Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

Leser noch lange nicht genug vorbereitet, um eine solche
Untersuchung anzustellen.

Nachdem ich über den Begriff des Staats, als einen
widersprechenden, gleichwohl in der Erfahrung gegebe-
nen, und in so fern auflösbaren Begriff, der durch
Nachweisung seiner verborgenen Beziehungen muss er-
gänzt werden, so viel gesagt habe, als zur Erinnerung
an die ähnlichen metaphysischen Probleme des ersten
Theils dienlich war: setze ich meinen Weg weiter fort
zu den Grundsätzen der Statik und Mechanik; die es
wohl noch mehr, als jene, bedürfen werden, durch eine
auffallende Anwendung geläufiger gemacht zu werden,
ehe ich sie für die eigentliche Psychologie benutze.


A. Bruchstücke der Statik des Staats.

Die im zweyten Abschnitt des ersten Theils aufge-
stellten Lehren sind nicht unmittelbar aus dem Be-
griff eines erkennenden Wesens abgeleitet; sie passen
vielmehr auf alle innern Bestimmungen irgend welcher
Gegenstände, so fern dieselben unter einander entgegen-
gesetzt sind, und dergestalt zusammentreffen, dass sie
nach dem Maasse ihres Gegensatzes einander hemmen,
dass ihr Gehemmtes sich in ein Zurückstreben zum vo-
rigen Zustande verwandle, und dass die noch ungehemm-
ten Reste zu Gesammtkräften verschmelzen.

Die in der Gesellschaft wirksamen Kräfte sind un-
streitig ihrem Ursprunge nach psychologische Kräfte.
Sie treffen zusammen, so fern sie sich darstellen durch
Sprache, und durch Handlungen in der gemeinsamen
Sinnenwelt. In der letztern hemmen sie einander; das
ist das allgemeine Schauspiel streitender Interessen, und
gesellschaftlicher Reibungen. Auch die Verschmelzung
ist ohne Zweifel vorhanden; doch um diese kümmern
wir uns für jetzt noch nicht.

Das Zusammentreffen hängt hier von sehr verschie-
denartigen Bedingungen ab, unter denen die räumliche

Nähe

Leser noch lange nicht genug vorbereitet, um eine solche
Untersuchung anzustellen.

Nachdem ich über den Begriff des Staats, als einen
widersprechenden, gleichwohl in der Erfahrung gegebe-
nen, und in so fern auflösbaren Begriff, der durch
Nachweisung seiner verborgenen Beziehungen muſs er-
gänzt werden, so viel gesagt habe, als zur Erinnerung
an die ähnlichen metaphysischen Probleme des ersten
Theils dienlich war: setze ich meinen Weg weiter fort
zu den Grundsätzen der Statik und Mechanik; die es
wohl noch mehr, als jene, bedürfen werden, durch eine
auffallende Anwendung geläufiger gemacht zu werden,
ehe ich sie für die eigentliche Psychologie benutze.


A. Bruchstücke der Statik des Staats.

Die im zweyten Abschnitt des ersten Theils aufge-
stellten Lehren sind nicht unmittelbar aus dem Be-
griff eines erkennenden Wesens abgeleitet; sie passen
vielmehr auf alle innern Bestimmungen irgend welcher
Gegenstände, so fern dieselben unter einander entgegen-
gesetzt sind, und dergestalt zusammentreffen, daſs sie
nach dem Maaſse ihres Gegensatzes einander hemmen,
daſs ihr Gehemmtes sich in ein Zurückstreben zum vo-
rigen Zustande verwandle, und daſs die noch ungehemm-
ten Reste zu Gesammtkräften verschmelzen.

Die in der Gesellschaft wirksamen Kräfte sind un-
streitig ihrem Ursprunge nach psychologische Kräfte.
Sie treffen zusammen, so fern sie sich darstellen durch
Sprache, und durch Handlungen in der gemeinsamen
Sinnenwelt. In der letztern hemmen sie einander; das
ist das allgemeine Schauspiel streitender Interessen, und
gesellschaftlicher Reibungen. Auch die Verschmelzung
ist ohne Zweifel vorhanden; doch um diese kümmern
wir uns für jetzt noch nicht.

Das Zusammentreffen hängt hier von sehr verschie-
denartigen Bedingungen ab, unter denen die räumliche

Nähe
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0051" n="16"/>
Leser noch lange nicht genug vorbereitet, um eine solche<lb/>
Untersuchung anzustellen.</p><lb/>
        <p>Nachdem ich über den Begriff des Staats, als einen<lb/>
widersprechenden, gleichwohl in der Erfahrung gegebe-<lb/>
nen, und in <hi rendition="#g">so fern</hi> auflösbaren Begriff, der durch<lb/>
Nachweisung seiner verborgenen Beziehungen mu&#x017F;s er-<lb/>
gänzt werden, so viel gesagt habe, als zur Erinnerung<lb/>
an die ähnlichen metaphysischen Probleme des ersten<lb/>
Theils dienlich war: setze ich meinen Weg weiter fort<lb/>
zu den Grundsätzen der Statik und Mechanik; die es<lb/>
wohl noch mehr, als jene, bedürfen werden, durch eine<lb/>
auffallende Anwendung geläufiger gemacht zu werden,<lb/>
ehe ich sie für die eigentliche Psychologie benutze.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#i">A</hi>. Bruchstücke der Statik des Staats.</head><lb/>
          <p>Die im zweyten Abschnitt des ersten Theils aufge-<lb/>
stellten Lehren sind nicht <hi rendition="#g">unmittelbar</hi> aus dem Be-<lb/>
griff eines erkennenden Wesens abgeleitet; sie passen<lb/>
vielmehr auf alle innern Bestimmungen irgend welcher<lb/>
Gegenstände, so fern dieselben unter einander entgegen-<lb/>
gesetzt sind, und dergestalt zusammentreffen, da&#x017F;s sie<lb/>
nach dem Maa&#x017F;se ihres Gegensatzes einander hemmen,<lb/>
da&#x017F;s ihr Gehemmtes sich in ein Zurückstreben zum vo-<lb/>
rigen Zustande verwandle, und da&#x017F;s die noch ungehemm-<lb/>
ten Reste zu Gesammtkräften verschmelzen.</p><lb/>
          <p>Die in der Gesellschaft wirksamen Kräfte sind un-<lb/>
streitig ihrem Ursprunge nach psychologische Kräfte.<lb/>
Sie treffen zusammen, so fern sie sich darstellen durch<lb/>
Sprache, und durch Handlungen in der gemeinsamen<lb/>
Sinnenwelt. In der letztern hemmen sie einander; das<lb/>
ist das allgemeine Schauspiel streitender Interessen, und<lb/>
gesellschaftlicher Reibungen. Auch die Verschmelzung<lb/>
ist ohne Zweifel vorhanden; doch um diese kümmern<lb/>
wir uns für jetzt noch nicht.</p><lb/>
          <p>Das Zusammentreffen hängt hier von sehr verschie-<lb/>
denartigen Bedingungen ab, unter denen die räumliche<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Nähe</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0051] Leser noch lange nicht genug vorbereitet, um eine solche Untersuchung anzustellen. Nachdem ich über den Begriff des Staats, als einen widersprechenden, gleichwohl in der Erfahrung gegebe- nen, und in so fern auflösbaren Begriff, der durch Nachweisung seiner verborgenen Beziehungen muſs er- gänzt werden, so viel gesagt habe, als zur Erinnerung an die ähnlichen metaphysischen Probleme des ersten Theils dienlich war: setze ich meinen Weg weiter fort zu den Grundsätzen der Statik und Mechanik; die es wohl noch mehr, als jene, bedürfen werden, durch eine auffallende Anwendung geläufiger gemacht zu werden, ehe ich sie für die eigentliche Psychologie benutze. A. Bruchstücke der Statik des Staats. Die im zweyten Abschnitt des ersten Theils aufge- stellten Lehren sind nicht unmittelbar aus dem Be- griff eines erkennenden Wesens abgeleitet; sie passen vielmehr auf alle innern Bestimmungen irgend welcher Gegenstände, so fern dieselben unter einander entgegen- gesetzt sind, und dergestalt zusammentreffen, daſs sie nach dem Maaſse ihres Gegensatzes einander hemmen, daſs ihr Gehemmtes sich in ein Zurückstreben zum vo- rigen Zustande verwandle, und daſs die noch ungehemm- ten Reste zu Gesammtkräften verschmelzen. Die in der Gesellschaft wirksamen Kräfte sind un- streitig ihrem Ursprunge nach psychologische Kräfte. Sie treffen zusammen, so fern sie sich darstellen durch Sprache, und durch Handlungen in der gemeinsamen Sinnenwelt. In der letztern hemmen sie einander; das ist das allgemeine Schauspiel streitender Interessen, und gesellschaftlicher Reibungen. Auch die Verschmelzung ist ohne Zweifel vorhanden; doch um diese kümmern wir uns für jetzt noch nicht. Das Zusammentreffen hängt hier von sehr verschie- denartigen Bedingungen ab, unter denen die räumliche Nähe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/51
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/51>, abgerufen am 28.03.2024.