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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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zuweilen in die alten Liebestöne ein. Alexanders Gesang
über seine Kindheit ist in einer zarten Ruhe gedichtet, die uns
jetzt viel werther däucht, als die schwersten Kunstlieder; auch
Wizlau 21) macht eine Ausnahme, und Hadloub, von dem
wir blühende Minnelieder übrig haben, obschon er um 1300
schrieb, und wir das ohne Zweifel der längeren Neigung ei-
niger Schweitzerherrn verdanken.

In der dritten Epoche, welche ich vom funfzehnten Jahr-
hundert bis ans Ende rechne, wies es sich nun noch deutlicher
aus, daß für die Meisterpoesie die Zeit des Hoflebens und Wan-
derns vorüber 22) war, denn es hatten die Fürsten den Mei-
stern alle Gunst entzogen, und auf andere Stände konnten sie
eine Einwirkung nicht erneuern, die sie nie gehabt. Dagegen
gerieth die Kunst in den Bürgerstand allmälig herab, nicht
als ob vorher keine Bürger derselben theilhaftig gewesen, son-
dern weil jetzo eine Menge aus diesem Stand sie umfaßten
und blühender als je machten, wenn man auf die Anzahl der
Ausübenden sieht. Nirgend hätte der sinkende Meistergesang
so lange gehalten, wenn er nicht in die deutschen Städte ge-
langt wäre, wo die wohlhabenden Bürger es sich zur Ehre
ersahen, daß sie die Kunst einiger ihrer Vorfahren nicht aus-

21) Diesen scheint D. nach S. 113. nicht für einen Meisterfinger
passiren zu lassen, obgleich er die senende (Minne-) weise
eines gleichzeitigen Meisters nachgesungen habe!
22) Ein spätes Beispiel ist bekanntlich der Christian Hafner,
dessen Amsel den dänischen Hof auf den Meistergesang ihres
Lehrers neugierig machte, worauf der gute Mann aus Nürn-
berg (1666.) nach Copenhagen reiste und jedermann überaus
wohlgefiel. Eine frühere Erzählung von einem Nürnberger (?)
Meistersänger, der 1551 in Preußen auf einer Hochzeit vom
heidnischen Abgott Baechus sang, hat Kotzebue Gesch. von
Preußen 2. 194. 195. aus Vincentii moguntini chronicon
prussiae,
oder vielmehr dem Auszug daraus in Beckers Ver-
such einer Gesch. der Hochmeister. Berlin 1798.
C

zuweilen in die alten Liebestoͤne ein. Alexanders Geſang
uͤber ſeine Kindheit iſt in einer zarten Ruhe gedichtet, die uns
jetzt viel werther daͤucht, als die ſchwerſten Kunſtlieder; auch
Wizlau 21) macht eine Ausnahme, und Hadloub, von dem
wir bluͤhende Minnelieder uͤbrig haben, obſchon er um 1300
ſchrieb, und wir das ohne Zweifel der laͤngeren Neigung ei-
niger Schweitzerherrn verdanken.

In der dritten Epoche, welche ich vom funfzehnten Jahr-
hundert bis ans Ende rechne, wies es ſich nun noch deutlicher
aus, daß fuͤr die Meiſterpoeſie die Zeit des Hoflebens und Wan-
derns voruͤber 22) war, denn es hatten die Fuͤrſten den Mei-
ſtern alle Gunſt entzogen, und auf andere Staͤnde konnten ſie
eine Einwirkung nicht erneuern, die ſie nie gehabt. Dagegen
gerieth die Kunſt in den Buͤrgerſtand allmaͤlig herab, nicht
als ob vorher keine Buͤrger derſelben theilhaftig geweſen, ſon-
dern weil jetzo eine Menge aus dieſem Stand ſie umfaßten
und bluͤhender als je machten, wenn man auf die Anzahl der
Ausuͤbenden ſieht. Nirgend haͤtte der ſinkende Meiſtergeſang
ſo lange gehalten, wenn er nicht in die deutſchen Staͤdte ge-
langt waͤre, wo die wohlhabenden Buͤrger es ſich zur Ehre
erſahen, daß ſie die Kunſt einiger ihrer Vorfahren nicht aus-

21) Dieſen ſcheint D. nach S. 113. nicht fuͤr einen Meiſterfinger
paſſiren zu laſſen, obgleich er die ſenende (Minne-) weiſe
eines gleichzeitigen Meiſters nachgeſungen habe!
22) Ein ſpaͤtes Beiſpiel iſt bekanntlich der Chriſtian Hafner,
deſſen Amſel den daͤniſchen Hof auf den Meiſtergeſang ihres
Lehrers neugierig machte, worauf der gute Mann aus Nuͤrn-
berg (1666.) nach Copenhagen reiſte und jedermann uͤberaus
wohlgefiel. Eine fruͤhere Erzaͤhlung von einem Nuͤrnberger (?)
Meiſterſaͤnger, der 1551 in Preußen auf einer Hochzeit vom
heidniſchen Abgott Baechus ſang, hat Kotzebue Geſch. von
Preußen 2. 194. 195. aus Vincentii moguntini chronicon
prussiae,
oder vielmehr dem Auszug daraus in Beckers Ver-
ſuch einer Geſch. der Hochmeiſter. Berlin 1798.
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[33/0043] zuweilen in die alten Liebestoͤne ein. Alexanders Geſang uͤber ſeine Kindheit iſt in einer zarten Ruhe gedichtet, die uns jetzt viel werther daͤucht, als die ſchwerſten Kunſtlieder; auch Wizlau 21) macht eine Ausnahme, und Hadloub, von dem wir bluͤhende Minnelieder uͤbrig haben, obſchon er um 1300 ſchrieb, und wir das ohne Zweifel der laͤngeren Neigung ei- niger Schweitzerherrn verdanken. In der dritten Epoche, welche ich vom funfzehnten Jahr- hundert bis ans Ende rechne, wies es ſich nun noch deutlicher aus, daß fuͤr die Meiſterpoeſie die Zeit des Hoflebens und Wan- derns voruͤber 22) war, denn es hatten die Fuͤrſten den Mei- ſtern alle Gunſt entzogen, und auf andere Staͤnde konnten ſie eine Einwirkung nicht erneuern, die ſie nie gehabt. Dagegen gerieth die Kunſt in den Buͤrgerſtand allmaͤlig herab, nicht als ob vorher keine Buͤrger derſelben theilhaftig geweſen, ſon- dern weil jetzo eine Menge aus dieſem Stand ſie umfaßten und bluͤhender als je machten, wenn man auf die Anzahl der Ausuͤbenden ſieht. Nirgend haͤtte der ſinkende Meiſtergeſang ſo lange gehalten, wenn er nicht in die deutſchen Staͤdte ge- langt waͤre, wo die wohlhabenden Buͤrger es ſich zur Ehre erſahen, daß ſie die Kunſt einiger ihrer Vorfahren nicht aus- 21) Dieſen ſcheint D. nach S. 113. nicht fuͤr einen Meiſterfinger paſſiren zu laſſen, obgleich er die ſenende (Minne-) weiſe eines gleichzeitigen Meiſters nachgeſungen habe! 22) Ein ſpaͤtes Beiſpiel iſt bekanntlich der Chriſtian Hafner, deſſen Amſel den daͤniſchen Hof auf den Meiſtergeſang ihres Lehrers neugierig machte, worauf der gute Mann aus Nuͤrn- berg (1666.) nach Copenhagen reiſte und jedermann uͤberaus wohlgefiel. Eine fruͤhere Erzaͤhlung von einem Nuͤrnberger (?) Meiſterſaͤnger, der 1551 in Preußen auf einer Hochzeit vom heidniſchen Abgott Baechus ſang, hat Kotzebue Geſch. von Preußen 2. 194. 195. aus Vincentii moguntini chronicon prussiae, oder vielmehr dem Auszug daraus in Beckers Ver- ſuch einer Geſch. der Hochmeiſter. Berlin 1798. C

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/43>, abgerufen am 23.04.2024.