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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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daß die Welt nicht so eng begränzt ist, und daß
der menschliche Geist die hölzernen Schranken durch¬
brochen, und mit einem riesigen Petri-Schlüssel,
mit der Idee der Unsterblichkeit, alle sieben Him¬
mel aufgeschlossen hat. Unsterblichkeit! schöner Ge¬
danke! wer hat dich zuerst erdacht? War es ein
Nürnberger Spießbürger, der, mit weißer Nacht¬
mütze auf dem Kopfe und weißer Tonpfeife im
Maule, am lauen Sommerabend vor seiner Haus¬
thüre saß, und recht behaglich meinte: es wäre doch
hübsch, wenn er nun so immer fort, ohne daß sein
Pfeifchen und sein Lebensathemchen ausgingen, in
die liebe Ewigkeit hineinvegetiren könnte! Oder
war es ein junger Liebender, der in den Armen sei¬
ner Geliebten jenen Unsterblichkeits-Gedanken dachte,
und ihn dachte, weil er ihn fühlte, und weil er
nichts anders fühlen und denken konnte! -- Liebe!
Unsterblichkeit! -- in meiner Brust ward es plötzlich
so heiß, daß ich glaubte, die Geographen hätten den
Aequator verlegt, und er laufe jetzt grade durch
mein Herz. Und aus meinem Herzen ergossen sich

daß die Welt nicht ſo eng begraͤnzt iſt, und daß
der menſchliche Geiſt die hoͤlzernen Schranken durch¬
brochen, und mit einem rieſigen Petri-Schluͤſſel,
mit der Idee der Unſterblichkeit, alle ſieben Him¬
mel aufgeſchloſſen hat. Unſterblichkeit! ſchoͤner Ge¬
danke! wer hat dich zuerſt erdacht? War es ein
Nuͤrnberger Spießbuͤrger, der, mit weißer Nacht¬
muͤtze auf dem Kopfe und weißer Tonpfeife im
Maule, am lauen Sommerabend vor ſeiner Haus¬
thuͤre ſaß, und recht behaglich meinte: es waͤre doch
huͤbſch, wenn er nun ſo immer fort, ohne daß ſein
Pfeifchen und ſein Lebensathemchen ausgingen, in
die liebe Ewigkeit hineinvegetiren koͤnnte! Oder
war es ein junger Liebender, der in den Armen ſei¬
ner Geliebten jenen Unſterblichkeits-Gedanken dachte,
und ihn dachte, weil er ihn fuͤhlte, und weil er
nichts anders fuͤhlen und denken konnte! — Liebe!
Unſterblichkeit! — in meiner Bruſt ward es ploͤtzlich
ſo heiß, daß ich glaubte, die Geographen haͤtten den
Aequator verlegt, und er laufe jetzt grade durch
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[168/0180] daß die Welt nicht ſo eng begraͤnzt iſt, und daß der menſchliche Geiſt die hoͤlzernen Schranken durch¬ brochen, und mit einem rieſigen Petri-Schluͤſſel, mit der Idee der Unſterblichkeit, alle ſieben Him¬ mel aufgeſchloſſen hat. Unſterblichkeit! ſchoͤner Ge¬ danke! wer hat dich zuerſt erdacht? War es ein Nuͤrnberger Spießbuͤrger, der, mit weißer Nacht¬ muͤtze auf dem Kopfe und weißer Tonpfeife im Maule, am lauen Sommerabend vor ſeiner Haus¬ thuͤre ſaß, und recht behaglich meinte: es waͤre doch huͤbſch, wenn er nun ſo immer fort, ohne daß ſein Pfeifchen und ſein Lebensathemchen ausgingen, in die liebe Ewigkeit hineinvegetiren koͤnnte! Oder war es ein junger Liebender, der in den Armen ſei¬ ner Geliebten jenen Unſterblichkeits-Gedanken dachte, und ihn dachte, weil er ihn fuͤhlte, und weil er nichts anders fuͤhlen und denken konnte! — Liebe! Unſterblichkeit! — in meiner Bruſt ward es ploͤtzlich ſo heiß, daß ich glaubte, die Geographen haͤtten den Aequator verlegt, und er laufe jetzt grade durch mein Herz. Und aus meinem Herzen ergoſſen ſich

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/180>, abgerufen am 25.04.2024.