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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Erhaltung der Stoffes. XII.
scheint, wechselt er nur seine Form; wenn die Kohle verbrennt,
verwandelt sie sich durch Verbindung mit dem Sauerstoff der
Luft in gasförmige Kohlensäure; wenn ein Zuckerstück sich im
Wasser löst, geht seine feste Form in die tropfbar flüssige über.
Ebenso wechselt die Materie nur ihre Form, wenn ein neuer
Naturkörper zu entstehen scheint; wenn es regnet, wird der
Wasserdampf der Luft in Tropfenform niedergeschlagen; wenn
das Eisen rostet, verbindet sich die oberflächliche Schicht des
Metalles mit Wasser und dem Sauerstoff der Luft und bildet so
Rost oder Eisen-Oxyd-Hydrat. Nirgends in der Natur sehen wir,
daß neue Materie entsteht oder "geschaffen" wird; nirgends
finden wir, daß vorhandene Materie verschwindet oder in Nichts
zerfällt. Dieser Erfahrungssatz gilt heute als erster und un-
erschütterlicher Grundsatz der Chemie und kann jederzeit mittelst
der Wage unmittelbar bewiesen werden. Es war aber das
unsterbliche Verdienst des großen französischen Chemikers
Lavoisier, diesen Beweis durch die Wage zuerst geführt zu
haben. Heute sind alle Naturforscher, welche sich Jahre lang mit
dem denkenden Studium der Natur-Erscheinungen beschäftigt
haben, so fest von der absoluten Konstanz der Materie überzeugt,
daß sie sich das Gegentheil gar nicht mehr vorstellen können.

Gesetz von der Erhaltung der Kraft (oder der "Konstanz
der Energie", Robert Mayer, 1842). Die Summe der
Kraft, welche in dem unendlichen Weltraum thätig
ist und alle Erscheinungen bewirkt, ist unveränder-
lich
. Wenn die Lokomotive den Eisenbahn-Zug fortführt, ver-
wandelt sich die Spannkraft des erhitzten Wasserdampfes in die
lebendige Kraft der mechanischen Bewegung; wenn wir die
Pfeife der Lokomotive hören, werden die Schallschwingungen der
bewegten Luft durch unser Trommelfell und die Kette der Gehör-
knochen zum Labyrinth unseres inneren Ohres fortgeleitet und
von da durch den Hörnerv zu den akustischen Ganglienzellen,

Erhaltung der Stoffes. XII.
ſcheint, wechſelt er nur ſeine Form; wenn die Kohle verbrennt,
verwandelt ſie ſich durch Verbindung mit dem Sauerſtoff der
Luft in gasförmige Kohlenſäure; wenn ein Zuckerſtück ſich im
Waſſer löſt, geht ſeine feſte Form in die tropfbar flüſſige über.
Ebenſo wechſelt die Materie nur ihre Form, wenn ein neuer
Naturkörper zu entſtehen ſcheint; wenn es regnet, wird der
Waſſerdampf der Luft in Tropfenform niedergeſchlagen; wenn
das Eiſen roſtet, verbindet ſich die oberflächliche Schicht des
Metalles mit Waſſer und dem Sauerſtoff der Luft und bildet ſo
Roſt oder Eiſen-Oxyd-Hydrat. Nirgends in der Natur ſehen wir,
daß neue Materie entſteht oder „geſchaffen“ wird; nirgends
finden wir, daß vorhandene Materie verſchwindet oder in Nichts
zerfällt. Dieſer Erfahrungsſatz gilt heute als erſter und un-
erſchütterlicher Grundſatz der Chemie und kann jederzeit mittelſt
der Wage unmittelbar bewieſen werden. Es war aber das
unſterbliche Verdienſt des großen franzöſiſchen Chemikers
Lavoiſier, dieſen Beweis durch die Wage zuerſt geführt zu
haben. Heute ſind alle Naturforſcher, welche ſich Jahre lang mit
dem denkenden Studium der Natur-Erſcheinungen beſchäftigt
haben, ſo feſt von der abſoluten Konſtanz der Materie überzeugt,
daß ſie ſich das Gegentheil gar nicht mehr vorſtellen können.

Geſetz von der Erhaltung der Kraft (oder der „Konſtanz
der Energie“, Robert Mayer, 1842). Die Summe der
Kraft, welche in dem unendlichen Weltraum thätig
iſt und alle Erſcheinungen bewirkt, iſt unveränder-
lich
. Wenn die Lokomotive den Eiſenbahn-Zug fortführt, ver-
wandelt ſich die Spannkraft des erhitzten Waſſerdampfes in die
lebendige Kraft der mechaniſchen Bewegung; wenn wir die
Pfeife der Lokomotive hören, werden die Schallſchwingungen der
bewegten Luft durch unſer Trommelfell und die Kette der Gehör-
knochen zum Labyrinth unſeres inneren Ohres fortgeleitet und
von da durch den Hörnerv zu den akuſtiſchen Ganglienzellen,

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[246/0262] Erhaltung der Stoffes. XII. ſcheint, wechſelt er nur ſeine Form; wenn die Kohle verbrennt, verwandelt ſie ſich durch Verbindung mit dem Sauerſtoff der Luft in gasförmige Kohlenſäure; wenn ein Zuckerſtück ſich im Waſſer löſt, geht ſeine feſte Form in die tropfbar flüſſige über. Ebenſo wechſelt die Materie nur ihre Form, wenn ein neuer Naturkörper zu entſtehen ſcheint; wenn es regnet, wird der Waſſerdampf der Luft in Tropfenform niedergeſchlagen; wenn das Eiſen roſtet, verbindet ſich die oberflächliche Schicht des Metalles mit Waſſer und dem Sauerſtoff der Luft und bildet ſo Roſt oder Eiſen-Oxyd-Hydrat. Nirgends in der Natur ſehen wir, daß neue Materie entſteht oder „geſchaffen“ wird; nirgends finden wir, daß vorhandene Materie verſchwindet oder in Nichts zerfällt. Dieſer Erfahrungsſatz gilt heute als erſter und un- erſchütterlicher Grundſatz der Chemie und kann jederzeit mittelſt der Wage unmittelbar bewieſen werden. Es war aber das unſterbliche Verdienſt des großen franzöſiſchen Chemikers Lavoiſier, dieſen Beweis durch die Wage zuerſt geführt zu haben. Heute ſind alle Naturforſcher, welche ſich Jahre lang mit dem denkenden Studium der Natur-Erſcheinungen beſchäftigt haben, ſo feſt von der abſoluten Konſtanz der Materie überzeugt, daß ſie ſich das Gegentheil gar nicht mehr vorſtellen können. Geſetz von der Erhaltung der Kraft (oder der „Konſtanz der Energie“, Robert Mayer, 1842). Die Summe der Kraft, welche in dem unendlichen Weltraum thätig iſt und alle Erſcheinungen bewirkt, iſt unveränder- lich. Wenn die Lokomotive den Eiſenbahn-Zug fortführt, ver- wandelt ſich die Spannkraft des erhitzten Waſſerdampfes in die lebendige Kraft der mechaniſchen Bewegung; wenn wir die Pfeife der Lokomotive hören, werden die Schallſchwingungen der bewegten Luft durch unſer Trommelfell und die Kette der Gehör- knochen zum Labyrinth unſeres inneren Ohres fortgeleitet und von da durch den Hörnerv zu den akuſtiſchen Ganglienzellen,

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/262>, abgerufen am 29.03.2024.