Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite
197.
Die Krystallkugel.

Es war einmal eine Zauberin, die hatte drei Söhne, die sich brüderlich liebten: aber die Alte traute ihnen nicht und dachte sie wollten ihr ihre Macht rauben. Da verwandelte sie den ältesten in einen Adler, der mußte auf einem Felsengebirge hausen und man sah ihn manchmal am Himmel in großen Kreißen auf und nieder schweben. Den zweiten verwandelte sie in einen Wallfisch, der lebte im tiefen Meer und man sah nur wie er zuweilen einen mächtigen Wasserstrahl in die Höhe warf. Beide hatten nur zwei Stunden jeden Tag ihre menschliche Gestalt. Der dritte Sohn fürchtete sie möchte ihn auch in ein reißendes Thier verwandeln, in einen Bären oder einen Wolf, und gieng heimlich fort. Er hatte aber gehört, daß auf dem Schloß der goldnen Sonne eine verwünschte Königstochter säße, die auf Erlösung harrte. Es müßte aber jeder sein Leben daran wagen, schon drei und zwanzig Jünglinge wären eines jämmerlichen Todes gestorben, und nur noch einer übrig, dann dürfte keiner mehr kommen. Und da sein Herz ohne Furcht war, so faßte er den Entschluß das Schloß von der goldnen Sonne aufzusuchen. Er war schon lange Zeit herum gezogen, und hatte es nicht finden können, da gerieth er in einen

197.
Die Krystallkugel.

Es war einmal eine Zauberin, die hatte drei Söhne, die sich brüderlich liebten: aber die Alte traute ihnen nicht und dachte sie wollten ihr ihre Macht rauben. Da verwandelte sie den ältesten in einen Adler, der mußte auf einem Felsengebirge hausen und man sah ihn manchmal am Himmel in großen Kreißen auf und nieder schweben. Den zweiten verwandelte sie in einen Wallfisch, der lebte im tiefen Meer und man sah nur wie er zuweilen einen mächtigen Wasserstrahl in die Höhe warf. Beide hatten nur zwei Stunden jeden Tag ihre menschliche Gestalt. Der dritte Sohn fürchtete sie möchte ihn auch in ein reißendes Thier verwandeln, in einen Bären oder einen Wolf, und gieng heimlich fort. Er hatte aber gehört, daß auf dem Schloß der goldnen Sonne eine verwünschte Königstochter säße, die auf Erlösung harrte. Es müßte aber jeder sein Leben daran wagen, schon drei und zwanzig Jünglinge wären eines jämmerlichen Todes gestorben, und nur noch einer übrig, dann dürfte keiner mehr kommen. Und da sein Herz ohne Furcht war, so faßte er den Entschluß das Schloß von der goldnen Sonne aufzusuchen. Er war schon lange Zeit herum gezogen, und hatte es nicht finden können, da gerieth er in einen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0535" n="523"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">197.<lb/>
Die Krystallkugel.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s war einmal eine Zauberin, die hatte drei Söhne, die sich brüderlich liebten: aber die Alte traute ihnen nicht und dachte sie wollten ihr ihre Macht rauben. Da verwandelte sie den ältesten in einen Adler, der mußte auf einem Felsengebirge hausen und man sah ihn manchmal am Himmel in großen Kreißen auf und nieder schweben. Den zweiten verwandelte sie in einen Wallfisch, der lebte im tiefen Meer und man sah nur wie er zuweilen einen mächtigen Wasserstrahl in die Höhe warf. Beide hatten nur zwei Stunden jeden Tag ihre menschliche Gestalt. Der dritte Sohn fürchtete sie möchte ihn auch in ein reißendes Thier verwandeln, in einen Bären oder einen Wolf, und gieng heimlich fort. Er hatte aber gehört, daß auf dem Schloß der goldnen Sonne eine verwünschte Königstochter säße, die auf Erlösung harrte. Es müßte aber jeder sein Leben daran wagen, schon drei und zwanzig Jünglinge wären eines jämmerlichen Todes gestorben, und nur noch einer übrig, dann dürfte keiner mehr kommen. Und da sein Herz ohne Furcht war, so faßte er den Entschluß das Schloß von der goldnen Sonne aufzusuchen. Er war schon lange Zeit herum gezogen, und hatte es nicht finden können, da gerieth er in einen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[523/0535] 197. Die Krystallkugel. Es war einmal eine Zauberin, die hatte drei Söhne, die sich brüderlich liebten: aber die Alte traute ihnen nicht und dachte sie wollten ihr ihre Macht rauben. Da verwandelte sie den ältesten in einen Adler, der mußte auf einem Felsengebirge hausen und man sah ihn manchmal am Himmel in großen Kreißen auf und nieder schweben. Den zweiten verwandelte sie in einen Wallfisch, der lebte im tiefen Meer und man sah nur wie er zuweilen einen mächtigen Wasserstrahl in die Höhe warf. Beide hatten nur zwei Stunden jeden Tag ihre menschliche Gestalt. Der dritte Sohn fürchtete sie möchte ihn auch in ein reißendes Thier verwandeln, in einen Bären oder einen Wolf, und gieng heimlich fort. Er hatte aber gehört, daß auf dem Schloß der goldnen Sonne eine verwünschte Königstochter säße, die auf Erlösung harrte. Es müßte aber jeder sein Leben daran wagen, schon drei und zwanzig Jünglinge wären eines jämmerlichen Todes gestorben, und nur noch einer übrig, dann dürfte keiner mehr kommen. Und da sein Herz ohne Furcht war, so faßte er den Entschluß das Schloß von der goldnen Sonne aufzusuchen. Er war schon lange Zeit herum gezogen, und hatte es nicht finden können, da gerieth er in einen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-03T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850/535
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850/535>, abgerufen am 28.03.2024.