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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von den geselschaftlichen Verbindungen
*] Daß der Umfang dieser geselschaftlichen Rechte und Ver-
bindlichkeiten, insofern sie aus der Natur einer geselschaft-
lichen Vereinigung und der mit der Zeit dabey wesentlich
gewordenen Nebendinge durch Vernunftschlüsse sich herlei-
ten lassen, das von vielen misverstandene freiwillige Völ-
kerrecht
ausmache, habe ich schon oben in der Einleitung
§. 4. u. 7. gezeigt, auch dabey erinnert, daß, ausser dem
freiwilligen Beitrit der Völker zur Geselschaft, es keiner
weitern präsumtiven Einwilligung in die Vorschriften dieses
freiwilligen Völkerrechts, oder einer besondern Errichtung
dahin gehöriger Gesetze überhaupt, durch die gesitteten Na-
zionen, wie Wolf behauptet, bedürfe. Denn wodurch ha-
ben einige wenige Völker diese Gewalt erlangt, und wozu
ist sie nöthig, da dieselben, nach Wolfs eigner Meinung,
nichts weiter festsetzen sollen, als was die Natur vorschreibt?
Ist das, was mehrere gesittete Völker unter sich eingeführt
haben, den Vorschriften der Natur nicht durchaus gemäs,
sondern aus wilkührlichen Grundsätzen hergeleitet, so kan
es ohnmöglich für ein freiwilliges Völkergesetz angesehen
werden, das die übrigen, mit denen sie in Verdindung
stehn, noch weniger alle Völker des Erdbodens verbinden
müste. Stimt es hingegen mit der Natur überein, so ist
es nicht darum verbindlich, weil gesittete Völker es befol-
gen, sondern weil die Natur es gebeut. Uebrigens wir-
die Verbindlichkeit des freiwilligen Völkerrechts für die
europäischen Nazionen daraus erhellen, daß sie durch ge-
selschaftliche Bande mit einander verknüpft sind.
§. 10.
Geselschaftliche Verbindung der europäi-
schen Nazionen
.

Läßt sich, nach Mosers Urteil, gleich nicht behaup-
ten, daß Europa als ein einiger Staatskörper, oder als
eine große Republick anzusehn, und daß samtliche euro-

päische
Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
*] Daß der Umfang dieſer geſelſchaftlichen Rechte und Ver-
bindlichkeiten, inſofern ſie aus der Natur einer geſelſchaft-
lichen Vereinigung und der mit der Zeit dabey weſentlich
gewordenen Nebendinge durch Vernunftſchluͤſſe ſich herlei-
ten laſſen, das von vielen misverſtandene freiwillige Voͤl-
kerrecht
ausmache, habe ich ſchon oben in der Einleitung
§. 4. u. 7. gezeigt, auch dabey erinnert, daß, auſſer dem
freiwilligen Beitrit der Voͤlker zur Geſelſchaft, es keiner
weitern praͤſumtiven Einwilligung in die Vorſchriften dieſes
freiwilligen Voͤlkerrechts, oder einer beſondern Errichtung
dahin gehoͤriger Geſetze uͤberhaupt, durch die geſitteten Na-
zionen, wie Wolf behauptet, beduͤrfe. Denn wodurch ha-
ben einige wenige Voͤlker dieſe Gewalt erlangt, und wozu
iſt ſie noͤthig, da dieſelben, nach Wolfs eigner Meinung,
nichts weiter feſtſetzen ſollen, als was die Natur vorſchreibt?
Iſt das, was mehrere geſittete Voͤlker unter ſich eingefuͤhrt
haben, den Vorſchriften der Natur nicht durchaus gemaͤs,
ſondern aus wilkuͤhrlichen Grundſaͤtzen hergeleitet, ſo kan
es ohnmoͤglich fuͤr ein freiwilliges Voͤlkergeſetz angeſehen
werden, das die uͤbrigen, mit denen ſie in Verdindung
ſtehn, noch weniger alle Voͤlker des Erdbodens verbinden
muͤſte. Stimt es hingegen mit der Natur uͤberein, ſo iſt
es nicht darum verbindlich, weil geſittete Voͤlker es befol-
gen, ſondern weil die Natur es gebeut. Uebrigens wir-
die Verbindlichkeit des freiwilligen Voͤlkerrechts fuͤr die
europaͤiſchen Nazionen daraus erhellen, daß ſie durch ge-
ſelſchaftliche Bande mit einander verknuͤpft ſind.
§. 10.
Geſelſchaftliche Verbindung der europaͤi-
ſchen Nazionen
.

Laͤßt ſich, nach Moſers Urteil, gleich nicht behaup-
ten, daß Europa als ein einiger Staatskoͤrper, oder als
eine große Republick anzuſehn, und daß ſamtliche euro-

paͤiſche
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[158/0184] Von den geſelſchaftlichen Verbindungen *] Daß der Umfang dieſer geſelſchaftlichen Rechte und Ver- bindlichkeiten, inſofern ſie aus der Natur einer geſelſchaft- lichen Vereinigung und der mit der Zeit dabey weſentlich gewordenen Nebendinge durch Vernunftſchluͤſſe ſich herlei- ten laſſen, das von vielen misverſtandene freiwillige Voͤl- kerrecht ausmache, habe ich ſchon oben in der Einleitung §. 4. u. 7. gezeigt, auch dabey erinnert, daß, auſſer dem freiwilligen Beitrit der Voͤlker zur Geſelſchaft, es keiner weitern praͤſumtiven Einwilligung in die Vorſchriften dieſes freiwilligen Voͤlkerrechts, oder einer beſondern Errichtung dahin gehoͤriger Geſetze uͤberhaupt, durch die geſitteten Na- zionen, wie Wolf behauptet, beduͤrfe. Denn wodurch ha- ben einige wenige Voͤlker dieſe Gewalt erlangt, und wozu iſt ſie noͤthig, da dieſelben, nach Wolfs eigner Meinung, nichts weiter feſtſetzen ſollen, als was die Natur vorſchreibt? Iſt das, was mehrere geſittete Voͤlker unter ſich eingefuͤhrt haben, den Vorſchriften der Natur nicht durchaus gemaͤs, ſondern aus wilkuͤhrlichen Grundſaͤtzen hergeleitet, ſo kan es ohnmoͤglich fuͤr ein freiwilliges Voͤlkergeſetz angeſehen werden, das die uͤbrigen, mit denen ſie in Verdindung ſtehn, noch weniger alle Voͤlker des Erdbodens verbinden muͤſte. Stimt es hingegen mit der Natur uͤberein, ſo iſt es nicht darum verbindlich, weil geſittete Voͤlker es befol- gen, ſondern weil die Natur es gebeut. Uebrigens wir- die Verbindlichkeit des freiwilligen Voͤlkerrechts fuͤr die europaͤiſchen Nazionen daraus erhellen, daß ſie durch ge- ſelſchaftliche Bande mit einander verknuͤpft ſind. §. 10. Geſelſchaftliche Verbindung der europaͤi- ſchen Nazionen. Laͤßt ſich, nach Moſers Urteil, gleich nicht behaup- ten, daß Europa als ein einiger Staatskoͤrper, oder als eine große Republick anzuſehn, und daß ſamtliche euro- paͤiſche

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/184>, abgerufen am 19.04.2024.