Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hasak, Max: Die Predigtkirche im Mittelalter. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

Raum, in dem sie sich befinden, seitlich durch Chorschranken, gegen das Schiff durch den Lettner oder ein Gitter geschlossen. Die Schranken sollen nebenbei Zug und Kälte abhalten; mit der Meßhandlung haben sie gar nichts zu thun.

So lange nicht der reiche Capellenkranz nebst Umgang den Chor umsäumte, standen die Chorstühle geschützt "im langen Priesterchor" an den Wänden, wie bei Pfarrkirchen mit Klostergeistlichen als Pfarrherren, und bedurften der Schranken nicht. Als die Capitel in die neuen gothischen Kathedralen eingezogen waren, schützten sie sich zuerst durch Teppiche oder aufgespannte Stoffe, die dorsalia. Doch müssen diese dorsalia nicht genügenden Schutz gewährt haben, denn man ging bald wieder zu festen, seit Anfang der Christenheit für diesen Zweck gebräuchlichen Schranken über. Das ist kein neuer Cultus, keine Veränderung, man hatte nur Erfahrungen im neuen Hause gesammelt.

Gurlitt behauptet, in Deutschland seien erst im 14. Jahrhundert die Chorschranken und Lettner vorzugsweise entstanden. Beweise führt er nicht an. Es mag sein, daß diejenigen, welche er kennt, aus dieser Zeit stammen, der Schluß, daß vorher keine dagewesen seien und die Priesterschaft sich damals erst "vom Volke abzuschließen anfing", ist vollständig irrig. Schon in frühchristlicher Zeit waren die Chorschranken, wie gesagt, vorhanden, jedermann kennt sie z. B. aus S. Clemente in Rom. Diese rühren mindestens aus dem 8. Jahrhundert her, denn sie tragen den Namenszug des Papstes Johann VIII.; wahrscheinlich sind sie sogar aus dem 5. oder 6. Jahrhundert, und von Johann VIII. nur wiederhergestellt. Sie sind niedrig, schützen wenig vor Zug und Kälte; daher finden sich für den Winter auch häufig besondere geschlossene Räume als Winterchöre; so u. a. bei S. Maria in Cosmedin. Vielleicht saßen hierbei auch die Priester im Presbyterium getrennt von den Diakonen und Sängern im Chor. Später sitzen sie voreinander in Stuhlreihen. Wer kennt nicht die schönen Chorschranken und Lettner in St. Michael zu Hildesheim, im Dom zu Trier, in Halberstadt, Naumburg, Gelnhausen usw., die doch nicht erst ans Ende des 14. Jahrhunderts verlegt werden können!

Raum, in dem sie sich befinden, seitlich durch Chorschranken, gegen das Schiff durch den Lettner oder ein Gitter geschlossen. Die Schranken sollen nebenbei Zug und Kälte abhalten; mit der Meßhandlung haben sie gar nichts zu thun.

So lange nicht der reiche Capellenkranz nebst Umgang den Chor umsäumte, standen die Chorstühle geschützt „im langen Priesterchor“ an den Wänden, wie bei Pfarrkirchen mit Klostergeistlichen als Pfarrherren, und bedurften der Schranken nicht. Als die Capitel in die neuen gothischen Kathedralen eingezogen waren, schützten sie sich zuerst durch Teppiche oder aufgespannte Stoffe, die dorsalia. Doch müssen diese dorsalia nicht genügenden Schutz gewährt haben, denn man ging bald wieder zu festen, seit Anfang der Christenheit für diesen Zweck gebräuchlichen Schranken über. Das ist kein neuer Cultus, keine Veränderung, man hatte nur Erfahrungen im neuen Hause gesammelt.

Gurlitt behauptet, in Deutschland seien erst im 14. Jahrhundert die Chorschranken und Lettner vorzugsweise entstanden. Beweise führt er nicht an. Es mag sein, daß diejenigen, welche er kennt, aus dieser Zeit stammen, der Schluß, daß vorher keine dagewesen seien und die Priesterschaft sich damals erst „vom Volke abzuschließen anfing“, ist vollständig irrig. Schon in frühchristlicher Zeit waren die Chorschranken, wie gesagt, vorhanden, jedermann kennt sie z. B. aus S. Clemente in Rom. Diese rühren mindestens aus dem 8. Jahrhundert her, denn sie tragen den Namenszug des Papstes Johann VIII.; wahrscheinlich sind sie sogar aus dem 5. oder 6. Jahrhundert, und von Johann VIII. nur wiederhergestellt. Sie sind niedrig, schützen wenig vor Zug und Kälte; daher finden sich für den Winter auch häufig besondere geschlossene Räume als Winterchöre; so u. a. bei S. Maria in Cosmedin. Vielleicht saßen hierbei auch die Priester im Presbyterium getrennt von den Diakonen und Sängern im Chor. Später sitzen sie voreinander in Stuhlreihen. Wer kennt nicht die schönen Chorschranken und Lettner in St. Michael zu Hildesheim, im Dom zu Trier, in Halberstadt, Naumburg, Gelnhausen usw., die doch nicht erst ans Ende des 14. Jahrhunderts verlegt werden können!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0020" n="14"/>
Raum, in dem sie sich befinden, seitlich durch Chorschranken, gegen das Schiff durch den Lettner oder ein Gitter geschlossen. Die Schranken sollen nebenbei Zug und Kälte abhalten; mit der Meßhandlung haben sie gar nichts zu thun.</p>
        <p>So lange nicht der reiche Capellenkranz nebst Umgang den Chor umsäumte, standen die Chorstühle geschützt &#x201E;im langen Priesterchor&#x201C; an den Wänden, wie bei Pfarrkirchen mit Klostergeistlichen als Pfarrherren, und bedurften der Schranken nicht. Als die Capitel in die neuen gothischen Kathedralen eingezogen waren, schützten sie sich zuerst durch Teppiche oder aufgespannte Stoffe, die dorsalia. Doch müssen diese dorsalia nicht genügenden Schutz gewährt haben, denn man ging bald wieder zu festen, seit Anfang der Christenheit für diesen Zweck gebräuchlichen Schranken über. Das ist kein neuer Cultus, keine Veränderung, man hatte nur Erfahrungen im neuen Hause gesammelt.</p>
        <p>Gurlitt behauptet, in Deutschland seien erst im 14. Jahrhundert die Chorschranken und Lettner vorzugsweise entstanden. Beweise führt er nicht an. Es mag sein, daß diejenigen, welche er kennt, aus dieser Zeit stammen, der Schluß, daß vorher keine dagewesen seien und die Priesterschaft sich damals erst &#x201E;vom Volke abzuschließen anfing&#x201C;, ist vollständig irrig. Schon in frühchristlicher Zeit waren die Chorschranken, wie gesagt, vorhanden, jedermann kennt sie z. B. aus S. Clemente in Rom. Diese rühren mindestens aus dem 8. Jahrhundert her, denn sie tragen den Namenszug des Papstes Johann VIII.; wahrscheinlich sind sie sogar aus dem 5. oder 6. Jahrhundert, und von Johann VIII. nur wiederhergestellt. Sie sind niedrig, schützen wenig vor Zug und Kälte; daher finden sich für den Winter auch häufig besondere geschlossene Räume als Winterchöre; so u. a. bei S. Maria in Cosmedin. Vielleicht saßen hierbei auch die Priester im Presbyterium getrennt von den Diakonen und Sängern im Chor. Später sitzen sie voreinander in Stuhlreihen. Wer kennt nicht die schönen Chorschranken und Lettner in St. Michael zu Hildesheim, im Dom zu Trier, in Halberstadt, Naumburg, Gelnhausen usw., die doch nicht erst ans Ende des 14. Jahrhunderts verlegt werden können!</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0020] Raum, in dem sie sich befinden, seitlich durch Chorschranken, gegen das Schiff durch den Lettner oder ein Gitter geschlossen. Die Schranken sollen nebenbei Zug und Kälte abhalten; mit der Meßhandlung haben sie gar nichts zu thun. So lange nicht der reiche Capellenkranz nebst Umgang den Chor umsäumte, standen die Chorstühle geschützt „im langen Priesterchor“ an den Wänden, wie bei Pfarrkirchen mit Klostergeistlichen als Pfarrherren, und bedurften der Schranken nicht. Als die Capitel in die neuen gothischen Kathedralen eingezogen waren, schützten sie sich zuerst durch Teppiche oder aufgespannte Stoffe, die dorsalia. Doch müssen diese dorsalia nicht genügenden Schutz gewährt haben, denn man ging bald wieder zu festen, seit Anfang der Christenheit für diesen Zweck gebräuchlichen Schranken über. Das ist kein neuer Cultus, keine Veränderung, man hatte nur Erfahrungen im neuen Hause gesammelt. Gurlitt behauptet, in Deutschland seien erst im 14. Jahrhundert die Chorschranken und Lettner vorzugsweise entstanden. Beweise führt er nicht an. Es mag sein, daß diejenigen, welche er kennt, aus dieser Zeit stammen, der Schluß, daß vorher keine dagewesen seien und die Priesterschaft sich damals erst „vom Volke abzuschließen anfing“, ist vollständig irrig. Schon in frühchristlicher Zeit waren die Chorschranken, wie gesagt, vorhanden, jedermann kennt sie z. B. aus S. Clemente in Rom. Diese rühren mindestens aus dem 8. Jahrhundert her, denn sie tragen den Namenszug des Papstes Johann VIII.; wahrscheinlich sind sie sogar aus dem 5. oder 6. Jahrhundert, und von Johann VIII. nur wiederhergestellt. Sie sind niedrig, schützen wenig vor Zug und Kälte; daher finden sich für den Winter auch häufig besondere geschlossene Räume als Winterchöre; so u. a. bei S. Maria in Cosmedin. Vielleicht saßen hierbei auch die Priester im Presbyterium getrennt von den Diakonen und Sängern im Chor. Später sitzen sie voreinander in Stuhlreihen. Wer kennt nicht die schönen Chorschranken und Lettner in St. Michael zu Hildesheim, im Dom zu Trier, in Halberstadt, Naumburg, Gelnhausen usw., die doch nicht erst ans Ende des 14. Jahrhunderts verlegt werden können!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • „ſs“ (meist als „fs“ im unkorrigierten Text) wird durch „ß“ transkribiert.
  • „ſ“ (meist als „f“ im unkorrigierten Text) wird zu „s“ transkribiert.
  • Ligaturen wie z. B. „Æ“ und „Œ“, werden zu zwei getrennten Zeichen transkribiert, im Beispiel also zu „Ae“ und „Oe“.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hasak_predigtkirche_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hasak_predigtkirche_1893/20
Zitationshilfe: Hasak, Max: Die Predigtkirche im Mittelalter. Berlin, 1893, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hasak_predigtkirche_1893/20>, abgerufen am 23.04.2024.