Nachdenken auf, als waͤre es noch in Ueberlegung zu ziehen, ob das Verlangte Pflicht iſt, und es entſteht daraus eben ſo leicht Zweifel des Verſtandes als Bereitſchaft des Willens. Vermeiden kann man jenen Ausdruck nicht ganz; beſſer aber waͤre mit geringer Abaͤnderung zu ſagen: Wirſt du nicht das thun? *

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Zitationshilfe: Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessert_schulzucht_1826/49>, abgerufen am 28.03.2024.