Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Gedichte der Grazie weihen, wie Orpheus
sein 59stes thumiama; und ihm die Ode des
Pindars zueignen, die er dem Asopichus
sang, einem jungen olympischen Sänger,
der mit den Charitinnen am silbernen Ce-
pheus
geboren war.



7.
Sappho und Karschin.

Die Muse will, daß ich mit einer Dichte-
rin beschließen soll, die sich oft und manch-
mal am unrechten Ort den Namen Sappho
gibt. Jch würde diesen Frauenzimmereinfall
nicht zur männlichen Wahrheit machen: wenn
nicht die Bestimmtheit, mit der sie auf sich
zeigt, es verriethe; einige ihrer Verehrer
haben vielleicht ihre Bescheidenheit in diesen
süßen Traum gewieget.

Wenn man die Gedichte der Mad. Kar-
schin
auch nur als Gemälde der Einbildungs-
kraft betrachtet: so haben sie wegen ihrer vie-
len Originalen Züge mehr Verdienst um die

Erwe-

Gedichte der Grazie weihen, wie Orpheus
ſein 59ſtes ϑυμιαμα; und ihm die Ode des
Pindars zueignen, die er dem Aſopichus
ſang, einem jungen olympiſchen Saͤnger,
der mit den Charitinnen am ſilbernen Ce-
pheus
geboren war.



7.
Sappho und Karſchin.

Die Muſe will, daß ich mit einer Dichte-
rin beſchließen ſoll, die ſich oft und manch-
mal am unrechten Ort den Namen Sappho
gibt. Jch wuͤrde dieſen Frauenzimmereinfall
nicht zur maͤnnlichen Wahrheit machen: wenn
nicht die Beſtimmtheit, mit der ſie auf ſich
zeigt, es verriethe; einige ihrer Verehrer
haben vielleicht ihre Beſcheidenheit in dieſen
ſuͤßen Traum gewieget.

Wenn man die Gedichte der Mad. Kar-
ſchin
auch nur als Gemaͤlde der Einbildungs-
kraft betrachtet: ſo haben ſie wegen ihrer vie-
len Originalen Zuͤge mehr Verdienſt um die

Erwe-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0202" n="370"/>
Gedichte der Grazie weihen, wie Orpheus<lb/>
&#x017F;ein 59&#x017F;tes &#x03D1;&#x03C5;&#x03BC;&#x03B9;&#x03B1;&#x03BC;&#x03B1;; und ihm die Ode des<lb/><hi rendition="#fr">Pindars</hi> zueignen, die er dem <hi rendition="#fr">A&#x017F;opichus</hi><lb/>
&#x017F;ang, einem jungen olympi&#x017F;chen Sa&#x0364;nger,<lb/>
der mit den Charitinnen am &#x017F;ilbernen <hi rendition="#fr">Ce-<lb/>
pheus</hi> geboren war.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b">7.</hi><lb/>
Sappho und Kar&#x017F;chin.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Mu&#x017F;e will, daß ich mit einer Dichte-<lb/>
rin be&#x017F;chließen &#x017F;oll, die &#x017F;ich oft und manch-<lb/>
mal am unrechten Ort den Namen <hi rendition="#fr">Sappho</hi><lb/>
gibt. Jch wu&#x0364;rde die&#x017F;en Frauenzimmereinfall<lb/>
nicht zur ma&#x0364;nnlichen Wahrheit machen: wenn<lb/>
nicht die Be&#x017F;timmtheit, mit der &#x017F;ie auf &#x017F;ich<lb/>
zeigt, es verriethe; einige ihrer Verehrer<lb/>
haben vielleicht ihre Be&#x017F;cheidenheit in die&#x017F;en<lb/>
&#x017F;u&#x0364;ßen Traum gewieget.</p><lb/>
          <p>Wenn man die Gedichte der Mad. <hi rendition="#fr">Kar-<lb/>
&#x017F;chin</hi> auch nur als Gema&#x0364;lde der Einbildungs-<lb/>
kraft betrachtet: &#x017F;o haben &#x017F;ie wegen ihrer vie-<lb/>
len Originalen Zu&#x0364;ge mehr Verdien&#x017F;t um die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Erwe-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[370/0202] Gedichte der Grazie weihen, wie Orpheus ſein 59ſtes ϑυμιαμα; und ihm die Ode des Pindars zueignen, die er dem Aſopichus ſang, einem jungen olympiſchen Saͤnger, der mit den Charitinnen am ſilbernen Ce- pheus geboren war. 7. Sappho und Karſchin. Die Muſe will, daß ich mit einer Dichte- rin beſchließen ſoll, die ſich oft und manch- mal am unrechten Ort den Namen Sappho gibt. Jch wuͤrde dieſen Frauenzimmereinfall nicht zur maͤnnlichen Wahrheit machen: wenn nicht die Beſtimmtheit, mit der ſie auf ſich zeigt, es verriethe; einige ihrer Verehrer haben vielleicht ihre Beſcheidenheit in dieſen ſuͤßen Traum gewieget. Wenn man die Gedichte der Mad. Kar- ſchin auch nur als Gemaͤlde der Einbildungs- kraft betrachtet: ſo haben ſie wegen ihrer vie- len Originalen Zuͤge mehr Verdienſt um die Erwe-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/202
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/202>, abgerufen am 28.03.2024.