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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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Raume, in der Zeit, auf der Tonlinie, einigermaaßen auch
bey der intensiven Größe, als Maaßstab fortzutragen
im Stande sind, wie beym Augenmaaße und beym Tacte
vorzüglich auffallend ist.

D. Logische Formen.

78. Es ist eine böse Gewohnheit der Philosophen, sich
in schwierigen Fällen an die Logik zu lehnen; nicht eben um
deren Vorschriften mit besonderer Sorgfalt zu befolgen,
(welches sehr löblich wäre) sondern um dem Verfahren,
welches sie selbst in ihrem wissenschaftlichen Gange beobach-
tet, etwas nachzuahmen, oder nachzubilden. (Kants Kate-
gorien, zusammen gestellt nach einer sehr fehlerhaften Tafel
der logischen Urtheilsformen, und sein kategorischer Jmpera-
tiv, der nichts anders enthielt als eine Reminiscenz an das
logische Verhältniß des Allgemeinen zum Besondern, sind
warnende Beyspiele.) So nun hat man auch in der Psy-
chologie über Begriffe, Urtheile und Schlüsse kaum mehr
zu sagen nöthig gefunden, als daß zu allen logischen Ope-
rationen ohne Zweisel die Vermögen in der Seele vor-
handen seyen; und weil die Logik, um vom Einfachern zum
Zusammengesetzten fortzugehen, zuerst von Begriffen, dann
von Urtheilen, und endlich von Schlüssen handelt, hat man
auch unbedenklich die sogenannten Vermögen zu diesen
Dingen, nämlich Verstand, Urtheilskraft und Vernunft, in
derselben Ordnung in den Psychologieen abgehandelt.

Aber mehrere factische Umstände machen schon die That-
sache zweifelhaft, ob Begriffe im strengen logischen Sinne
wirklich im menschlichen Denken vorkommen? und es fragt
sich, ob dieselben nicht vielmehr logische Jdeale seyen, de-
nen sich unser wirkliches Denken mehr und mehr
annähern soll
? Diese Frage wird im zweyten Theile
bejahet werden; es wird sich überdies zeigen, daß die Urtheile

Raume, in der Zeit, auf der Tonlinie, einigermaaßen auch
bey der intensiven Größe, als Maaßstab fortzutragen
im Stande sind, wie beym Augenmaaße und beym Tacte
vorzüglich auffallend ist.

D. Logische Formen.

78. Es ist eine böse Gewohnheit der Philosophen, sich
in schwierigen Fällen an die Logik zu lehnen; nicht eben um
deren Vorschriften mit besonderer Sorgfalt zu befolgen,
(welches sehr löblich wäre) sondern um dem Verfahren,
welches sie selbst in ihrem wissenschaftlichen Gange beobach-
tet, etwas nachzuahmen, oder nachzubilden. (Kants Kate-
gorien, zusammen gestellt nach einer sehr fehlerhaften Tafel
der logischen Urtheilsformen, und sein kategorischer Jmpera-
tiv, der nichts anders enthielt als eine Reminiscenz an das
logische Verhältniß des Allgemeinen zum Besondern, sind
warnende Beyspiele.) So nun hat man auch in der Psy-
chologie über Begriffe, Urtheile und Schlüsse kaum mehr
zu sagen nöthig gefunden, als daß zu allen logischen Ope-
rationen ohne Zweisel die Vermögen in der Seele vor-
handen seyen; und weil die Logik, um vom Einfachern zum
Zusammengesetzten fortzugehen, zuerst von Begriffen, dann
von Urtheilen, und endlich von Schlüssen handelt, hat man
auch unbedenklich die sogenannten Vermögen zu diesen
Dingen, nämlich Verstand, Urtheilskraft und Vernunft, in
derselben Ordnung in den Psychologieen abgehandelt.

Aber mehrere factische Umstände machen schon die That-
sache zweifelhaft, ob Begriffe im strengen logischen Sinne
wirklich im menschlichen Denken vorkommen? und es fragt
sich, ob dieselben nicht vielmehr logische Jdeale seyen, de-
nen sich unser wirkliches Denken mehr und mehr
annähern soll
? Diese Frage wird im zweyten Theile
bejahet werden; es wird sich überdies zeigen, daß die Urtheile

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[62/0070] Raume, in der Zeit, auf der Tonlinie, einigermaaßen auch bey der intensiven Größe, als Maaßstab fortzutragen im Stande sind, wie beym Augenmaaße und beym Tacte vorzüglich auffallend ist. D. Logische Formen. 78. Es ist eine böse Gewohnheit der Philosophen, sich in schwierigen Fällen an die Logik zu lehnen; nicht eben um deren Vorschriften mit besonderer Sorgfalt zu befolgen, (welches sehr löblich wäre) sondern um dem Verfahren, welches sie selbst in ihrem wissenschaftlichen Gange beobach- tet, etwas nachzuahmen, oder nachzubilden. (Kants Kate- gorien, zusammen gestellt nach einer sehr fehlerhaften Tafel der logischen Urtheilsformen, und sein kategorischer Jmpera- tiv, der nichts anders enthielt als eine Reminiscenz an das logische Verhältniß des Allgemeinen zum Besondern, sind warnende Beyspiele.) So nun hat man auch in der Psy- chologie über Begriffe, Urtheile und Schlüsse kaum mehr zu sagen nöthig gefunden, als daß zu allen logischen Ope- rationen ohne Zweisel die Vermögen in der Seele vor- handen seyen; und weil die Logik, um vom Einfachern zum Zusammengesetzten fortzugehen, zuerst von Begriffen, dann von Urtheilen, und endlich von Schlüssen handelt, hat man auch unbedenklich die sogenannten Vermögen zu diesen Dingen, nämlich Verstand, Urtheilskraft und Vernunft, in derselben Ordnung in den Psychologieen abgehandelt. Aber mehrere factische Umstände machen schon die That- sache zweifelhaft, ob Begriffe im strengen logischen Sinne wirklich im menschlichen Denken vorkommen? und es fragt sich, ob dieselben nicht vielmehr logische Jdeale seyen, de- nen sich unser wirkliches Denken mehr und mehr annähern soll? Diese Frage wird im zweyten Theile bejahet werden; es wird sich überdies zeigen, daß die Urtheile

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/70>, abgerufen am 19.04.2024.