Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite





Das war eine Nacht! Wilhelm, nun übersteh
ich alles. Jch werde sie nicht wiedersehn.
O daß ich nicht an Deinen Hals fliegen, Dir mit
tausend Thränen und Entzükkungen ausdrükken kann,
mein Bester, all die Empfindungen, die mein Herz
bestürmen. Hier sizz ich und schnappe nach Luft,
suche mich zu beruhigen, und erwarte den Morgen,
und mit Sonnen Aufgang sind die Pferde bestellt.

Ach sie schläft ruhig und denkt nicht, daß sie
mich nie wieder sehen wird. Jch habe mich los-
gerissen, bin stark genug gewesen, in einem Ge-
spräche von zwey Stunden mein Vorhaben nicht
zu verrathen. Und Gott, welch ein Gespräch!

Albert hatte mir versprochen, gleich nach dem
Nachtessen mit Lotten im Garten zu seyn. Jch

stand
G 4





Das war eine Nacht! Wilhelm, nun uͤberſteh
ich alles. Jch werde ſie nicht wiederſehn.
O daß ich nicht an Deinen Hals fliegen, Dir mit
tauſend Thraͤnen und Entzuͤkkungen ausdruͤkken kann,
mein Beſter, all die Empfindungen, die mein Herz
beſtuͤrmen. Hier ſizz ich und ſchnappe nach Luft,
ſuche mich zu beruhigen, und erwarte den Morgen,
und mit Sonnen Aufgang ſind die Pferde beſtellt.

Ach ſie ſchlaͤft ruhig und denkt nicht, daß ſie
mich nie wieder ſehen wird. Jch habe mich los-
geriſſen, bin ſtark genug geweſen, in einem Ge-
ſpraͤche von zwey Stunden mein Vorhaben nicht
zu verrathen. Und Gott, welch ein Geſpraͤch!

Albert hatte mir verſprochen, gleich nach dem
Nachteſſen mit Lotten im Garten zu ſeyn. Jch

ſtand
G 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="diaryEntry">
        <pb facs="#f0103" n="103"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      </div>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="diaryEntry">
        <dateline> <hi rendition="#et">am 10. Sept.</hi> </dateline><lb/>
        <p><hi rendition="#in">D</hi>as war eine Nacht! Wilhelm, nun u&#x0364;ber&#x017F;teh<lb/>
ich alles. Jch werde &#x017F;ie nicht wieder&#x017F;ehn.<lb/>
O daß ich nicht an Deinen Hals fliegen, Dir mit<lb/>
tau&#x017F;end Thra&#x0364;nen und Entzu&#x0364;kkungen ausdru&#x0364;kken kann,<lb/>
mein Be&#x017F;ter, all die Empfindungen, die mein Herz<lb/>
be&#x017F;tu&#x0364;rmen. Hier &#x017F;izz ich und &#x017F;chnappe nach Luft,<lb/>
&#x017F;uche mich zu beruhigen, und erwarte den Morgen,<lb/>
und mit Sonnen Aufgang &#x017F;ind die Pferde be&#x017F;tellt.</p><lb/>
        <p>Ach &#x017F;ie &#x017F;chla&#x0364;ft ruhig und denkt nicht, daß &#x017F;ie<lb/>
mich nie wieder &#x017F;ehen wird. Jch habe mich los-<lb/>
geri&#x017F;&#x017F;en, bin &#x017F;tark genug gewe&#x017F;en, in einem Ge-<lb/>
&#x017F;pra&#x0364;che von zwey Stunden mein Vorhaben nicht<lb/>
zu verrathen. Und Gott, welch ein Ge&#x017F;pra&#x0364;ch!</p><lb/>
        <p>Albert hatte mir ver&#x017F;prochen, gleich nach dem<lb/>
Nachte&#x017F;&#x017F;en mit Lotten im Garten zu &#x017F;eyn. Jch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 4</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tand</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0103] am 10. Sept. Das war eine Nacht! Wilhelm, nun uͤberſteh ich alles. Jch werde ſie nicht wiederſehn. O daß ich nicht an Deinen Hals fliegen, Dir mit tauſend Thraͤnen und Entzuͤkkungen ausdruͤkken kann, mein Beſter, all die Empfindungen, die mein Herz beſtuͤrmen. Hier ſizz ich und ſchnappe nach Luft, ſuche mich zu beruhigen, und erwarte den Morgen, und mit Sonnen Aufgang ſind die Pferde beſtellt. Ach ſie ſchlaͤft ruhig und denkt nicht, daß ſie mich nie wieder ſehen wird. Jch habe mich los- geriſſen, bin ſtark genug geweſen, in einem Ge- ſpraͤche von zwey Stunden mein Vorhaben nicht zu verrathen. Und Gott, welch ein Geſpraͤch! Albert hatte mir verſprochen, gleich nach dem Nachteſſen mit Lotten im Garten zu ſeyn. Jch ſtand G 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/103
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/103>, abgerufen am 20.04.2024.