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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759.

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Viertes Buch. Das Herz.
derer Zerleger behauptet (f), daß diejenigen eigentlich
die zum Leben erforderlichen Nerven wären, welche sich
mit häusigen Umflechtungen, wodurch die Richtungsli-
nien der vom Willen herrührenden Bewegung unterbro-
chen würden, unter einander verwikkelten: er hat auch da-
neben zugleich die Nerven des Herzens, der Lunge, des
Magens, der Gedärme, und der Eingeweide im Unter-
leibe, als Beispiele angeführet.

§. 9.
Es scheint dieses nicht statt zu finden.

Jch bin durch langwierige Erfahrung überzeuget,
daß diejenigen Erklärungen von natürlichen Dingen sehr
selten gründlich sind, welche mit ihrer zierlichen Einfalt
den Schein des Wahren anzunehmen pflegen. So ha-
be ich schon vor langer Zeit, da des Willisius Hipo-
these noch hin und wieder gebräuchlich war, erinnert, daß
die Unterschiede zwischen den Nerven durchgängig von der
Zergliederungskunst widerlegt werden (g). Erstlich muß
man von dieser im Herzen beständig anhaltenden Bewe-
gung eine Ursache angeben, die sich in allen Thieren, in
den vierfüßigen, in den Vögeln, den Fischen und Jn-
sekten, allezeit befindet; indem alle diese Thiere, in Anse-
hung dieser beständig daurenden Bewegung des Herzens,
mit einander übereinkommen. Es befinden sich aber un-
ter diesen Thieren nicht wenige, bei denen das grosse Ge-
hirn entweder sehr undeutlich, oder ganz und gar nicht
von dem kleinen unterschieden ist. Die Fische haben
durchgehends kein zuverläßig bestimmtes Gehirn, und
sehr wenig Nerven, die sich aus ihrer Gehirnmasse erzeu-
gen, und man findet bei ihnen keine Fasern, die ganz deut-

lich
(f) [Spaltenumbruch] Joseph Lieutaud Diss. I.
hinter denen Essays d'anatomie,
S. 702.
(g) [Spaltenumbruch] Comment. ad n. 600. Prael.
Boerhaav.
welcher im Jahre 1743.
herauskam.

Viertes Buch. Das Herz.
derer Zerleger behauptet (f), daß diejenigen eigentlich
die zum Leben erforderlichen Nerven waͤren, welche ſich
mit haͤuſigen Umflechtungen, wodurch die Richtungsli-
nien der vom Willen herruͤhrenden Bewegung unterbro-
chen wuͤrden, unter einander verwikkelten: er hat auch da-
neben zugleich die Nerven des Herzens, der Lunge, des
Magens, der Gedaͤrme, und der Eingeweide im Unter-
leibe, als Beiſpiele angefuͤhret.

§. 9.
Es ſcheint dieſes nicht ſtatt zu finden.

Jch bin durch langwierige Erfahrung uͤberzeuget,
daß diejenigen Erklaͤrungen von natuͤrlichen Dingen ſehr
ſelten gruͤndlich ſind, welche mit ihrer zierlichen Einfalt
den Schein des Wahren anzunehmen pflegen. So ha-
be ich ſchon vor langer Zeit, da des Williſius Hipo-
theſe noch hin und wieder gebraͤuchlich war, erinnert, daß
die Unterſchiede zwiſchen den Nerven durchgaͤngig von der
Zergliederungskunſt widerlegt werden (g). Erſtlich muß
man von dieſer im Herzen beſtaͤndig anhaltenden Bewe-
gung eine Urſache angeben, die ſich in allen Thieren, in
den vierfuͤßigen, in den Voͤgeln, den Fiſchen und Jn-
ſekten, allezeit befindet; indem alle dieſe Thiere, in Anſe-
hung dieſer beſtaͤndig daurenden Bewegung des Herzens,
mit einander uͤbereinkommen. Es befinden ſich aber un-
ter dieſen Thieren nicht wenige, bei denen das groſſe Ge-
hirn entweder ſehr undeutlich, oder ganz und gar nicht
von dem kleinen unterſchieden iſt. Die Fiſche haben
durchgehends kein zuverlaͤßig beſtimmtes Gehirn, und
ſehr wenig Nerven, die ſich aus ihrer Gehirnmaſſe erzeu-
gen, und man findet bei ihnen keine Faſern, die ganz deut-

lich
(f) [Spaltenumbruch] Joſeph Lieutaud Diſſ. I.
hinter denen Eſſays d’anatomie,
S. 702.
(g) [Spaltenumbruch] Comment. ad n. 600. Præl.
Boerhaav.
welcher im Jahre 1743.
herauskam.
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[910/0966] Viertes Buch. Das Herz. derer Zerleger behauptet (f), daß diejenigen eigentlich die zum Leben erforderlichen Nerven waͤren, welche ſich mit haͤuſigen Umflechtungen, wodurch die Richtungsli- nien der vom Willen herruͤhrenden Bewegung unterbro- chen wuͤrden, unter einander verwikkelten: er hat auch da- neben zugleich die Nerven des Herzens, der Lunge, des Magens, der Gedaͤrme, und der Eingeweide im Unter- leibe, als Beiſpiele angefuͤhret. §. 9. Es ſcheint dieſes nicht ſtatt zu finden. Jch bin durch langwierige Erfahrung uͤberzeuget, daß diejenigen Erklaͤrungen von natuͤrlichen Dingen ſehr ſelten gruͤndlich ſind, welche mit ihrer zierlichen Einfalt den Schein des Wahren anzunehmen pflegen. So ha- be ich ſchon vor langer Zeit, da des Williſius Hipo- theſe noch hin und wieder gebraͤuchlich war, erinnert, daß die Unterſchiede zwiſchen den Nerven durchgaͤngig von der Zergliederungskunſt widerlegt werden (g). Erſtlich muß man von dieſer im Herzen beſtaͤndig anhaltenden Bewe- gung eine Urſache angeben, die ſich in allen Thieren, in den vierfuͤßigen, in den Voͤgeln, den Fiſchen und Jn- ſekten, allezeit befindet; indem alle dieſe Thiere, in Anſe- hung dieſer beſtaͤndig daurenden Bewegung des Herzens, mit einander uͤbereinkommen. Es befinden ſich aber un- ter dieſen Thieren nicht wenige, bei denen das groſſe Ge- hirn entweder ſehr undeutlich, oder ganz und gar nicht von dem kleinen unterſchieden iſt. Die Fiſche haben durchgehends kein zuverlaͤßig beſtimmtes Gehirn, und ſehr wenig Nerven, die ſich aus ihrer Gehirnmaſſe erzeu- gen, und man findet bei ihnen keine Faſern, die ganz deut- lich (f) Joſeph Lieutaud Diſſ. I. hinter denen Eſſays d’anatomie, S. 702. (g) Comment. ad n. 600. Præl. Boerhaav. welcher im Jahre 1743. herauskam.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 910. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/966>, abgerufen am 25.04.2024.