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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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wurde ihr auch zugesagt, und also schied der liebe
Gott von ihr.

Wie nun die Stiefmutter mit ihrer Tochter
nach Hause kam und sah, daß sie beide kohlschwarz
und häßlich waren, die Stieftochter aber weiß
und schön, ward sie ihr im Herzen noch böser und
hatte nur im Sinn, wie sie ihr ein Leid anthun
könnte. Die Stieftochter aber hatte einen Bru-
der, Namens Reginer, den liebte sie sehr und er-
zählte ihm alles, was geschehen war. Der Bru-
der mahlte sich nun seine Schwester ab und hing
das Bild in seiner Stube auf, in des Königs
Schloß, bei dem er Kutscher war, und alle Tage
ging er davor stehen und dankte Gott für das
Glück seiner lieben Schwester. Nun war aber
gerade dem König, bei dem er diente, seine Ge-
mahlin verstorben, welche so schön gewesen war,
daß man keine finden konnte, die ihr gliche, und
der König war darüber in tiefer Trauer. Die
Hofdiener sahen es indessen dem Kutscher ab, wie
er täglich vor dem schönen Bilde stand, misgönn-
tens ihm und meldeten es dem König. Da ließ
dieser das Bild vor sich bringen, und sah, daß es
in allem seiner verstorbenen Frau glich, nur noch
schöner war, so daß er sich sterblich hinein verlieb-
te, und den Kutscher fragte, wen das Bild vor-
stellte? Als der Kutscher gesagt hatte, daß es sei-
ne Schwester wäre, entschloß sich der König, kei-
ne andere, als diese, zur Gemahlin zu nehmen,

wurde ihr auch zugeſagt, und alſo ſchied der liebe
Gott von ihr.

Wie nun die Stiefmutter mit ihrer Tochter
nach Hauſe kam und ſah, daß ſie beide kohlſchwarz
und haͤßlich waren, die Stieftochter aber weiß
und ſchoͤn, ward ſie ihr im Herzen noch boͤſer und
hatte nur im Sinn, wie ſie ihr ein Leid anthun
koͤnnte. Die Stieftochter aber hatte einen Bru-
der, Namens Reginer, den liebte ſie ſehr und er-
zaͤhlte ihm alles, was geſchehen war. Der Bru-
der mahlte ſich nun ſeine Schweſter ab und hing
das Bild in ſeiner Stube auf, in des Koͤnigs
Schloß, bei dem er Kutſcher war, und alle Tage
ging er davor ſtehen und dankte Gott fuͤr das
Gluͤck ſeiner lieben Schweſter. Nun war aber
gerade dem Koͤnig, bei dem er diente, ſeine Ge-
mahlin verſtorben, welche ſo ſchoͤn geweſen war,
daß man keine finden konnte, die ihr gliche, und
der Koͤnig war daruͤber in tiefer Trauer. Die
Hofdiener ſahen es indeſſen dem Kutſcher ab, wie
er taͤglich vor dem ſchoͤnen Bilde ſtand, misgoͤnn-
tens ihm und meldeten es dem Koͤnig. Da ließ
dieſer das Bild vor ſich bringen, und ſah, daß es
in allem ſeiner verſtorbenen Frau glich, nur noch
ſchoͤner war, ſo daß er ſich ſterblich hinein verlieb-
te, und den Kutſcher fragte, wen das Bild vor-
ſtellte? Als der Kutſcher geſagt hatte, daß es ſei-
ne Schweſter waͤre, entſchloß ſich der Koͤnig, kei-
ne andere, als dieſe, zur Gemahlin zu nehmen,

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[254/0275] wurde ihr auch zugeſagt, und alſo ſchied der liebe Gott von ihr. Wie nun die Stiefmutter mit ihrer Tochter nach Hauſe kam und ſah, daß ſie beide kohlſchwarz und haͤßlich waren, die Stieftochter aber weiß und ſchoͤn, ward ſie ihr im Herzen noch boͤſer und hatte nur im Sinn, wie ſie ihr ein Leid anthun koͤnnte. Die Stieftochter aber hatte einen Bru- der, Namens Reginer, den liebte ſie ſehr und er- zaͤhlte ihm alles, was geſchehen war. Der Bru- der mahlte ſich nun ſeine Schweſter ab und hing das Bild in ſeiner Stube auf, in des Koͤnigs Schloß, bei dem er Kutſcher war, und alle Tage ging er davor ſtehen und dankte Gott fuͤr das Gluͤck ſeiner lieben Schweſter. Nun war aber gerade dem Koͤnig, bei dem er diente, ſeine Ge- mahlin verſtorben, welche ſo ſchoͤn geweſen war, daß man keine finden konnte, die ihr gliche, und der Koͤnig war daruͤber in tiefer Trauer. Die Hofdiener ſahen es indeſſen dem Kutſcher ab, wie er taͤglich vor dem ſchoͤnen Bilde ſtand, misgoͤnn- tens ihm und meldeten es dem Koͤnig. Da ließ dieſer das Bild vor ſich bringen, und ſah, daß es in allem ſeiner verſtorbenen Frau glich, nur noch ſchoͤner war, ſo daß er ſich ſterblich hinein verlieb- te, und den Kutſcher fragte, wen das Bild vor- ſtellte? Als der Kutſcher geſagt hatte, daß es ſei- ne Schweſter waͤre, entſchloß ſich der Koͤnig, kei- ne andere, als dieſe, zur Gemahlin zu nehmen,

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/275>, abgerufen am 19.04.2024.