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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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ist ein alter Zug s. Hymisquida Str. 8. Anmer-
kung 20.

40.
Ferenand getrü un Ferenand ungetrü.

(Aus dem Paderbörn.) Das schöne Märchen
scheint nicht vollständig, es müßte im Zusammenhang
stehen, wenn der Schimmel zuletzt ein Königssohn
wird. Der rothe Faden am Hals des wieder leben-
dig gemachten ist sagenmäßig. Ueber das Gevatter-
bitten vgl. den Gevatter Tod I. 44. Die Flöte, die
rettet, gleicht Arions Laute, das getreue Pferd dem
Bayard, Falada, dem Schemik (altdeutsch: Schim-
mel, Schimmung, isl. Skemmingur) der böhmischen
Sage und Grani der nordischen. Zu merken sind die
Schriften der Königin, entweder gestickte Kleider,
wie das isländ. skript und bökur (Bücher, Zeichnun-
gen, Stickereien) oder Runenstäbe; wenigstens ist
die gefundene Schreibfeder gewiß ein solcher. -- Die
Verse, wie gewöhnlich die Reden der Vornehmen,
sind hochdeutsch, das pflegen die Erzähler fast immer
so zu halten, wo sie beide Sprachen verstehen, wie
dies im Paderbörn häufig ist, und die höhere Mund-
art bezeichnet dann die Sprache der Vornehmen und
der Poesie.

41.
Eisenofen.

(Aus Zwehrn.) Dem Hauptinhalt nach verwandt
mit König Schwan (I. 59.) Löweneckerchen (II. 2.)
den zwei Königskindern (II. 27.) und dem schönen
Märchen Pintosmauto im Pentameron, wo die
treue Gemahlin den König, der sie vergaß, nicht nur
aus Gefahren gerettet, sondern selbst erschaffen hatte.

Das Unterschieben der falschen Braut, die sich zu
leicht an ihres Vaters unkönigliches Handwerk erinnert,
war schon im Hurlebutz (I. 66.) vergl. Wolsunga S.
C. 21. und altd. Wälder I. 71.

Der dunkle und feurige Ofen, worein der Kö-
nigssohn verwünscht ist, bedeutet ohne Zweifel die
Hölle, Unterwelt, den Orcus, wo der finstere
Tod haust, aber auch die Schmiedeesse steht. Damit

iſt ein alter Zug ſ. Hymisquida Str. 8. Anmer-
kung 20.

40.
Ferenand getruͤ un Ferenand ungetruͤ.

(Aus dem Paderboͤrn.) Das ſchoͤne Maͤrchen
ſcheint nicht vollſtaͤndig, es muͤßte im Zuſammenhang
ſtehen, wenn der Schimmel zuletzt ein Koͤnigsſohn
wird. Der rothe Faden am Hals des wieder leben-
dig gemachten iſt ſagenmaͤßig. Ueber das Gevatter-
bitten vgl. den Gevatter Tod I. 44. Die Floͤte, die
rettet, gleicht Arions Laute, das getreue Pferd dem
Bayard, Falada, dem Schemik (altdeutſch: Schim-
mel, Schimmung, iſl. Skemmingur) der boͤhmiſchen
Sage und Grani der nordiſchen. Zu merken ſind die
Schriften der Koͤnigin, entweder geſtickte Kleider,
wie das islaͤnd. ſkript und boͤkur (Buͤcher, Zeichnun-
gen, Stickereien) oder Runenſtaͤbe; wenigſtens iſt
die gefundene Schreibfeder gewiß ein ſolcher. — Die
Verſe, wie gewoͤhnlich die Reden der Vornehmen,
ſind hochdeutſch, das pflegen die Erzaͤhler faſt immer
ſo zu halten, wo ſie beide Sprachen verſtehen, wie
dies im Paderboͤrn haͤufig iſt, und die hoͤhere Mund-
art bezeichnet dann die Sprache der Vornehmen und
der Poeſie.

41.
Eiſenofen.

(Aus Zwehrn.) Dem Hauptinhalt nach verwandt
mit Koͤnig Schwan (I. 59.) Loͤweneckerchen (II. 2.)
den zwei Koͤnigskindern (II. 27.) und dem ſchoͤnen
Maͤrchen Pintoſmauto im Pentameron, wo die
treue Gemahlin den Koͤnig, der ſie vergaß, nicht nur
aus Gefahren gerettet, ſondern ſelbſt erſchaffen hatte.

Das Unterſchieben der falſchen Braut, die ſich zu
leicht an ihres Vaters unkoͤnigliches Handwerk erinnert,
war ſchon im Hurlebutz (I. 66.) vergl. Wolſunga S.
C. 21. und altd. Waͤlder I. 71.

Der dunkle und feurige Ofen, worein der Koͤ-
nigsſohn verwuͤnſcht iſt, bedeutet ohne Zweifel die
Hoͤlle, Unterwelt, den Orcus, wo der finſtere
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[XXXIV/0353] iſt ein alter Zug ſ. Hymisquida Str. 8. Anmer- kung 20. 40. Ferenand getruͤ un Ferenand ungetruͤ. (Aus dem Paderboͤrn.) Das ſchoͤne Maͤrchen ſcheint nicht vollſtaͤndig, es muͤßte im Zuſammenhang ſtehen, wenn der Schimmel zuletzt ein Koͤnigsſohn wird. Der rothe Faden am Hals des wieder leben- dig gemachten iſt ſagenmaͤßig. Ueber das Gevatter- bitten vgl. den Gevatter Tod I. 44. Die Floͤte, die rettet, gleicht Arions Laute, das getreue Pferd dem Bayard, Falada, dem Schemik (altdeutſch: Schim- mel, Schimmung, iſl. Skemmingur) der boͤhmiſchen Sage und Grani der nordiſchen. Zu merken ſind die Schriften der Koͤnigin, entweder geſtickte Kleider, wie das islaͤnd. ſkript und boͤkur (Buͤcher, Zeichnun- gen, Stickereien) oder Runenſtaͤbe; wenigſtens iſt die gefundene Schreibfeder gewiß ein ſolcher. — Die Verſe, wie gewoͤhnlich die Reden der Vornehmen, ſind hochdeutſch, das pflegen die Erzaͤhler faſt immer ſo zu halten, wo ſie beide Sprachen verſtehen, wie dies im Paderboͤrn haͤufig iſt, und die hoͤhere Mund- art bezeichnet dann die Sprache der Vornehmen und der Poeſie. 41. Eiſenofen. (Aus Zwehrn.) Dem Hauptinhalt nach verwandt mit Koͤnig Schwan (I. 59.) Loͤweneckerchen (II. 2.) den zwei Koͤnigskindern (II. 27.) und dem ſchoͤnen Maͤrchen Pintoſmauto im Pentameron, wo die treue Gemahlin den Koͤnig, der ſie vergaß, nicht nur aus Gefahren gerettet, ſondern ſelbſt erſchaffen hatte. Das Unterſchieben der falſchen Braut, die ſich zu leicht an ihres Vaters unkoͤnigliches Handwerk erinnert, war ſchon im Hurlebutz (I. 66.) vergl. Wolſunga S. C. 21. und altd. Waͤlder I. 71. Der dunkle und feurige Ofen, worein der Koͤ- nigsſohn verwuͤnſcht iſt, bedeutet ohne Zweifel die Hoͤlle, Unterwelt, den Orcus, wo der finſtere Tod hauſt, aber auch die Schmiedeeſſe ſteht. Damit

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. XXXIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/353>, abgerufen am 25.04.2024.