Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite
Von dem Völkerrechte überhaupt,
*] Kahrel leitet in seinem Völkerrechte die algemeine Ver-
bindlichkeit einiger Gewohnheiten aus dem, bey Gelegen-
heit des freiwilligen Völkerrechts, fingirten Begriffe eines
unter allen Regenten der Erde bestehenden großen Welt-
staats her. "Es kan keine Gewonheit" schreibt er §.
524. "ein Gewonheitsvölkergesetz zuwegebringen als ver-
mittelst des muthmaßlichen Willens aller oder doch der
mehresten Regenten der Erde, insoweit solche zusammen-
genommen den Regenten des großen Weltstaats ausma-
chen. Bew. Denn ein Gewonheitsvölkergesetz ist ein
wilkührliches Völkergesetz. Solchergestalt hängt es von
dem Willen aller oder der mehresten Regenten, in soweit
sie einen großen Weltstaat ausmachen, ab, und kan, weil
sich die Regenten, als Mitglieder des großen Weltstaats
einzeln keinem, als allen oder doch den mehresten zu-
länglich verbunden haben, nirgends andersher, als von
diesem vereinigten Willen die Verbindlichkeit bekommen."
Nur Schade, daß dieser große Weltstaat auf so hinfälligen
Gründen beruht, und die verbindende Kraft des mehrern
Theils, nach dem strengen Rechte, unbedingt nicht zu
erweisen ist!
m] Das Herkommen findet gewöhnlich zwar nur in
solchen Fällen Statt, wo keine ausdrücklichern Vor-
schriften entscheiden; doch können zuweilen auch diese
durch neue Gewonheiten vernichtet werden. Beide
haben einerlei Würkung. Das Herkommen führt ent-
weder neue Grundsätze ein, oder ändert und erläutert
die bisherigen; so wie ein neuer Vertrag das ältere
Herkommen aufhebt.
§. 10.
c] Analogie.

Gesetze und Verträge sind oft so beschaffen, daß sich
noch viele ähnliche Fälle aus denselben und ihren Grund-
ursachen herleiten lassen, die würklich darinn nicht ent-

halten
Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
*] Kahrel leitet in ſeinem Voͤlkerrechte die algemeine Ver-
bindlichkeit einiger Gewohnheiten aus dem, bey Gelegen-
heit des freiwilligen Voͤlkerrechts, fingirten Begriffe eines
unter allen Regenten der Erde beſtehenden großen Welt-
ſtaats her. „Es kan keine Gewonheit“ ſchreibt er §.
524. „ein Gewonheitsvoͤlkergeſetz zuwegebringen als ver-
mittelſt des muthmaßlichen Willens aller oder doch der
mehreſten Regenten der Erde, inſoweit ſolche zuſammen-
genommen den Regenten des großen Weltſtaats ausma-
chen. Bew. Denn ein Gewonheitsvoͤlkergeſetz iſt ein
wilkuͤhrliches Voͤlkergeſetz. Solchergeſtalt haͤngt es von
dem Willen aller oder der mehreſten Regenten, in ſoweit
ſie einen großen Weltſtaat ausmachen, ab, und kan, weil
ſich die Regenten, als Mitglieder des großen Weltſtaats
einzeln keinem, als allen oder doch den mehreſten zu-
länglich verbunden haben, nirgends andersher, als von
dieſem vereinigten Willen die Verbindlichkeit bekommen.“
Nur Schade, daß dieſer große Weltſtaat auf ſo hinfaͤlligen
Gruͤnden beruht, und die verbindende Kraft des mehrern
Theils, nach dem ſtrengen Rechte, unbedingt nicht zu
erweiſen iſt!
m] Das Herkommen findet gewoͤhnlich zwar nur in
ſolchen Faͤllen Statt, wo keine ausdruͤcklichern Vor-
ſchriften entſcheiden; doch koͤnnen zuweilen auch dieſe
durch neue Gewonheiten vernichtet werden. Beide
haben einerlei Wuͤrkung. Das Herkommen fuͤhrt ent-
weder neue Grundſaͤtze ein, oder aͤndert und erlaͤutert
die bisherigen; ſo wie ein neuer Vertrag das aͤltere
Herkommen aufhebt.
§. 10.
c] Analogie.

Geſetze und Vertraͤge ſind oft ſo beſchaffen, daß ſich
noch viele aͤhnliche Faͤlle aus denſelben und ihren Grund-
urſachen herleiten laſſen, die wuͤrklich darinn nicht ent-

halten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <note place="end" n="**]">
            <pb facs="#f0046" n="20"/>
            <fw place="top" type="header">Von dem Vo&#x0364;lkerrechte u&#x0364;berhaupt,</fw><lb/> <hi rendition="#et">*] Kahrel leitet in &#x017F;einem Vo&#x0364;lkerrechte die algemeine Ver-<lb/>
bindlichkeit einiger Gewohnheiten aus dem, bey Gelegen-<lb/>
heit des freiwilligen Vo&#x0364;lkerrechts, fingirten Begriffe eines<lb/>
unter allen Regenten der Erde be&#x017F;tehenden großen Welt-<lb/>
&#x017F;taats her. &#x201E;Es kan keine Gewonheit&#x201C; &#x017F;chreibt er §.<lb/>
524. &#x201E;ein Gewonheitsvo&#x0364;lkerge&#x017F;etz zuwegebringen als ver-<lb/>
mittel&#x017F;t des muthmaßlichen <hi rendition="#fr">Willens</hi> aller oder doch der<lb/>
mehre&#x017F;ten Regenten der Erde, in&#x017F;oweit &#x017F;olche zu&#x017F;ammen-<lb/>
genommen den Regenten des großen Welt&#x017F;taats ausma-<lb/>
chen. Bew. Denn ein Gewonheitsvo&#x0364;lkerge&#x017F;etz i&#x017F;t ein<lb/>
wilku&#x0364;hrliches Vo&#x0364;lkerge&#x017F;etz. Solcherge&#x017F;talt ha&#x0364;ngt es von<lb/>
dem Willen aller oder der mehre&#x017F;ten Regenten, in &#x017F;oweit<lb/>
&#x017F;ie einen großen Welt&#x017F;taat ausmachen, ab, und kan, weil<lb/>
&#x017F;ich die Regenten, als Mitglieder des großen Welt&#x017F;taats<lb/>
einzeln keinem, als allen oder doch den mehre&#x017F;ten zu-<lb/>
länglich <hi rendition="#fr">verbunden</hi> haben, nirgends andersher, als von<lb/>
die&#x017F;em vereinigten Willen die Verbindlichkeit bekommen.&#x201C;<lb/>
Nur Schade, daß die&#x017F;er große Welt&#x017F;taat auf &#x017F;o hinfa&#x0364;lligen<lb/>
Gru&#x0364;nden beruht, und die verbindende Kraft des mehrern<lb/>
Theils, nach dem &#x017F;trengen Rechte, unbedingt nicht zu<lb/>
erwei&#x017F;en i&#x017F;t!<lb/><hi rendition="#aq">m</hi>] Das Herkommen findet gewo&#x0364;hnlich zwar nur in<lb/>
&#x017F;olchen Fa&#x0364;llen Statt, wo keine ausdru&#x0364;cklichern Vor-<lb/>
&#x017F;chriften ent&#x017F;cheiden; doch ko&#x0364;nnen zuweilen auch die&#x017F;e<lb/>
durch neue Gewonheiten vernichtet werden. Beide<lb/>
haben einerlei Wu&#x0364;rkung. Das Herkommen fu&#x0364;hrt ent-<lb/>
weder neue Grund&#x017F;a&#x0364;tze ein, oder a&#x0364;ndert und erla&#x0364;utert<lb/>
die bisherigen; &#x017F;o wie ein neuer Vertrag das a&#x0364;ltere<lb/>
Herkommen aufhebt.</hi> </note>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 10.<lb/><hi rendition="#aq">c</hi>] <hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">Analogie</hi></hi>.</head><lb/>
          <p>Ge&#x017F;etze und Vertra&#x0364;ge &#x017F;ind oft &#x017F;o be&#x017F;chaffen, daß &#x017F;ich<lb/>
noch viele a&#x0364;hnliche Fa&#x0364;lle aus den&#x017F;elben und ihren Grund-<lb/>
ur&#x017F;achen herleiten la&#x017F;&#x017F;en, die wu&#x0364;rklich darinn nicht ent-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">halten</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0046] Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt, **] *] Kahrel leitet in ſeinem Voͤlkerrechte die algemeine Ver- bindlichkeit einiger Gewohnheiten aus dem, bey Gelegen- heit des freiwilligen Voͤlkerrechts, fingirten Begriffe eines unter allen Regenten der Erde beſtehenden großen Welt- ſtaats her. „Es kan keine Gewonheit“ ſchreibt er §. 524. „ein Gewonheitsvoͤlkergeſetz zuwegebringen als ver- mittelſt des muthmaßlichen Willens aller oder doch der mehreſten Regenten der Erde, inſoweit ſolche zuſammen- genommen den Regenten des großen Weltſtaats ausma- chen. Bew. Denn ein Gewonheitsvoͤlkergeſetz iſt ein wilkuͤhrliches Voͤlkergeſetz. Solchergeſtalt haͤngt es von dem Willen aller oder der mehreſten Regenten, in ſoweit ſie einen großen Weltſtaat ausmachen, ab, und kan, weil ſich die Regenten, als Mitglieder des großen Weltſtaats einzeln keinem, als allen oder doch den mehreſten zu- länglich verbunden haben, nirgends andersher, als von dieſem vereinigten Willen die Verbindlichkeit bekommen.“ Nur Schade, daß dieſer große Weltſtaat auf ſo hinfaͤlligen Gruͤnden beruht, und die verbindende Kraft des mehrern Theils, nach dem ſtrengen Rechte, unbedingt nicht zu erweiſen iſt! m] Das Herkommen findet gewoͤhnlich zwar nur in ſolchen Faͤllen Statt, wo keine ausdruͤcklichern Vor- ſchriften entſcheiden; doch koͤnnen zuweilen auch dieſe durch neue Gewonheiten vernichtet werden. Beide haben einerlei Wuͤrkung. Das Herkommen fuͤhrt ent- weder neue Grundſaͤtze ein, oder aͤndert und erlaͤutert die bisherigen; ſo wie ein neuer Vertrag das aͤltere Herkommen aufhebt. §. 10. c] Analogie. Geſetze und Vertraͤge ſind oft ſo beſchaffen, daß ſich noch viele aͤhnliche Faͤlle aus denſelben und ihren Grund- urſachen herleiten laſſen, die wuͤrklich darinn nicht ent- halten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/46
Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/46>, abgerufen am 19.04.2024.