Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

selbst den heiligen Christ, weil er ja doch niemand habe, der ihm den Christbaum anzünde. Und war es nicht so, wie wir in kindischer Einfalt glaubten? Zündete er nicht den Christbaum seiner Erinnerung an, flammten nicht tausend flimmernde Kerzen auf, die Lieblingsstunden eines langen Lebens, und schien er nicht, wenn er am Abend des Schalttags still und ruhig im Sessel saß, sich kindlich zu freuen an den Gaben der Vergangenheit?

Es war sein Schalttag wieder eingetreten, als sie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen, als ich dachte, daß der alte Mann seit langer Zeit zum ersten Mal wieder in die freie Lust komme. Sie führten ihn den Weg, auf dem ich so oft an seiner Seite gegangen war. Aber nicht lange, so beugten sie über die schwarze Brücke und legten ihn tief in die Erde. Nun hält er seinen rechten Schalttag, dachte ich, aber wundern soll es mich doch, wie der alte Herr wieder da herauf kommen will, denn sie haben doch viele Steine und Rasen auf ihn hinab geworfen. -- Er kam nicht wieder. Aber sein Bild blieb in meinem Gedächtniß, und als ich herangewachsen war, gehörte es zu meinen liebsten Beschäftigungen, seine feine offene Stirne, das klare Auge, den gebietenden und doch so freundlichen Mund mir vorzumalen. Mit seinem Bilde stiegen tausend Erinnerungen auf, und seine Schalttage waren mir die Lieblingsstücke in der langen Bildergallerie.

selbst den heiligen Christ, weil er ja doch niemand habe, der ihm den Christbaum anzünde. Und war es nicht so, wie wir in kindischer Einfalt glaubten? Zündete er nicht den Christbaum seiner Erinnerung an, flammten nicht tausend flimmernde Kerzen auf, die Lieblingsstunden eines langen Lebens, und schien er nicht, wenn er am Abend des Schalttags still und ruhig im Sessel saß, sich kindlich zu freuen an den Gaben der Vergangenheit?

Es war sein Schalttag wieder eingetreten, als sie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen, als ich dachte, daß der alte Mann seit langer Zeit zum ersten Mal wieder in die freie Lust komme. Sie führten ihn den Weg, auf dem ich so oft an seiner Seite gegangen war. Aber nicht lange, so beugten sie über die schwarze Brücke und legten ihn tief in die Erde. Nun hält er seinen rechten Schalttag, dachte ich, aber wundern soll es mich doch, wie der alte Herr wieder da herauf kommen will, denn sie haben doch viele Steine und Rasen auf ihn hinab geworfen. — Er kam nicht wieder. Aber sein Bild blieb in meinem Gedächtniß, und als ich herangewachsen war, gehörte es zu meinen liebsten Beschäftigungen, seine feine offene Stirne, das klare Auge, den gebietenden und doch so freundlichen Mund mir vorzumalen. Mit seinem Bilde stiegen tausend Erinnerungen auf, und seine Schalttage waren mir die Lieblingsstücke in der langen Bildergallerie.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0010"/>
selbst den heiligen Christ, weil er ja doch niemand habe, der ihm den Christbaum                anzünde. Und war es nicht so, wie wir in kindischer Einfalt glaubten? Zündete er                nicht den Christbaum seiner Erinnerung an, flammten nicht tausend flimmernde Kerzen                auf, die Lieblingsstunden eines langen Lebens, und schien er nicht, wenn er am Abend                des Schalttags still und ruhig im Sessel saß, sich kindlich zu freuen an den Gaben                der Vergangenheit?</p><lb/>
        <p>Es war sein Schalttag wieder eingetreten, als sie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen,                als ich dachte, daß der alte Mann seit langer Zeit zum ersten Mal wieder in die freie                Lust komme. Sie führten ihn den Weg, auf dem ich so oft an seiner Seite gegangen war.                Aber nicht lange, so beugten sie über die schwarze Brücke und legten ihn tief in die                Erde. Nun hält er seinen rechten Schalttag, dachte ich, aber wundern soll es mich                doch, wie der alte Herr wieder da herauf kommen will, denn sie haben doch viele                Steine und Rasen auf ihn hinab geworfen. &#x2014; Er kam nicht wieder. Aber sein Bild blieb                in meinem Gedächtniß, und als ich herangewachsen war, gehörte es zu meinen liebsten                Beschäftigungen, seine feine offene Stirne, das klare Auge, den gebietenden und doch                so freundlichen Mund mir vorzumalen. Mit seinem Bilde stiegen tausend Erinnerungen                auf, und seine Schalttage waren mir die Lieblingsstücke in der langen                Bildergallerie.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0010] selbst den heiligen Christ, weil er ja doch niemand habe, der ihm den Christbaum anzünde. Und war es nicht so, wie wir in kindischer Einfalt glaubten? Zündete er nicht den Christbaum seiner Erinnerung an, flammten nicht tausend flimmernde Kerzen auf, die Lieblingsstunden eines langen Lebens, und schien er nicht, wenn er am Abend des Schalttags still und ruhig im Sessel saß, sich kindlich zu freuen an den Gaben der Vergangenheit? Es war sein Schalttag wieder eingetreten, als sie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen, als ich dachte, daß der alte Mann seit langer Zeit zum ersten Mal wieder in die freie Lust komme. Sie führten ihn den Weg, auf dem ich so oft an seiner Seite gegangen war. Aber nicht lange, so beugten sie über die schwarze Brücke und legten ihn tief in die Erde. Nun hält er seinen rechten Schalttag, dachte ich, aber wundern soll es mich doch, wie der alte Herr wieder da herauf kommen will, denn sie haben doch viele Steine und Rasen auf ihn hinab geworfen. — Er kam nicht wieder. Aber sein Bild blieb in meinem Gedächtniß, und als ich herangewachsen war, gehörte es zu meinen liebsten Beschäftigungen, seine feine offene Stirne, das klare Auge, den gebietenden und doch so freundlichen Mund mir vorzumalen. Mit seinem Bilde stiegen tausend Erinnerungen auf, und seine Schalttage waren mir die Lieblingsstücke in der langen Bildergallerie.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:05:53Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:05:53Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_ratskeller_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_ratskeller_1910/10
Zitationshilfe: Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_ratskeller_1910/10>, abgerufen am 19.04.2024.