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Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Kämmerlein nebenan fragen: Ist's noch nicht Morgen? Wie so ganz anders zittert der Ton dieser Mitternachtsglocke zu mir hernieder, als wenn er am Mittag durch die hellen klaren Lüfte schallt. Horch! ging da nicht im Keller eine Thüre? Sonderbar; wenn ich nicht so ganz allein hier unten wäre, wenn ich nicht wüßte, daß die Menschen nur oben wandeln, ich würde glauben, es tönen Schritte durch diese Hallen. -- Ha! es ist so; es kömmt näher, es tastet an der Thüre hin und her, es faßt und schüttelt die Klinke; doch die Thüre ist verschlossen und mit Riegeln verhängt; mich stört heute Nacht kein Sterblicher mehr. -- Ha, was ist das? die Thüre springt auf! Entsetzen! --

Vor der Thüre standen zwei Männer und machten gegenseitig Complimente über den Vortritt; der eine war ein langer hagerer Mann, trug eine große schwarze Lockenperrücke, einen dunkelrothen Rock nach altfränkischem Schnitt, überall mit goldenen Tressen und goldgesponnenen Knöpfen besetzt; seine ungeheuer langen und dünnen Beine staken in dünnen Beinkleidern von schwarzem Sammt mit goldenen Schnallen am Knie; daran schlossen sich rothe Strümpfe, und auf den Schuhen trug er goldene Schnallen. Den Degen mit einem Griff von Porzellain hatte er durch die Hosentasche gesteckt; er schwenkte, wenn er ein Compliment machte, einen dreispitzigen kleinen Hut von Seide, und die Lockenschwänze seiner Perrücke rauschten dann wie Wasserfälle über die Schultern herab. Der Mann hatte

Kämmerlein nebenan fragen: Ist's noch nicht Morgen? Wie so ganz anders zittert der Ton dieser Mitternachtsglocke zu mir hernieder, als wenn er am Mittag durch die hellen klaren Lüfte schallt. Horch! ging da nicht im Keller eine Thüre? Sonderbar; wenn ich nicht so ganz allein hier unten wäre, wenn ich nicht wüßte, daß die Menschen nur oben wandeln, ich würde glauben, es tönen Schritte durch diese Hallen. — Ha! es ist so; es kömmt näher, es tastet an der Thüre hin und her, es faßt und schüttelt die Klinke; doch die Thüre ist verschlossen und mit Riegeln verhängt; mich stört heute Nacht kein Sterblicher mehr. — Ha, was ist das? die Thüre springt auf! Entsetzen! —

Vor der Thüre standen zwei Männer und machten gegenseitig Complimente über den Vortritt; der eine war ein langer hagerer Mann, trug eine große schwarze Lockenperrücke, einen dunkelrothen Rock nach altfränkischem Schnitt, überall mit goldenen Tressen und goldgesponnenen Knöpfen besetzt; seine ungeheuer langen und dünnen Beine staken in dünnen Beinkleidern von schwarzem Sammt mit goldenen Schnallen am Knie; daran schlossen sich rothe Strümpfe, und auf den Schuhen trug er goldene Schnallen. Den Degen mit einem Griff von Porzellain hatte er durch die Hosentasche gesteckt; er schwenkte, wenn er ein Compliment machte, einen dreispitzigen kleinen Hut von Seide, und die Lockenschwänze seiner Perrücke rauschten dann wie Wasserfälle über die Schultern herab. Der Mann hatte

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[0032] Kämmerlein nebenan fragen: Ist's noch nicht Morgen? Wie so ganz anders zittert der Ton dieser Mitternachtsglocke zu mir hernieder, als wenn er am Mittag durch die hellen klaren Lüfte schallt. Horch! ging da nicht im Keller eine Thüre? Sonderbar; wenn ich nicht so ganz allein hier unten wäre, wenn ich nicht wüßte, daß die Menschen nur oben wandeln, ich würde glauben, es tönen Schritte durch diese Hallen. — Ha! es ist so; es kömmt näher, es tastet an der Thüre hin und her, es faßt und schüttelt die Klinke; doch die Thüre ist verschlossen und mit Riegeln verhängt; mich stört heute Nacht kein Sterblicher mehr. — Ha, was ist das? die Thüre springt auf! Entsetzen! — Vor der Thüre standen zwei Männer und machten gegenseitig Complimente über den Vortritt; der eine war ein langer hagerer Mann, trug eine große schwarze Lockenperrücke, einen dunkelrothen Rock nach altfränkischem Schnitt, überall mit goldenen Tressen und goldgesponnenen Knöpfen besetzt; seine ungeheuer langen und dünnen Beine staken in dünnen Beinkleidern von schwarzem Sammt mit goldenen Schnallen am Knie; daran schlossen sich rothe Strümpfe, und auf den Schuhen trug er goldene Schnallen. Den Degen mit einem Griff von Porzellain hatte er durch die Hosentasche gesteckt; er schwenkte, wenn er ein Compliment machte, einen dreispitzigen kleinen Hut von Seide, und die Lockenschwänze seiner Perrücke rauschten dann wie Wasserfälle über die Schultern herab. Der Mann hatte

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:05:53Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:05:53Z)

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Zitationshilfe: Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_ratskeller_1910/32>, abgerufen am 24.04.2024.