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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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35.
Die himmlische Hochzeit.

(Aus dem Mecklenburg.) Gränzt an die Legende
und ist doch auch ganz kindermärchenhaft. Der un-
schuldige Glauben an die Worte Gottes, führt selbst
beim Mißverständniß doch zur Seligkeit. Uebrigens
merkwürdige Einstimmung mit einem indischen My-
thus von einem Götterbild, welches das verzehrt,
was ihm auch ein unschuldiger Knabe vorsetzt. (Po-
lier II. 302. 303.)

36.
Die lange Nase.

(Aus Zwehrn.) Die Sage vom Fortunat, die
sich auch als eine deutsche ausweist, denn nach dem
Volksbuch ist diese Erzählung offenbar nicht gemacht,
sondern hier viel alterthümlicher und einfacher. (Vgl.
I. Nr. 36. 37.) Der Wünschmantel und das
Horn kommen da gar nicht vor, sondern ein Hut
und ein Seckel; die Gesta Romanor. haben alles
noch viel einfacher: im Fortunat wachsen statt der
Nasen Hörner, in den Gestis Romanor. entsteht
der Aussatz (eben so kommen in Helwig jüdisch.
Geschichten Nr. 38. zwei Aepfelbäume vor, wo die
Frucht des einen aussätzig macht, die des andern
heilt). Da die Alten schon, wie wir, mancherlei
Sprüchwörter von der langen Nase hatten, so mag
ihnen auch eine ähnliche Fabel bekannt gewesen seyn
z. B. bei Martial: nasus, qualem nolnerit ferre ro-
gatus Atlas.
-- Der D. Faust kann sich auf eine
wirkliche Person gründen, um die sich viel ältere Sa-
gen gesammelt haben; sein Name ist mythisch und
weil er den Wünschmantel besitzt, heißt er der
Begabte, das Glückskind, Wünschkind faustus wie
fortunatus.

Das gedruckte Buch wurde zuerst im 15 Jahrh.
vermuthlich aus Volkssagen in spanisch niedergeschrie-
ben, wie schon die Eigennamen darin: Andalosia,
Marsepia, Ampedo, beweisen.

35.
Die himmliſche Hochzeit.

(Aus dem Mecklenburg.) Graͤnzt an die Legende
und iſt doch auch ganz kindermaͤrchenhaft. Der un-
ſchuldige Glauben an die Worte Gottes, fuͤhrt ſelbſt
beim Mißverſtaͤndniß doch zur Seligkeit. Uebrigens
merkwuͤrdige Einſtimmung mit einem indiſchen My-
thus von einem Goͤtterbild, welches das verzehrt,
was ihm auch ein unſchuldiger Knabe vorſetzt. (Po-
lier II. 302. 303.)

36.
Die lange Naſe.

(Aus Zwehrn.) Die Sage vom Fortunat, die
ſich auch als eine deutſche ausweiſt, denn nach dem
Volksbuch iſt dieſe Erzaͤhlung offenbar nicht gemacht,
ſondern hier viel alterthuͤmlicher und einfacher. (Vgl.
I. Nr. 36. 37.) Der Wuͤnſchmantel und das
Horn kommen da gar nicht vor, ſondern ein Hut
und ein Seckel; die Geſta Romanor. haben alles
noch viel einfacher: im Fortunat wachſen ſtatt der
Naſen Hoͤrner, in den Geſtis Romanor. entſteht
der Ausſatz (eben ſo kommen in Helwig juͤdiſch.
Geſchichten Nr. 38. zwei Aepfelbaͤume vor, wo die
Frucht des einen ausſaͤtzig macht, die des andern
heilt). Da die Alten ſchon, wie wir, mancherlei
Spruͤchwoͤrter von der langen Naſe hatten, ſo mag
ihnen auch eine aͤhnliche Fabel bekannt geweſen ſeyn
z. B. bei Martial: naſus, qualem nolnerit ferre ro-
gatus Atlas.
— Der D. Fauſt kann ſich auf eine
wirkliche Perſon gruͤnden, um die ſich viel aͤltere Sa-
gen geſammelt haben; ſein Name iſt mythiſch und
weil er den Wuͤnſchmantel beſitzt, heißt er der
Begabte, das Gluͤckskind, Wuͤnſchkind fauſtus wie
fortunatus.

Das gedruckte Buch wurde zuerſt im 15 Jahrh.
vermuthlich aus Volksſagen in ſpaniſch niedergeſchrie-
ben, wie ſchon die Eigennamen darin: Andaloſia,
Marſepia, Ampedo, beweiſen.

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[XXXII/0351] 35. Die himmliſche Hochzeit. (Aus dem Mecklenburg.) Graͤnzt an die Legende und iſt doch auch ganz kindermaͤrchenhaft. Der un- ſchuldige Glauben an die Worte Gottes, fuͤhrt ſelbſt beim Mißverſtaͤndniß doch zur Seligkeit. Uebrigens merkwuͤrdige Einſtimmung mit einem indiſchen My- thus von einem Goͤtterbild, welches das verzehrt, was ihm auch ein unſchuldiger Knabe vorſetzt. (Po- lier II. 302. 303.) 36. Die lange Naſe. (Aus Zwehrn.) Die Sage vom Fortunat, die ſich auch als eine deutſche ausweiſt, denn nach dem Volksbuch iſt dieſe Erzaͤhlung offenbar nicht gemacht, ſondern hier viel alterthuͤmlicher und einfacher. (Vgl. I. Nr. 36. 37.) Der Wuͤnſchmantel und das Horn kommen da gar nicht vor, ſondern ein Hut und ein Seckel; die Geſta Romanor. haben alles noch viel einfacher: im Fortunat wachſen ſtatt der Naſen Hoͤrner, in den Geſtis Romanor. entſteht der Ausſatz (eben ſo kommen in Helwig juͤdiſch. Geſchichten Nr. 38. zwei Aepfelbaͤume vor, wo die Frucht des einen ausſaͤtzig macht, die des andern heilt). Da die Alten ſchon, wie wir, mancherlei Spruͤchwoͤrter von der langen Naſe hatten, ſo mag ihnen auch eine aͤhnliche Fabel bekannt geweſen ſeyn z. B. bei Martial: naſus, qualem nolnerit ferre ro- gatus Atlas. — Der D. Fauſt kann ſich auf eine wirkliche Perſon gruͤnden, um die ſich viel aͤltere Sa- gen geſammelt haben; ſein Name iſt mythiſch und weil er den Wuͤnſchmantel beſitzt, heißt er der Begabte, das Gluͤckskind, Wuͤnſchkind fauſtus wie fortunatus. Das gedruckte Buch wurde zuerſt im 15 Jahrh. vermuthlich aus Volksſagen in ſpaniſch niedergeſchrie- ben, wie ſchon die Eigennamen darin: Andaloſia, Marſepia, Ampedo, beweiſen.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. XXXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/351>, abgerufen am 29.03.2024.