Wilhelm hoffte nunmehr, da er die Gesell¬ schaft in so guter Disposition sah, sich auch mit ihr über das dichterische Verdienst der Stücke unterhalten zu können. Es ist nicht genug, sagte er zu ihnen, als sie des andern Tages wieder zusammen kamen, daß der Schauspieler ein Stück nur so oben hin an¬ sehe, dasselbe nach dem ersten Eindruck beur¬ theile, und ohne Prüfung sein Gefallen oder Mißfallen daran zu erkennen gebe. Dieß ist dem Zuschauer wohl erlaubt, der gerührt und unterhalten seyn, aber eigentlich nicht urtheilen will. Der Schauspieler dagegen soll von dem Stücke und von den Ursachen seines Lobes und Tadels Rechenschaft geben können: und wie will er das, wenn er nicht
Drittes Capitel.
Wilhelm hoffte nunmehr, da er die Geſell¬ ſchaft in ſo guter Dispoſition ſah, ſich auch mit ihr über das dichteriſche Verdienſt der Stücke unterhalten zu können. Es iſt nicht genug, ſagte er zu ihnen, als ſie des andern Tages wieder zuſammen kamen, daß der Schauſpieler ein Stück nur ſo oben hin an¬ ſehe, daſſelbe nach dem erſten Eindruck beur¬ theile, und ohne Prüfung ſein Gefallen oder Mißfallen daran zu erkennen gebe. Dieß iſt dem Zuſchauer wohl erlaubt, der gerührt und unterhalten ſeyn, aber eigentlich nicht urtheilen will. Der Schauſpieler dagegen ſoll von dem Stücke und von den Urſachen ſeines Lobes und Tadels Rechenſchaft geben können: und wie will er das, wenn er nicht
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Drittes Capitel.
Wilhelm hoffte nunmehr, da er die Geſell¬
ſchaft in ſo guter Dispoſition ſah, ſich auch
mit ihr über das dichteriſche Verdienſt der
Stücke unterhalten zu können. Es iſt nicht
genug, ſagte er zu ihnen, als ſie des andern
Tages wieder zuſammen kamen, daß der
Schauſpieler ein Stück nur ſo oben hin an¬
ſehe, daſſelbe nach dem erſten Eindruck beur¬
theile, und ohne Prüfung ſein Gefallen oder
Mißfallen daran zu erkennen gebe. Dieß
iſt dem Zuſchauer wohl erlaubt, der gerührt
und unterhalten ſeyn, aber eigentlich nicht
urtheilen will. Der Schauſpieler dagegen
ſoll von dem Stücke und von den Urſachen
ſeines Lobes und Tadels Rechenſchaft geben
können: und wie will er das, wenn er nicht
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/207>, abgerufen am 28.03.2024.
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