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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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und den europäischen insbesondere.
ben des zeitigen Oberhaupts oder des ganzen regierenden
Hauses, und in allen den Fällen, wo der Grund der
Vereinigung aufhört; da dann iede Nazion, nach Ver-
schiedenheit ihrer Grundverfassung, ihren eigenen Regen-
ten wieder erlangen kan a].

So ist z. B. das Königreich Irland dermalen mit
Grosbritannien vereinigt. Es ward durch König Hein-
rich II. von England 1172 erobert und seitdem als ein
durch die Waffen erworbenes, der Kron England unter-
würsiges Reich betrachtet, auch 1719 durch eine Parle-
mentsacte für abhängig vom Grosbritannischen Parle-
ment und dessen Gesetzen erklärt. Im Jahr 1782 sah
Grosbritannien, in Rücksicht der nordamerikanischen
Angelegenheiten, sich genöthigt, iene Acte zu widerru-
fen und Irland für ein freies und unabhängiges Reich zu
erkennen; iedoch dergestalt mit Grosbritannien verbun-
den, daß es iederzeit einen und ebendenselben König
erkent b].

Auch verschiedene andere europäische Souveraine besi-
tzen, ausser ihren Hauptstaaten, zuweilen noch kleine sou-
veraine Provinzen, die mit ienen in keine weitere Ver-
bindung stehen, und von denen sie insbesondere den Titel
souverainer Herrn führen. Zwar kommen dergleichen
Souverainetäten unter den übrigen europäischen Nazio-
nen selten in Betrachtung, doch können sich Fälle ereig-
nen, wo auf deren Unabhängigkeit Rücksicht genommen
werden muß. Der König von Preussen ist z. B. auch
souverainer Fürst von Neufchatel in der Schweitz.

Ferner werden von einigen Souverainen in Europa
zugleich halbsouveraine Reichslande in Teutschland und
von mehrern Reichsständen verschiedene von einander ab-
gesonderte Reichsterritoria besessen.

a] Puffendorff Jus Nat. et Gent. L. VII. c. V. §. 16. seqq.
b] Politisches Journal, Julius 1782. S. 1. u. f.
§. 40.

und den europaͤiſchen insbeſondere.
ben des zeitigen Oberhaupts oder des ganzen regierenden
Hauſes, und in allen den Faͤllen, wo der Grund der
Vereinigung aufhoͤrt; da dann iede Nazion, nach Ver-
ſchiedenheit ihrer Grundverfaſſung, ihren eigenen Regen-
ten wieder erlangen kan a].

So iſt z. B. das Koͤnigreich Irland dermalen mit
Grosbritannien vereinigt. Es ward durch Koͤnig Hein-
rich II. von England 1172 erobert und ſeitdem als ein
durch die Waffen erworbenes, der Kron England unter-
wuͤrſiges Reich betrachtet, auch 1719 durch eine Parle-
mentsacte fuͤr abhaͤngig vom Grosbritanniſchen Parle-
ment und deſſen Geſetzen erklaͤrt. Im Jahr 1782 ſah
Grosbritannien, in Ruͤckſicht der nordamerikaniſchen
Angelegenheiten, ſich genoͤthigt, iene Acte zu widerru-
fen und Irland fuͤr ein freies und unabhaͤngiges Reich zu
erkennen; iedoch dergeſtalt mit Grosbritannien verbun-
den, daß es iederzeit einen und ebendenſelben Koͤnig
erkent b].

Auch verſchiedene andere europaͤiſche Souveraine beſi-
tzen, auſſer ihren Hauptſtaaten, zuweilen noch kleine ſou-
veraine Provinzen, die mit ienen in keine weitere Ver-
bindung ſtehen, und von denen ſie insbeſondere den Titel
ſouverainer Herrn fuͤhren. Zwar kommen dergleichen
Souverainetaͤten unter den uͤbrigen europaͤiſchen Nazio-
nen ſelten in Betrachtung, doch koͤnnen ſich Faͤlle ereig-
nen, wo auf deren Unabhaͤngigkeit Ruͤckſicht genommen
werden muß. Der Koͤnig von Preuſſen iſt z. B. auch
ſouverainer Fuͤrſt von Neufchatel in der Schweitz.

Ferner werden von einigen Souverainen in Europa
zugleich halbſouveraine Reichslande in Teutſchland und
von mehrern Reichsſtaͤnden verſchiedene von einander ab-
geſonderte Reichsterritoria beſeſſen.

a] Puffendorff Jus Nat. et Gent. L. VII. c. V. §. 16. ſeqq.
b] Politiſches Journal, Julius 1782. S. 1. u. f.
§. 40.
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[139/0165] und den europaͤiſchen insbeſondere. ben des zeitigen Oberhaupts oder des ganzen regierenden Hauſes, und in allen den Faͤllen, wo der Grund der Vereinigung aufhoͤrt; da dann iede Nazion, nach Ver- ſchiedenheit ihrer Grundverfaſſung, ihren eigenen Regen- ten wieder erlangen kan a]. So iſt z. B. das Koͤnigreich Irland dermalen mit Grosbritannien vereinigt. Es ward durch Koͤnig Hein- rich II. von England 1172 erobert und ſeitdem als ein durch die Waffen erworbenes, der Kron England unter- wuͤrſiges Reich betrachtet, auch 1719 durch eine Parle- mentsacte fuͤr abhaͤngig vom Grosbritanniſchen Parle- ment und deſſen Geſetzen erklaͤrt. Im Jahr 1782 ſah Grosbritannien, in Ruͤckſicht der nordamerikaniſchen Angelegenheiten, ſich genoͤthigt, iene Acte zu widerru- fen und Irland fuͤr ein freies und unabhaͤngiges Reich zu erkennen; iedoch dergeſtalt mit Grosbritannien verbun- den, daß es iederzeit einen und ebendenſelben Koͤnig erkent b]. Auch verſchiedene andere europaͤiſche Souveraine beſi- tzen, auſſer ihren Hauptſtaaten, zuweilen noch kleine ſou- veraine Provinzen, die mit ienen in keine weitere Ver- bindung ſtehen, und von denen ſie insbeſondere den Titel ſouverainer Herrn fuͤhren. Zwar kommen dergleichen Souverainetaͤten unter den uͤbrigen europaͤiſchen Nazio- nen ſelten in Betrachtung, doch koͤnnen ſich Faͤlle ereig- nen, wo auf deren Unabhaͤngigkeit Ruͤckſicht genommen werden muß. Der Koͤnig von Preuſſen iſt z. B. auch ſouverainer Fuͤrſt von Neufchatel in der Schweitz. Ferner werden von einigen Souverainen in Europa zugleich halbſouveraine Reichslande in Teutſchland und von mehrern Reichsſtaͤnden verſchiedene von einander ab- geſonderte Reichsterritoria beſeſſen. a] Puffendorff Jus Nat. et Gent. L. VII. c. V. §. 16. ſeqq. b] Politiſches Journal, Julius 1782. S. 1. u. f. §. 40.

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/165>, abgerufen am 28.03.2024.