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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von den souverainen Staaten überhaupt,
§. 3.
Ursprung der Souverainetät.

Die Rede ist hier nicht von dem Ursprung der Staa-
ten überhaupt und von den verschiedenen Verträgen,
welche zu Begründung der Oberherschaft zwischen Regen-
ten und gesamter Bürgerschaft erforderlich sind, sondern
es ist nur zu bemerken, daß ein Volk entweder ursprüng-
lich frey ist, wenn es keines andern Oberherschaft vorher
erkant hat, oder daß es die Freiheit durch Aufhebung sei-
ner bisherigen Unterwürfigkeit unter einer höhern Macht
erlangt. Das letztere geschieht, wenn die herschende Na-
zion, um Beendigung eines Krieges, oder anderer Ur-
sachen willen, sich ihrer Hoheitsrechte über einen Theil
des Staats begiebt und ihm die Unabhängigkeit zugesteht,
oder wenn dieser seinem bisherigen Oberhaupte den Ge-
horsam aufkündigt, und sich selbst für frey und unab-
hängig erklärt.

Von der ursprünglichen Errichtung der Staaten
fehlen uns hinlängliche historische Beweise, daher auch
die Meinungen über deren Entstehung so geteilt sind.

Fast alle heutige souveraine Völker in Europa haben
auf die letztere beiden Arten ihr Dasein erlangt.

So erhielt z. B. Preussen 1657 in dem Welauer
Vertrage von der Krone Polen seine Unabhängigkeit, und
Neapel nebst Sicilien, ingleichen Sardienien kamen
durch den Utrechter Frieden von 1713 [vergl. Quadru-
pelallianz von 1718, und Wiener Friede von 1735] von
der spanischen Oberherschaft ab, und erlangten von
neuen die Rechte unabhängiger Staaten.

Noch ansehnlicher ist die Liste solcher Staaten, die
durch Empörung ihre Freiheit sich erworben haben. Ich
will nur die neusten Beispiele davon anführen.

Die vereinigten Niederlande legten durch die
Utrechter Union von 1579 den Grund zu ihrer Freiheit,

und
Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
§. 3.
Urſprung der Souverainetaͤt.

Die Rede iſt hier nicht von dem Urſprung der Staa-
ten uͤberhaupt und von den verſchiedenen Vertraͤgen,
welche zu Begruͤndung der Oberherſchaft zwiſchen Regen-
ten und geſamter Buͤrgerſchaft erforderlich ſind, ſondern
es iſt nur zu bemerken, daß ein Volk entweder urſpruͤng-
lich frey iſt, wenn es keines andern Oberherſchaft vorher
erkant hat, oder daß es die Freiheit durch Aufhebung ſei-
ner bisherigen Unterwuͤrfigkeit unter einer hoͤhern Macht
erlangt. Das letztere geſchieht, wenn die herſchende Na-
zion, um Beendigung eines Krieges, oder anderer Ur-
ſachen willen, ſich ihrer Hoheitsrechte uͤber einen Theil
des Staats begiebt und ihm die Unabhaͤngigkeit zugeſteht,
oder wenn dieſer ſeinem bisherigen Oberhaupte den Ge-
horſam aufkuͤndigt, und ſich ſelbſt fuͤr frey und unab-
haͤngig erklaͤrt.

Von der urſpruͤnglichen Errichtung der Staaten
fehlen uns hinlaͤngliche hiſtoriſche Beweiſe, daher auch
die Meinungen uͤber deren Entſtehung ſo geteilt ſind.

Faſt alle heutige ſouveraine Voͤlker in Europa haben
auf die letztere beiden Arten ihr Daſein erlangt.

So erhielt z. B. Preuſſen 1657 in dem Welauer
Vertrage von der Krone Polen ſeine Unabhaͤngigkeit, und
Neapel nebſt Sicilien, ingleichen Sardienien kamen
durch den Utrechter Frieden von 1713 [vergl. Quadru-
pelallianz von 1718, und Wiener Friede von 1735] von
der ſpaniſchen Oberherſchaft ab, und erlangten von
neuen die Rechte unabhaͤngiger Staaten.

Noch anſehnlicher iſt die Liſte ſolcher Staaten, die
durch Empoͤrung ihre Freiheit ſich erworben haben. Ich
will nur die neuſten Beiſpiele davon anfuͤhren.

Die vereinigten Niederlande legten durch die
Utrechter Union von 1579 den Grund zu ihrer Freiheit,

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[76/0102] Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt, §. 3. Urſprung der Souverainetaͤt. Die Rede iſt hier nicht von dem Urſprung der Staa- ten uͤberhaupt und von den verſchiedenen Vertraͤgen, welche zu Begruͤndung der Oberherſchaft zwiſchen Regen- ten und geſamter Buͤrgerſchaft erforderlich ſind, ſondern es iſt nur zu bemerken, daß ein Volk entweder urſpruͤng- lich frey iſt, wenn es keines andern Oberherſchaft vorher erkant hat, oder daß es die Freiheit durch Aufhebung ſei- ner bisherigen Unterwuͤrfigkeit unter einer hoͤhern Macht erlangt. Das letztere geſchieht, wenn die herſchende Na- zion, um Beendigung eines Krieges, oder anderer Ur- ſachen willen, ſich ihrer Hoheitsrechte uͤber einen Theil des Staats begiebt und ihm die Unabhaͤngigkeit zugeſteht, oder wenn dieſer ſeinem bisherigen Oberhaupte den Ge- horſam aufkuͤndigt, und ſich ſelbſt fuͤr frey und unab- haͤngig erklaͤrt. Von der urſpruͤnglichen Errichtung der Staaten fehlen uns hinlaͤngliche hiſtoriſche Beweiſe, daher auch die Meinungen uͤber deren Entſtehung ſo geteilt ſind. Faſt alle heutige ſouveraine Voͤlker in Europa haben auf die letztere beiden Arten ihr Daſein erlangt. So erhielt z. B. Preuſſen 1657 in dem Welauer Vertrage von der Krone Polen ſeine Unabhaͤngigkeit, und Neapel nebſt Sicilien, ingleichen Sardienien kamen durch den Utrechter Frieden von 1713 [vergl. Quadru- pelallianz von 1718, und Wiener Friede von 1735] von der ſpaniſchen Oberherſchaft ab, und erlangten von neuen die Rechte unabhaͤngiger Staaten. Noch anſehnlicher iſt die Liſte ſolcher Staaten, die durch Empoͤrung ihre Freiheit ſich erworben haben. Ich will nur die neuſten Beiſpiele davon anfuͤhren. Die vereinigten Niederlande legten durch die Utrechter Union von 1579 den Grund zu ihrer Freiheit, und

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/102>, abgerufen am 28.03.2024.