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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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der wahrsten Theilnehmung. Jch war zerstört,
und bin noch wüthend in mir. Jch wollte, daß
sich einer unterstünde mir's vorzuwerfen, daß ich
ihm den Degen durch den Leib stossen könnte!
Wenn ich Blur sähe würde mir's besser werden.
Ach ich hab hundertmal ein Messer ergriffen, um
diesem gedrängten Herzen Luft zu machen. Man
erzählt von einer edlen Art Pferde, die, wenn sie
schröklich erhizt und aufgejagt sind, sich selbst aus
Jnstinkt eine Ader aufbeissen, um sich zum Athem
zu helfen. So ist mir's oft, ich möchte mir eine
Ader öfnen, die mir die ewige Freyheit schaffte.




Jch habe meine Dimißion bey Hofe verlangt,
und werde sie, hoff ich erhalten, und ihr wer-
det mir verzeihen, daß ich nicht erst Permißion
dazu bey euch geholt habe. Jch mußte nun ein-
mal fort, und was ihr zu sagen hattet, um mir
das Bleiben einzureden weis ich all, und also --
Bring das meiner Mutter in einem Sästgen bey,
ich kann mir selbst nicht helfen, also mag sie sich's

gefallen



der wahrſten Theilnehmung. Jch war zerſtoͤrt,
und bin noch wuͤthend in mir. Jch wollte, daß
ſich einer unterſtuͤnde mir’s vorzuwerfen, daß ich
ihm den Degen durch den Leib ſtoſſen koͤnnte!
Wenn ich Blur ſaͤhe wuͤrde mir’s beſſer werden.
Ach ich hab hundertmal ein Meſſer ergriffen, um
dieſem gedraͤngten Herzen Luft zu machen. Man
erzaͤhlt von einer edlen Art Pferde, die, wenn ſie
ſchroͤklich erhizt und aufgejagt ſind, ſich ſelbſt aus
Jnſtinkt eine Ader aufbeiſſen, um ſich zum Athem
zu helfen. So iſt mir’s oft, ich moͤchte mir eine
Ader oͤfnen, die mir die ewige Freyheit ſchaffte.




Jch habe meine Dimißion bey Hofe verlangt,
und werde ſie, hoff ich erhalten, und ihr wer-
det mir verzeihen, daß ich nicht erſt Permißion
dazu bey euch geholt habe. Jch mußte nun ein-
mal fort, und was ihr zu ſagen hattet, um mir
das Bleiben einzureden weis ich all, und alſo —
Bring das meiner Mutter in einem Saͤſtgen bey,
ich kann mir ſelbſt nicht helfen, alſo mag ſie ſich’s

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[136/0024] der wahrſten Theilnehmung. Jch war zerſtoͤrt, und bin noch wuͤthend in mir. Jch wollte, daß ſich einer unterſtuͤnde mir’s vorzuwerfen, daß ich ihm den Degen durch den Leib ſtoſſen koͤnnte! Wenn ich Blur ſaͤhe wuͤrde mir’s beſſer werden. Ach ich hab hundertmal ein Meſſer ergriffen, um dieſem gedraͤngten Herzen Luft zu machen. Man erzaͤhlt von einer edlen Art Pferde, die, wenn ſie ſchroͤklich erhizt und aufgejagt ſind, ſich ſelbſt aus Jnſtinkt eine Ader aufbeiſſen, um ſich zum Athem zu helfen. So iſt mir’s oft, ich moͤchte mir eine Ader oͤfnen, die mir die ewige Freyheit ſchaffte. am 24. Merz. Jch habe meine Dimißion bey Hofe verlangt, und werde ſie, hoff ich erhalten, und ihr wer- det mir verzeihen, daß ich nicht erſt Permißion dazu bey euch geholt habe. Jch mußte nun ein- mal fort, und was ihr zu ſagen hattet, um mir das Bleiben einzureden weis ich all, und alſo — Bring das meiner Mutter in einem Saͤſtgen bey, ich kann mir ſelbſt nicht helfen, alſo mag ſie ſich’s gefallen

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/24>, abgerufen am 20.04.2024.