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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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spazieren, da werden auch die Hölzernsten warm, der Liebe Gold wird flüssig, und wie manches zärtliche Herz wurde glücklich im Freien an der Sonne, wo das Holz Feuer fing. Alte Leute gehn auch gern spazieren in der Natur, wenn es nicht weit geht, ein guter Kaffee und delicate Fische oder sonst was Gutes in Aussicht steht.

In diesem Städtchen lebte ein Mädchen, Namens Luise. Nicht weniger zärtlich als die andern war die gute Luise, nicht weniger liebte sie die Natur zum Spazierengehn; aber wie hölzern Einer auch war, Feuer fangen wollte Keiner, flüssig ward nie die Liebe, wie heiß die Sonne auch schien, wie sehr der junge Herr auch schwitzte. Ach, dem schönen Herzen voll Liebe entsprach Luisens Aeußeres nicht. Sie war nicht klein, glich nicht auffallend einem Bohnenstecken, noch einer Kegelkugel, ihr Gesicht war weder roth wie eine Klapperrose, noch blaß wie geronnene Milch vom Mond beleuchtet, aber sie war eben eigentlich gar nichts; sie war eben eins von den unglücklichen Wesen, deren Aeußeres gar nichts Bemerkbares hat, weder was Häßliches noch was Liebliches; die man wieder vergißt, wie oft man sie sieht, die gar keinen Widerhaken haben, welchen sie einschlagen können in ein ander Herz und daran sich festhalten, wie Flößer ihre Haken in Bäume oder Ufer, an denen sie vorbei fahren. Nicht einmal die Stimme hatte etwas Angreifliches, sie floß accurat wie ein Bächlein in einem kleinen Städtchen, welches verlegen ist, soll es zum obern oder zum untern Thore hinaus. Zudem redete Luise noch leise, daß, wer nicht haarscharf hörte, die Hände hinter die Ohren halten mußte, wenn er mit ihr conversiren wollte, eine Haltung, welche der Liebe nichts weniger als förderlich sein soll. Das gute Kind war schüchtern, hatte gar keine Ursache, zum Selbstbewußtsein zu kommen, wußte nicht, wenn sie was sagte, war es dumm oder war's gescheidt; im ersten Fall war es also besser, man verstand es nicht; zudem war es ihr oft, als müßte sie weinen, wenn sie lauter rede und den Mund weiter aufmache. Luise

spazieren, da werden auch die Hölzernsten warm, der Liebe Gold wird flüssig, und wie manches zärtliche Herz wurde glücklich im Freien an der Sonne, wo das Holz Feuer fing. Alte Leute gehn auch gern spazieren in der Natur, wenn es nicht weit geht, ein guter Kaffee und delicate Fische oder sonst was Gutes in Aussicht steht.

In diesem Städtchen lebte ein Mädchen, Namens Luise. Nicht weniger zärtlich als die andern war die gute Luise, nicht weniger liebte sie die Natur zum Spazierengehn; aber wie hölzern Einer auch war, Feuer fangen wollte Keiner, flüssig ward nie die Liebe, wie heiß die Sonne auch schien, wie sehr der junge Herr auch schwitzte. Ach, dem schönen Herzen voll Liebe entsprach Luisens Aeußeres nicht. Sie war nicht klein, glich nicht auffallend einem Bohnenstecken, noch einer Kegelkugel, ihr Gesicht war weder roth wie eine Klapperrose, noch blaß wie geronnene Milch vom Mond beleuchtet, aber sie war eben eigentlich gar nichts; sie war eben eins von den unglücklichen Wesen, deren Aeußeres gar nichts Bemerkbares hat, weder was Häßliches noch was Liebliches; die man wieder vergißt, wie oft man sie sieht, die gar keinen Widerhaken haben, welchen sie einschlagen können in ein ander Herz und daran sich festhalten, wie Flößer ihre Haken in Bäume oder Ufer, an denen sie vorbei fahren. Nicht einmal die Stimme hatte etwas Angreifliches, sie floß accurat wie ein Bächlein in einem kleinen Städtchen, welches verlegen ist, soll es zum obern oder zum untern Thore hinaus. Zudem redete Luise noch leise, daß, wer nicht haarscharf hörte, die Hände hinter die Ohren halten mußte, wenn er mit ihr conversiren wollte, eine Haltung, welche der Liebe nichts weniger als förderlich sein soll. Das gute Kind war schüchtern, hatte gar keine Ursache, zum Selbstbewußtsein zu kommen, wußte nicht, wenn sie was sagte, war es dumm oder war's gescheidt; im ersten Fall war es also besser, man verstand es nicht; zudem war es ihr oft, als müßte sie weinen, wenn sie lauter rede und den Mund weiter aufmache. Luise

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:45:11Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:45:11Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/10>, abgerufen am 28.03.2024.