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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ernähren standesgemäß und Kinder erziehen. Aber, und wenn ich kein Geld hätte? fragte Luise kleinlaut. O bitte, bitte, kein Wort mehr, sagte Herr Stößli, es beleidigt mich! Was denkt Ihr von mir! Wir Liberale haben es nicht wie die Aristokraten, wir fragen nach Geist, nicht nach Geld, darum sind wir auch die Herren der Zeit; denn der Geist ist es, der die Welt überwindet! rief er pathetisch aus. Da that sich plötzlich die Thüre auf, die Frau Spendvögtin trat herein mit zornigem Gesicht und sagte: So! Wer seid Ihr, und was habt Ihr da zu thun? -- Luise fiel vor Schreck ganz zusammen, aber ein Notar faßt sich, weiß manchmal sogar dem Unerwarteten zu begegnen. Verzeiht, Frau Spendvögtin, sagte er, es freut mich, unerwartet die Ehre zu haben, Ihre werthe Bekanntschaft zu machen. -- Ich danke für die Ehre, das wird eine saubere sein! Wer seid Ihr? wiederholte die Spendvögtin. -- Bitte um Vergebung, Frau Spendvögtin, ich bin der Notar Stößli, welcher sein Büreau hinter dem Waschhaus hat. -- Was hat der da zu thun? fragte Frau Spendvögtin. -- Verzeiht, Frau Spendvögtin, ich bin in ehrlichen Absichten da. Ich suchte schon lange eine Frau nach meinem Sinn, endlich habe ich das Glück, Jungfer Luise zu finden; ich habe die Hoffnung, sie sei mir nicht ungeneigt, wenn die Frau Spendvögtin ihre Einwilligung giebt, so wird Jungfer Luise keinen Anstand mehr nehmen, mir ihre werthe Hand zu geben und mich zum glücklichsten Menschen zu machen. -- Seid Ihr ein Narr, oder meint Ihr, ich sei einer, oder seid Ihr gar ein Komödiant? Ins Haus zu fallen, wie der Teufel durchs Kamin, und da mir nichts dir nichts Eine zur Frau wollen, seit wann ist das der Brauch? Ist das die neue Mode, der Zeitgeist? eiferte die Tante. -- Tante! Tante! sagte endlich Luise, es ist der Herr Notar Stößli, welcher mit mir Brautführer gewesen ist bei Julie, er brachte mir Nachricht von Julie. -- Ja, sagte Herr Stößli, und hörte dort so viel Gutes von Jungfer Luise, und meine Neigung wurde so bestärkt, daß ich so frei war um ihre Hand anzuhalten,

ernähren standesgemäß und Kinder erziehen. Aber, und wenn ich kein Geld hätte? fragte Luise kleinlaut. O bitte, bitte, kein Wort mehr, sagte Herr Stößli, es beleidigt mich! Was denkt Ihr von mir! Wir Liberale haben es nicht wie die Aristokraten, wir fragen nach Geist, nicht nach Geld, darum sind wir auch die Herren der Zeit; denn der Geist ist es, der die Welt überwindet! rief er pathetisch aus. Da that sich plötzlich die Thüre auf, die Frau Spendvögtin trat herein mit zornigem Gesicht und sagte: So! Wer seid Ihr, und was habt Ihr da zu thun? — Luise fiel vor Schreck ganz zusammen, aber ein Notar faßt sich, weiß manchmal sogar dem Unerwarteten zu begegnen. Verzeiht, Frau Spendvögtin, sagte er, es freut mich, unerwartet die Ehre zu haben, Ihre werthe Bekanntschaft zu machen. — Ich danke für die Ehre, das wird eine saubere sein! Wer seid Ihr? wiederholte die Spendvögtin. — Bitte um Vergebung, Frau Spendvögtin, ich bin der Notar Stößli, welcher sein Büreau hinter dem Waschhaus hat. — Was hat der da zu thun? fragte Frau Spendvögtin. — Verzeiht, Frau Spendvögtin, ich bin in ehrlichen Absichten da. Ich suchte schon lange eine Frau nach meinem Sinn, endlich habe ich das Glück, Jungfer Luise zu finden; ich habe die Hoffnung, sie sei mir nicht ungeneigt, wenn die Frau Spendvögtin ihre Einwilligung giebt, so wird Jungfer Luise keinen Anstand mehr nehmen, mir ihre werthe Hand zu geben und mich zum glücklichsten Menschen zu machen. — Seid Ihr ein Narr, oder meint Ihr, ich sei einer, oder seid Ihr gar ein Komödiant? Ins Haus zu fallen, wie der Teufel durchs Kamin, und da mir nichts dir nichts Eine zur Frau wollen, seit wann ist das der Brauch? Ist das die neue Mode, der Zeitgeist? eiferte die Tante. — Tante! Tante! sagte endlich Luise, es ist der Herr Notar Stößli, welcher mit mir Brautführer gewesen ist bei Julie, er brachte mir Nachricht von Julie. — Ja, sagte Herr Stößli, und hörte dort so viel Gutes von Jungfer Luise, und meine Neigung wurde so bestärkt, daß ich so frei war um ihre Hand anzuhalten,

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[0037] ernähren standesgemäß und Kinder erziehen. Aber, und wenn ich kein Geld hätte? fragte Luise kleinlaut. O bitte, bitte, kein Wort mehr, sagte Herr Stößli, es beleidigt mich! Was denkt Ihr von mir! Wir Liberale haben es nicht wie die Aristokraten, wir fragen nach Geist, nicht nach Geld, darum sind wir auch die Herren der Zeit; denn der Geist ist es, der die Welt überwindet! rief er pathetisch aus. Da that sich plötzlich die Thüre auf, die Frau Spendvögtin trat herein mit zornigem Gesicht und sagte: So! Wer seid Ihr, und was habt Ihr da zu thun? — Luise fiel vor Schreck ganz zusammen, aber ein Notar faßt sich, weiß manchmal sogar dem Unerwarteten zu begegnen. Verzeiht, Frau Spendvögtin, sagte er, es freut mich, unerwartet die Ehre zu haben, Ihre werthe Bekanntschaft zu machen. — Ich danke für die Ehre, das wird eine saubere sein! Wer seid Ihr? wiederholte die Spendvögtin. — Bitte um Vergebung, Frau Spendvögtin, ich bin der Notar Stößli, welcher sein Büreau hinter dem Waschhaus hat. — Was hat der da zu thun? fragte Frau Spendvögtin. — Verzeiht, Frau Spendvögtin, ich bin in ehrlichen Absichten da. Ich suchte schon lange eine Frau nach meinem Sinn, endlich habe ich das Glück, Jungfer Luise zu finden; ich habe die Hoffnung, sie sei mir nicht ungeneigt, wenn die Frau Spendvögtin ihre Einwilligung giebt, so wird Jungfer Luise keinen Anstand mehr nehmen, mir ihre werthe Hand zu geben und mich zum glücklichsten Menschen zu machen. — Seid Ihr ein Narr, oder meint Ihr, ich sei einer, oder seid Ihr gar ein Komödiant? Ins Haus zu fallen, wie der Teufel durchs Kamin, und da mir nichts dir nichts Eine zur Frau wollen, seit wann ist das der Brauch? Ist das die neue Mode, der Zeitgeist? eiferte die Tante. — Tante! Tante! sagte endlich Luise, es ist der Herr Notar Stößli, welcher mit mir Brautführer gewesen ist bei Julie, er brachte mir Nachricht von Julie. — Ja, sagte Herr Stößli, und hörte dort so viel Gutes von Jungfer Luise, und meine Neigung wurde so bestärkt, daß ich so frei war um ihre Hand anzuhalten,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:45:11Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:45:11Z)

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/37>, abgerufen am 18.04.2024.