Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hasak, Max: Die Predigtkirche im Mittelalter. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

Warum sollte man wegen zwei oder drei Processionen im Jahre, die noch dazu wenn irgend angängig außerhalb der Kirche abgehalten werden, "Processionskirchen" bevorzugen? Und was soll "Processionskirche" überhaupt bedeuten? Warum sollte man nicht in einem einschiffigen Raum ebenso gut herumziehen können, wie in einem dreischiffigen, wenn jener ebenso groß ist wie dieser? Da könnte man die Procession doch wenigstens überall sehen! Drei Schiffe baute man einfach deshalb, weil man den erforderlichen Raum für eine größere Gemeinde ohne die Stützenreihen nicht zu überwölben vermochte. Dieser sehr greifbare und lediglich technische Grund ist es, keineswegs ein "liturgischer". Und wo besseres Können vorhanden war, in den großen Städten, an den Bischofssitzen oder in Gegenden, die noch von alten Zeiten her große Wölbungen herzustellen verstanden, da ging man auch weiträumiger vor. Das liegt lediglich am Können der Baumeister und Werkleute, an nichts anderem, am wenigsten, wie gesagt, an den zwei oder drei Processionen im Jahre. Und inwiefern soll der "Heiligencult" einen Einfluß auf den Grundriß in dem Sinne ausüben, daß dieser in Schiffe getheilt werden müßte? Höchstens stiftet eine Körperschaft oder eine reiche Familie einen Altar zu Ehren eines Heiligen, und dann entstehen Capellen. Daher sind solche Capellen, außer bei den Kathedralen und Klosterkirchen, wo sie durch das Programm gleich vorgeschrieben und daher gleich von Anfang im Grundriß organisch vorgesehen sind, bei Pfarrkirchen allermeist spätere Anflicksel. Zum Programm der Pfarrkirche gehören sie nicht, höchstens insoweit, als man z. B. am Charfreitag einen Raum für das heilige Grab, zu Weihnachten einen solchen für den Stall zu Bethlehem braucht, also gewissermaßen als Nebengelasse.

Von den schönsten Pfarrkirchen des Mittelalters dürften ganz allgemein bekannt sein Sct. Marien zur Wiese in Soest, die Frauenkirche in Nürnberg, Sct. Severi in Erfurt, die Marienkirche in Herford u. a. m. (vgl. d. Abb. auf S. 20/21). Ueber die Unmenge der unbekannteren später. Wenn man vorab diese Grundrisse betrachtet, die als vorzügliche Lösungen der

Warum sollte man wegen zwei oder drei Processionen im Jahre, die noch dazu wenn irgend angängig außerhalb der Kirche abgehalten werden, „Processionskirchen“ bevorzugen? Und was soll „Processionskirche“ überhaupt bedeuten? Warum sollte man nicht in einem einschiffigen Raum ebenso gut herumziehen können, wie in einem dreischiffigen, wenn jener ebenso groß ist wie dieser? Da könnte man die Procession doch wenigstens überall sehen! Drei Schiffe baute man einfach deshalb, weil man den erforderlichen Raum für eine größere Gemeinde ohne die Stützenreihen nicht zu überwölben vermochte. Dieser sehr greifbare und lediglich technische Grund ist es, keineswegs ein „liturgischer“. Und wo besseres Können vorhanden war, in den großen Städten, an den Bischofssitzen oder in Gegenden, die noch von alten Zeiten her große Wölbungen herzustellen verstanden, da ging man auch weiträumiger vor. Das liegt lediglich am Können der Baumeister und Werkleute, an nichts anderem, am wenigsten, wie gesagt, an den zwei oder drei Processionen im Jahre. Und inwiefern soll der „Heiligencult“ einen Einfluß auf den Grundriß in dem Sinne ausüben, daß dieser in Schiffe getheilt werden müßte? Höchstens stiftet eine Körperschaft oder eine reiche Familie einen Altar zu Ehren eines Heiligen, und dann entstehen Capellen. Daher sind solche Capellen, außer bei den Kathedralen und Klosterkirchen, wo sie durch das Programm gleich vorgeschrieben und daher gleich von Anfang im Grundriß organisch vorgesehen sind, bei Pfarrkirchen allermeist spätere Anflicksel. Zum Programm der Pfarrkirche gehören sie nicht, höchstens insoweit, als man z. B. am Charfreitag einen Raum für das heilige Grab, zu Weihnachten einen solchen für den Stall zu Bethlehem braucht, also gewissermaßen als Nebengelasse.

Von den schönsten Pfarrkirchen des Mittelalters dürften ganz allgemein bekannt sein Sct. Marien zur Wiese in Soest, die Frauenkirche in Nürnberg, Sct. Severi in Erfurt, die Marienkirche in Herford u. a. m. (vgl. d. Abb. auf S. 20/21). Ueber die Unmenge der unbekannteren später. Wenn man vorab diese Grundrisse betrachtet, die als vorzügliche Lösungen der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0012" n="6"/>
        <p>Warum sollte man wegen zwei oder drei Processionen im Jahre, die noch dazu wenn irgend angängig <hi rendition="#g">außerhalb</hi> der Kirche abgehalten werden, &#x201E;Processionskirchen&#x201C; bevorzugen? Und was soll &#x201E;Processionskirche&#x201C; überhaupt bedeuten? Warum sollte man nicht in einem einschiffigen Raum ebenso gut herumziehen können, wie in einem dreischiffigen, wenn jener ebenso groß ist wie dieser? Da könnte man die Procession doch wenigstens überall sehen! <hi rendition="#g">Drei Schiffe baute man einfach deshalb, weil man den erforderlichen Raum für eine größere Gemeinde ohne die Stützenreihen nicht zu überwölben vermochte</hi>. Dieser sehr greifbare und lediglich technische Grund ist es, keineswegs ein &#x201E;liturgischer&#x201C;. Und wo besseres Können vorhanden war, in den großen Städten, an den Bischofssitzen oder in Gegenden, die noch von alten Zeiten her große Wölbungen herzustellen verstanden, da ging man auch weiträumiger vor. Das liegt lediglich am Können der Baumeister und Werkleute, an nichts anderem, am wenigsten, wie gesagt, an den zwei oder drei Processionen im Jahre. Und inwiefern soll der &#x201E;Heiligencult&#x201C; einen Einfluß auf den Grundriß in dem Sinne ausüben, daß dieser in Schiffe getheilt werden müßte? Höchstens stiftet eine Körperschaft oder eine reiche Familie einen Altar zu Ehren eines Heiligen, und dann entstehen <hi rendition="#g">Capellen</hi>. Daher sind solche Capellen, außer bei den Kathedralen und Klosterkirchen, wo sie durch das Programm gleich vorgeschrieben und daher gleich von Anfang im Grundriß organisch vorgesehen sind, bei Pfarrkirchen allermeist spätere Anflicksel. Zum Programm der Pfarrkirche gehören sie nicht, höchstens insoweit, als man z. B. am Charfreitag einen Raum für das heilige Grab, zu Weihnachten einen solchen für den Stall zu Bethlehem braucht, also gewissermaßen als Nebengelasse.</p>
        <p>Von den schönsten Pfarrkirchen des Mittelalters dürften ganz allgemein bekannt sein Sct. Marien zur Wiese in Soest, die Frauenkirche in Nürnberg, Sct. Severi in Erfurt, die Marienkirche in Herford u. a. m. (vgl. d. Abb. auf S. 20/21). Ueber die Unmenge der unbekannteren später. Wenn man vorab diese Grundrisse betrachtet, die als vorzügliche Lösungen der
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0012] Warum sollte man wegen zwei oder drei Processionen im Jahre, die noch dazu wenn irgend angängig außerhalb der Kirche abgehalten werden, „Processionskirchen“ bevorzugen? Und was soll „Processionskirche“ überhaupt bedeuten? Warum sollte man nicht in einem einschiffigen Raum ebenso gut herumziehen können, wie in einem dreischiffigen, wenn jener ebenso groß ist wie dieser? Da könnte man die Procession doch wenigstens überall sehen! Drei Schiffe baute man einfach deshalb, weil man den erforderlichen Raum für eine größere Gemeinde ohne die Stützenreihen nicht zu überwölben vermochte. Dieser sehr greifbare und lediglich technische Grund ist es, keineswegs ein „liturgischer“. Und wo besseres Können vorhanden war, in den großen Städten, an den Bischofssitzen oder in Gegenden, die noch von alten Zeiten her große Wölbungen herzustellen verstanden, da ging man auch weiträumiger vor. Das liegt lediglich am Können der Baumeister und Werkleute, an nichts anderem, am wenigsten, wie gesagt, an den zwei oder drei Processionen im Jahre. Und inwiefern soll der „Heiligencult“ einen Einfluß auf den Grundriß in dem Sinne ausüben, daß dieser in Schiffe getheilt werden müßte? Höchstens stiftet eine Körperschaft oder eine reiche Familie einen Altar zu Ehren eines Heiligen, und dann entstehen Capellen. Daher sind solche Capellen, außer bei den Kathedralen und Klosterkirchen, wo sie durch das Programm gleich vorgeschrieben und daher gleich von Anfang im Grundriß organisch vorgesehen sind, bei Pfarrkirchen allermeist spätere Anflicksel. Zum Programm der Pfarrkirche gehören sie nicht, höchstens insoweit, als man z. B. am Charfreitag einen Raum für das heilige Grab, zu Weihnachten einen solchen für den Stall zu Bethlehem braucht, also gewissermaßen als Nebengelasse. Von den schönsten Pfarrkirchen des Mittelalters dürften ganz allgemein bekannt sein Sct. Marien zur Wiese in Soest, die Frauenkirche in Nürnberg, Sct. Severi in Erfurt, die Marienkirche in Herford u. a. m. (vgl. d. Abb. auf S. 20/21). Ueber die Unmenge der unbekannteren später. Wenn man vorab diese Grundrisse betrachtet, die als vorzügliche Lösungen der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • „ſs“ (meist als „fs“ im unkorrigierten Text) wird durch „ß“ transkribiert.
  • „ſ“ (meist als „f“ im unkorrigierten Text) wird zu „s“ transkribiert.
  • Ligaturen wie z. B. „Æ“ und „Œ“, werden zu zwei getrennten Zeichen transkribiert, im Beispiel also zu „Ae“ und „Oe“.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hasak_predigtkirche_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hasak_predigtkirche_1893/12
Zitationshilfe: Hasak, Max: Die Predigtkirche im Mittelalter. Berlin, 1893, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hasak_predigtkirche_1893/12>, abgerufen am 24.04.2024.