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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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de Legibus, Senatusconsultis et longa consuet.
seyn; und es wird der deutlichste Beweiß erfordert, daß
sie zu seiner Wissenschaft gekommen. Sonst bleibt es
bey der Regel: hundert Jahre Unrecht ist keine
Stunde recht
. Denn ohnmöglich können jene Ge-
setze, welche die Gewohnheiten im allgemeinen bestätti-
gen, so ausgelegt werden, als ob der Regent seinen Un-
terthanen die Befugniß ertheilet hätte, seinen einmahl
gegebenen Gesetzen, durch Einführung anderer Gebräu-
che, ihre Kraft zu entziehen 65).

Da übrigens die gesetzliche Kraft der Gewohnheiten
lediglich von der Einwilligung des Gesetzgebers abhängt,
so versteht sich's, daß die Gültigkeit derselben nie weiter
ausgedehnet werden dürfe, als der Consens des Gesetz-
gebers sich erstreckt. Hätte also der Landesherr ausdrück-
lich erklärt, daß nur die alten guten Gewohnheiten allein,
oder nur dieienigen Gewohnheiten, welche er in sein Ge-
setzbuch aufgenommen hätte, eine gesetzliche Kraft haben
sollten, so sind nur diese allein für gültig zu halten, und

kann
65) Es sey mir erlaubt, hier eine vortrefliche Stelle aus des be-
rühmten riccii Spicilegio iuris Germanici S. 2. u. folg. einzu-
rücken: Quum omnem legis condendae et publicandae potesta-
tem populus in principem transtulerit, et naturali ratione eius
sit solvere, qui potest velle, frustra utique in principem legis-
latoria potestas foret collata, si civibus liceret, leges quas
vellent, contrario usu vel pluribus actibus publice susceptis,
legi contrariis antiquare. Graviter proinde et recte iam olim
in diplomate suo de a.
1360. pronunciavit Rudolphus IV. Ar-
chidux Austriae:
so soll noch mag dieselbe Gewohn-
heit, wie alt sie wär, die also wieder das ge-
meine Recht, und wieder die Wahrheit ist,
kein sunder Recht machen noch bringen
. Rei
enim veritate inspecta non plures actus publice suscepti, sed
mutata principis voluntas factis declarata tollit legem autea
latam.

de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
ſeyn; und es wird der deutlichſte Beweiß erfordert, daß
ſie zu ſeiner Wiſſenſchaft gekommen. Sonſt bleibt es
bey der Regel: hundert Jahre Unrecht iſt keine
Stunde recht
. Denn ohnmoͤglich koͤnnen jene Ge-
ſetze, welche die Gewohnheiten im allgemeinen beſtaͤtti-
gen, ſo ausgelegt werden, als ob der Regent ſeinen Un-
terthanen die Befugniß ertheilet haͤtte, ſeinen einmahl
gegebenen Geſetzen, durch Einfuͤhrung anderer Gebraͤu-
che, ihre Kraft zu entziehen 65).

Da uͤbrigens die geſetzliche Kraft der Gewohnheiten
lediglich von der Einwilligung des Geſetzgebers abhaͤngt,
ſo verſteht ſich’s, daß die Guͤltigkeit derſelben nie weiter
ausgedehnet werden duͤrfe, als der Conſens des Geſetz-
gebers ſich erſtreckt. Haͤtte alſo der Landesherr ausdruͤck-
lich erklaͤrt, daß nur die alten guten Gewohnheiten allein,
oder nur dieienigen Gewohnheiten, welche er in ſein Ge-
ſetzbuch aufgenommen haͤtte, eine geſetzliche Kraft haben
ſollten, ſo ſind nur dieſe allein fuͤr guͤltig zu halten, und

kann
65) Es ſey mir erlaubt, hier eine vortrefliche Stelle aus des be-
ruͤhmten riccii Spicilegio iuris Germanici S. 2. u. folg. einzu-
ruͤcken: Quum omnem legis condendae et publicandae poteſta-
tem populus in principem transtulerit, et naturali ratione eius
ſit ſolvere, qui poteſt velle, fruſtra utique in principem legis-
latoria poteſtas foret collata, ſi civibus liceret, leges quas
vellent, contrario uſu vel pluribus actibus publice ſuſceptis,
legi contrariis antiquare. Graviter proinde et recte iam olim
in diplomate ſuo de a.
1360. pronunciavit Rudolphus IV. Ar-
chidux Auſtriae:
ſo ſoll noch mag dieſelbe Gewohn-
heit, wie alt ſie waͤr, die alſo wieder das ge-
meine Recht, und wieder die Wahrheit iſt,
kein ſunder Recht machen noch bringen
. Rei
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mutata principis voluntas factis declarata tollit legem autea
latam.
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[441/0461] de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. ſeyn; und es wird der deutlichſte Beweiß erfordert, daß ſie zu ſeiner Wiſſenſchaft gekommen. Sonſt bleibt es bey der Regel: hundert Jahre Unrecht iſt keine Stunde recht. Denn ohnmoͤglich koͤnnen jene Ge- ſetze, welche die Gewohnheiten im allgemeinen beſtaͤtti- gen, ſo ausgelegt werden, als ob der Regent ſeinen Un- terthanen die Befugniß ertheilet haͤtte, ſeinen einmahl gegebenen Geſetzen, durch Einfuͤhrung anderer Gebraͤu- che, ihre Kraft zu entziehen 65). Da uͤbrigens die geſetzliche Kraft der Gewohnheiten lediglich von der Einwilligung des Geſetzgebers abhaͤngt, ſo verſteht ſich’s, daß die Guͤltigkeit derſelben nie weiter ausgedehnet werden duͤrfe, als der Conſens des Geſetz- gebers ſich erſtreckt. Haͤtte alſo der Landesherr ausdruͤck- lich erklaͤrt, daß nur die alten guten Gewohnheiten allein, oder nur dieienigen Gewohnheiten, welche er in ſein Ge- ſetzbuch aufgenommen haͤtte, eine geſetzliche Kraft haben ſollten, ſo ſind nur dieſe allein fuͤr guͤltig zu halten, und kann 65) Es ſey mir erlaubt, hier eine vortrefliche Stelle aus des be- ruͤhmten riccii Spicilegio iuris Germanici S. 2. u. folg. einzu- ruͤcken: Quum omnem legis condendae et publicandae poteſta- tem populus in principem transtulerit, et naturali ratione eius ſit ſolvere, qui poteſt velle, fruſtra utique in principem legis- latoria poteſtas foret collata, ſi civibus liceret, leges quas vellent, contrario uſu vel pluribus actibus publice ſuſceptis, legi contrariis antiquare. Graviter proinde et recte iam olim in diplomate ſuo de a. 1360. pronunciavit Rudolphus IV. Ar- chidux Auſtriae: ſo ſoll noch mag dieſelbe Gewohn- heit, wie alt ſie waͤr, die alſo wieder das ge- meine Recht, und wieder die Wahrheit iſt, kein ſunder Recht machen noch bringen. Rei enim veritate inſpecta non plures actus publice ſuſcepti, ſed mutata principis voluntas factis declarata tollit legem autea latam.

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/461>, abgerufen am 29.03.2024.