Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

noch ein Paar Schritte gethan, da war er bei der
Furche, nahm den kleinen Däumling heraus und
ging mit ihm fort. Der Vater stand dabei,
konnte vor Schreck kein Wort sprechen und
glaubte, sein Kind wäre nun verloren also, daß
er's sein lebtag nicht wieder sehen würde.

Der Riese aber nahm es mit sich und ließ
es an seiner Brust saugen und der Däumling
wuchs und ward groß und stark nach Riesen-Art
und als zwei Jahre herum waren, ging der Alte
mit ihm in den Wald und wollt' ihn versuchen
und sprach: "zieh dir da eine Gerte heraus."
Da war der Knabe schon so stark, daß er einen
jungen Baum mit den Wurzeln aus der Erde riß.
Der Riese aber dachte, das muß besser kommen
und nahm ihn wieder mit, säugte ihn noch zwei
Jahre und als er ihn da in den Wald führte, sich
zu versuchen, riß er schon einen viel größeren
Baum heraus. Das war aber dem Riesen noch
nicht genug und er säugte ihn noch zwei Jahre,
ging dann mit ihm in den Wald und sprach:
"nun reiß einmal eine ordentliche Gerte aus."
Da riß der Junge den dicksten Eichenbaum aus
der Erde, daß es krachte und war ihm nur ein
Spaß. Wie der alte Riese das sah, sprach er,
nun ist's gut, du hast ausgelernt, und führte ihn
zurück zu dem Acker, wo er ihn geholt hatte.
Sein Vater pflügte gerade wieder, da ging der
junge Riese auf ihn zu und sprach: "sieht er

noch ein Paar Schritte gethan, da war er bei der
Furche, nahm den kleinen Daͤumling heraus und
ging mit ihm fort. Der Vater ſtand dabei,
konnte vor Schreck kein Wort ſprechen und
glaubte, ſein Kind waͤre nun verloren alſo, daß
er’s ſein lebtag nicht wieder ſehen wuͤrde.

Der Rieſe aber nahm es mit ſich und ließ
es an ſeiner Bruſt ſaugen und der Daͤumling
wuchs und ward groß und ſtark nach Rieſen-Art
und als zwei Jahre herum waren, ging der Alte
mit ihm in den Wald und wollt’ ihn verſuchen
und ſprach: „zieh dir da eine Gerte heraus.“
Da war der Knabe ſchon ſo ſtark, daß er einen
jungen Baum mit den Wurzeln aus der Erde riß.
Der Rieſe aber dachte, das muß beſſer kommen
und nahm ihn wieder mit, ſaͤugte ihn noch zwei
Jahre und als er ihn da in den Wald fuͤhrte, ſich
zu verſuchen, riß er ſchon einen viel groͤßeren
Baum heraus. Das war aber dem Rieſen noch
nicht genug und er ſaͤugte ihn noch zwei Jahre,
ging dann mit ihm in den Wald und ſprach:
„nun reiß einmal eine ordentliche Gerte aus.“
Da riß der Junge den dickſten Eichenbaum aus
der Erde, daß es krachte und war ihm nur ein
Spaß. Wie der alte Rieſe das ſah, ſprach er,
nun iſt’s gut, du haſt ausgelernt, und fuͤhrte ihn
zuruͤck zu dem Acker, wo er ihn geholt hatte.
Sein Vater pfluͤgte gerade wieder, da ging der
junge Rieſe auf ihn zu und ſprach: „ſieht er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0047" n="26"/>
noch ein Paar Schritte gethan, da war er bei der<lb/>
Furche, nahm den kleinen Da&#x0364;umling heraus und<lb/>
ging mit ihm fort. Der Vater &#x017F;tand dabei,<lb/>
konnte vor Schreck kein Wort &#x017F;prechen und<lb/>
glaubte, &#x017F;ein Kind wa&#x0364;re nun verloren al&#x017F;o, daß<lb/>
er&#x2019;s &#x017F;ein lebtag nicht wieder &#x017F;ehen wu&#x0364;rde.</p><lb/>
        <p>Der Rie&#x017F;e aber nahm es mit &#x017F;ich und ließ<lb/>
es an &#x017F;einer Bru&#x017F;t &#x017F;augen und der Da&#x0364;umling<lb/>
wuchs und ward groß und &#x017F;tark nach Rie&#x017F;en-Art<lb/>
und als zwei Jahre herum waren, ging der Alte<lb/>
mit ihm in den Wald und wollt&#x2019; ihn ver&#x017F;uchen<lb/>
und &#x017F;prach: &#x201E;zieh dir da eine Gerte heraus.&#x201C;<lb/>
Da war der Knabe &#x017F;chon &#x017F;o &#x017F;tark, daß er einen<lb/>
jungen Baum mit den Wurzeln aus der Erde riß.<lb/>
Der Rie&#x017F;e aber dachte, das muß be&#x017F;&#x017F;er kommen<lb/>
und nahm ihn wieder mit, &#x017F;a&#x0364;ugte ihn noch zwei<lb/>
Jahre und als er ihn da in den Wald fu&#x0364;hrte, &#x017F;ich<lb/>
zu ver&#x017F;uchen, riß er &#x017F;chon einen viel gro&#x0364;ßeren<lb/>
Baum heraus. Das war aber dem Rie&#x017F;en noch<lb/>
nicht genug und er &#x017F;a&#x0364;ugte ihn noch zwei Jahre,<lb/>
ging dann mit ihm in den Wald und &#x017F;prach:<lb/>
&#x201E;nun reiß einmal eine ordentliche Gerte aus.&#x201C;<lb/>
Da riß der Junge den dick&#x017F;ten Eichenbaum aus<lb/>
der Erde, daß es krachte und war ihm nur ein<lb/>
Spaß. Wie der alte Rie&#x017F;e das &#x017F;ah, &#x017F;prach er,<lb/>
nun i&#x017F;t&#x2019;s gut, du ha&#x017F;t ausgelernt, und fu&#x0364;hrte ihn<lb/>
zuru&#x0364;ck zu dem Acker, wo er ihn geholt hatte.<lb/>
Sein Vater pflu&#x0364;gte gerade wieder, da ging der<lb/>
junge Rie&#x017F;e auf ihn zu und &#x017F;prach: &#x201E;&#x017F;ieht er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0047] noch ein Paar Schritte gethan, da war er bei der Furche, nahm den kleinen Daͤumling heraus und ging mit ihm fort. Der Vater ſtand dabei, konnte vor Schreck kein Wort ſprechen und glaubte, ſein Kind waͤre nun verloren alſo, daß er’s ſein lebtag nicht wieder ſehen wuͤrde. Der Rieſe aber nahm es mit ſich und ließ es an ſeiner Bruſt ſaugen und der Daͤumling wuchs und ward groß und ſtark nach Rieſen-Art und als zwei Jahre herum waren, ging der Alte mit ihm in den Wald und wollt’ ihn verſuchen und ſprach: „zieh dir da eine Gerte heraus.“ Da war der Knabe ſchon ſo ſtark, daß er einen jungen Baum mit den Wurzeln aus der Erde riß. Der Rieſe aber dachte, das muß beſſer kommen und nahm ihn wieder mit, ſaͤugte ihn noch zwei Jahre und als er ihn da in den Wald fuͤhrte, ſich zu verſuchen, riß er ſchon einen viel groͤßeren Baum heraus. Das war aber dem Rieſen noch nicht genug und er ſaͤugte ihn noch zwei Jahre, ging dann mit ihm in den Wald und ſprach: „nun reiß einmal eine ordentliche Gerte aus.“ Da riß der Junge den dickſten Eichenbaum aus der Erde, daß es krachte und war ihm nur ein Spaß. Wie der alte Rieſe das ſah, ſprach er, nun iſt’s gut, du haſt ausgelernt, und fuͤhrte ihn zuruͤck zu dem Acker, wo er ihn geholt hatte. Sein Vater pfluͤgte gerade wieder, da ging der junge Rieſe auf ihn zu und ſprach: „ſieht er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/47
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/47>, abgerufen am 24.04.2024.