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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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Schon lange vordem, ehe das in Deutschland zu gelten
anfing, was in meiner ganzen Abhandlung unter dem Mei-
stergesang verstanden wird, waren Gesänge und Sänger. Was
die Gesänge angeht, so zeigte sich in ihnen ein höchst einfa-
ches und einförmiges Gebäude; wir haben wenig Gründe zu
bezweifeln, daß die Weisen von vier langen Zeilen das alte
und recht volksmäßige Maas gewesen, aber wir dürfen dieß
nicht auf die epischen Lieder beschränken. Auch alte Minne-
lieder, und gewiß im zwölften Jahrhundert, haben sich darin
bewegt, gerade wie deren noch einige in der maneßischen Samm-
lung stehen, obwohl diese zum größten Theil neuer gedich-
tet sind 17).

Sodann aber ist wieder kein Bedenken, daß die Dichter
und Sänger einen eigenen Stand gebildet, der unter dem Volk
und an den Höfen herum gezogen und auf irgend eine Weise
zusammen gehalten hat.

Aus diesem Bestehenden und Alten ging nun ein Neues
hervor, wohin schon auf eine nicht zu übersehende Art der

17) Wie will man anders die Fragmente des alten Titurels erklä-
ren, der noch vor Veldeck fällt? Hier ist nämlich bei der Aehn-
lichkeit einzelner Wendungen ein großer Abstand vom Stil der
Nibelungen, aber auch noch gar wenig von der ausschweifen-
den spätern Manier. Die Form ganz einfach und ohne Mei-
stersängerisches. -- Will man mir aber einwerfen, warum ich
denn die adliche Minnepoesie nicht als eine Fortsetzung solcher
alten Lieder, unabhängig vom Meisterwesen, gelten lasse? so
ist die Antwort: eben weil die adlichen Dichter sich höchst
wahrscheinlich und einige erweislich nach den armen gebildet,
und weil ihre Lieder das entscheidend meisterfängerische an sich
tragen. Denn gewöhnlich haben wir von ihnen auch recht künst-
liche Gesänge, den Kürenberger etwa könnte man für einen
älteren Dichter halten, der noch nichts von unserm Meistersang
gewußt. Unrecht thut man mir übrigens mit jener Frage, zu
glauben, daß ich die spätere Minnepoesie von jener alten tren-
nen wolle.

Schon lange vordem, ehe das in Deutſchland zu gelten
anfing, was in meiner ganzen Abhandlung unter dem Mei-
ſtergeſang verſtanden wird, waren Geſaͤnge und Saͤnger. Was
die Geſaͤnge angeht, ſo zeigte ſich in ihnen ein hoͤchſt einfa-
ches und einfoͤrmiges Gebaͤude; wir haben wenig Gruͤnde zu
bezweifeln, daß die Weiſen von vier langen Zeilen das alte
und recht volksmaͤßige Maas geweſen, aber wir duͤrfen dieß
nicht auf die epiſchen Lieder beſchraͤnken. Auch alte Minne-
lieder, und gewiß im zwoͤlften Jahrhundert, haben ſich darin
bewegt, gerade wie deren noch einige in der maneßiſchen Samm-
lung ſtehen, obwohl dieſe zum groͤßten Theil neuer gedich-
tet ſind 17).

Sodann aber iſt wieder kein Bedenken, daß die Dichter
und Saͤnger einen eigenen Stand gebildet, der unter dem Volk
und an den Hoͤfen herum gezogen und auf irgend eine Weiſe
zuſammen gehalten hat.

Aus dieſem Beſtehenden und Alten ging nun ein Neues
hervor, wohin ſchon auf eine nicht zu uͤberſehende Art der

17) Wie will man anders die Fragmente des alten Titurels erklaͤ-
ren, der noch vor Veldeck faͤllt? Hier iſt naͤmlich bei der Aehn-
lichkeit einzelner Wendungen ein großer Abſtand vom Stil der
Nibelungen, aber auch noch gar wenig von der ausſchweifen-
den ſpaͤtern Manier. Die Form ganz einfach und ohne Mei-
ſterſaͤngeriſches. — Will man mir aber einwerfen, warum ich
denn die adliche Minnepoeſie nicht als eine Fortſetzung ſolcher
alten Lieder, unabhaͤngig vom Meiſterweſen, gelten laſſe? ſo
iſt die Antwort: eben weil die adlichen Dichter ſich hoͤchſt
wahrſcheinlich und einige erweislich nach den armen gebildet,
und weil ihre Lieder das entſcheidend meiſterfaͤngeriſche an ſich
tragen. Denn gewoͤhnlich haben wir von ihnen auch recht kuͤnſt-
liche Geſaͤnge, den Kuͤrenberger etwa koͤnnte man fuͤr einen
aͤlteren Dichter halten, der noch nichts von unſerm Meiſterſang
gewußt. Unrecht thut man mir uͤbrigens mit jener Frage, zu
glauben, daß ich die ſpaͤtere Minnepoeſie von jener alten tren-
nen wolle.
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[28/0038] Schon lange vordem, ehe das in Deutſchland zu gelten anfing, was in meiner ganzen Abhandlung unter dem Mei- ſtergeſang verſtanden wird, waren Geſaͤnge und Saͤnger. Was die Geſaͤnge angeht, ſo zeigte ſich in ihnen ein hoͤchſt einfa- ches und einfoͤrmiges Gebaͤude; wir haben wenig Gruͤnde zu bezweifeln, daß die Weiſen von vier langen Zeilen das alte und recht volksmaͤßige Maas geweſen, aber wir duͤrfen dieß nicht auf die epiſchen Lieder beſchraͤnken. Auch alte Minne- lieder, und gewiß im zwoͤlften Jahrhundert, haben ſich darin bewegt, gerade wie deren noch einige in der maneßiſchen Samm- lung ſtehen, obwohl dieſe zum groͤßten Theil neuer gedich- tet ſind 17). Sodann aber iſt wieder kein Bedenken, daß die Dichter und Saͤnger einen eigenen Stand gebildet, der unter dem Volk und an den Hoͤfen herum gezogen und auf irgend eine Weiſe zuſammen gehalten hat. Aus dieſem Beſtehenden und Alten ging nun ein Neues hervor, wohin ſchon auf eine nicht zu uͤberſehende Art der 17) Wie will man anders die Fragmente des alten Titurels erklaͤ- ren, der noch vor Veldeck faͤllt? Hier iſt naͤmlich bei der Aehn- lichkeit einzelner Wendungen ein großer Abſtand vom Stil der Nibelungen, aber auch noch gar wenig von der ausſchweifen- den ſpaͤtern Manier. Die Form ganz einfach und ohne Mei- ſterſaͤngeriſches. — Will man mir aber einwerfen, warum ich denn die adliche Minnepoeſie nicht als eine Fortſetzung ſolcher alten Lieder, unabhaͤngig vom Meiſterweſen, gelten laſſe? ſo iſt die Antwort: eben weil die adlichen Dichter ſich hoͤchſt wahrſcheinlich und einige erweislich nach den armen gebildet, und weil ihre Lieder das entſcheidend meiſterfaͤngeriſche an ſich tragen. Denn gewoͤhnlich haben wir von ihnen auch recht kuͤnſt- liche Geſaͤnge, den Kuͤrenberger etwa koͤnnte man fuͤr einen aͤlteren Dichter halten, der noch nichts von unſerm Meiſterſang gewußt. Unrecht thut man mir uͤbrigens mit jener Frage, zu glauben, daß ich die ſpaͤtere Minnepoeſie von jener alten tren- nen wolle.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/38>, abgerufen am 28.03.2024.