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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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wies bey dem allen Absicht und abwägende
Weisheit
scheint, eine große Masse kindischer
Kräfte
durch kurze, kraftlose Dauer des Le-
bensspiels
zu mäßigen und zu sichern: ge-
hörte nicht auch allein jenes erste, stille, ewi-
ge Baum- und Patriarchenleben
dazu, um
die Menschheit in ersten Neigungen, Sitten
und Einrichtungen zu wurzeln und zu gründen?

Was waren diese Neigungen? Was sollten
sie seyn? Die natürlichsten, stärksten, einfach-
sten! für alle Jahrhunderte der Menschenbil-
dung die ewige Grundlage: Weisheit statt
Wissenschaft, Gottesfurcht statt Weisheit, El-
tern-Gattten- Kindesliebe
statt Artigkeit und
Ausschweifung, Ordnung des Lebens, Herr-
schaft und Gottregentschaft eines Hauses

das Urbild aller bürgerlichen Ordnung und
Einrichtung -- in diesem allen der einfach-
ste Genuß
der Menschheit aber zugleich der
tiefste -- wie das alles, ich will nicht fra-
gen, erbildet, nur angebildet, fortgebildet wer-
den, als -- durch jene stille ewige Macht
des Vorbilds,
und einer Reihe Vorbilde mit
ihrer Herrschaft um sich her? Nach unserm
Lebensmaaße wäre jede Erfindung hundertfach
verlohren gangen; wie Wahn entsprungen

und



wies bey dem allen Abſicht und abwaͤgende
Weisheit
ſcheint, eine große Maſſe kindiſcher
Kraͤfte
durch kurze, kraftloſe Dauer des Le-
bensſpiels
zu maͤßigen und zu ſichern: ge-
hoͤrte nicht auch allein jenes erſte, ſtille, ewi-
ge Baum- und Patriarchenleben
dazu, um
die Menſchheit in erſten Neigungen, Sitten
und Einrichtungen zu wurzeln und zu gruͤnden?

Was waren dieſe Neigungen? Was ſollten
ſie ſeyn? Die natuͤrlichſten, ſtaͤrkſten, einfach-
ſten! fuͤr alle Jahrhunderte der Menſchenbil-
dung die ewige Grundlage: Weisheit ſtatt
Wiſſenſchaft, Gottesfurcht ſtatt Weisheit, El-
tern-Gattten- Kindesliebe
ſtatt Artigkeit und
Ausſchweifung, Ordnung des Lebens, Herr-
ſchaft und Gottregentſchaft eines Hauſes

das Urbild aller buͤrgerlichen Ordnung und
Einrichtung — in dieſem allen der einfach-
ſte Genuß
der Menſchheit aber zugleich der
tiefſte — wie das alles, ich will nicht fra-
gen, erbildet, nur angebildet, fortgebildet wer-
den, als — durch jene ſtille ewige Macht
des Vorbilds,
und einer Reihe Vorbilde mit
ihrer Herrſchaft um ſich her? Nach unſerm
Lebensmaaße waͤre jede Erfindung hundertfach
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[6/0010] wies bey dem allen Abſicht und abwaͤgende Weisheit ſcheint, eine große Maſſe kindiſcher Kraͤfte durch kurze, kraftloſe Dauer des Le- bensſpiels zu maͤßigen und zu ſichern: ge- hoͤrte nicht auch allein jenes erſte, ſtille, ewi- ge Baum- und Patriarchenleben dazu, um die Menſchheit in erſten Neigungen, Sitten und Einrichtungen zu wurzeln und zu gruͤnden? Was waren dieſe Neigungen? Was ſollten ſie ſeyn? Die natuͤrlichſten, ſtaͤrkſten, einfach- ſten! fuͤr alle Jahrhunderte der Menſchenbil- dung die ewige Grundlage: Weisheit ſtatt Wiſſenſchaft, Gottesfurcht ſtatt Weisheit, El- tern-Gattten- Kindesliebe ſtatt Artigkeit und Ausſchweifung, Ordnung des Lebens, Herr- ſchaft und Gottregentſchaft eines Hauſes das Urbild aller buͤrgerlichen Ordnung und Einrichtung — in dieſem allen der einfach- ſte Genuß der Menſchheit aber zugleich der tiefſte — wie das alles, ich will nicht fra- gen, erbildet, nur angebildet, fortgebildet wer- den, als — durch jene ſtille ewige Macht des Vorbilds, und einer Reihe Vorbilde mit ihrer Herrſchaft um ſich her? Nach unſerm Lebensmaaße waͤre jede Erfindung hundertfach verlohren gangen; wie Wahn entſprungen und

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/10>, abgerufen am 18.04.2024.