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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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Jndeß auch von diesem heroischen Anfän-
ger der Bildung menschlichen Geschlechts weg-
gesehen: nach den bloßen Trümmern der
weltlichen Geschichte
und nach dem flüchtig-
sten Raisonnement über dieselbe a la Vol-
taire
-- welche Zustände können erdacht
werden, erste Neigungen des menschlichen
Herzens
hervorzulocken, zu bilden, und vest-
zubilden, als die wir schon in den Traditionen
unsrer ältesten Geschichte
würklich angewandt
finden? Das Hirtenleben im schönsten Kli-
ma der Welt,
wo die freywillige Natur den
einfachsten Bedürfuissen so zuvor oder zu
Hülfe kommt, die ruhige und zugleich wan-
dernde Lebensart der väterlichen Patriar-
chenhütte,
mit allem, was sie giebt, und dem
Auge entziehet, der damalige Kreis menschli-
cher Bedürfnisse, Beschäftigungen und Ver-
gnügen,
nebst allem, was nach Fabel oder
Geschichte dazu kam, diese Beschäftigungen
und Vergnügen zu lenken -- man denke
sich alles in sein natürliches, lebendiges Licht --
welch ein erwählter Garten Gottes zur Er-
ziehung der ersten, zartesten Menschenge-
wächse!
Siehe diesen Mann voll Kraft und
Gefühl Gottes, aber so innig und ruhig füh-
lend, als hier der Saft im Baum treibt, als

der


Jndeß auch von dieſem heroiſchen Anfaͤn-
ger der Bildung menſchlichen Geſchlechts weg-
geſehen: nach den bloßen Truͤmmern der
weltlichen Geſchichte
und nach dem fluͤchtig-
ſten Raiſonnement uͤber dieſelbe à la Vol-
taire
— welche Zuſtaͤnde koͤnnen erdacht
werden, erſte Neigungen des menſchlichen
Herzens
hervorzulocken, zu bilden, und veſt-
zubilden, als die wir ſchon in den Traditionen
unſrer aͤlteſten Geſchichte
wuͤrklich angewandt
finden? Das Hirtenleben im ſchoͤnſten Kli-
ma der Welt,
wo die freywillige Natur den
einfachſten Beduͤrfuiſſen ſo zuvor oder zu
Huͤlfe kommt, die ruhige und zugleich wan-
dernde Lebensart der vaͤterlichen Patriar-
chenhuͤtte,
mit allem, was ſie giebt, und dem
Auge entziehet, der damalige Kreis menſchli-
cher Beduͤrfniſſe, Beſchaͤftigungen und Ver-
gnuͤgen,
nebſt allem, was nach Fabel oder
Geſchichte dazu kam, dieſe Beſchaͤftigungen
und Vergnuͤgen zu lenken — man denke
ſich alles in ſein natuͤrliches, lebendiges Licht —
welch ein erwaͤhlter Garten Gottes zur Er-
ziehung der erſten, zarteſten Menſchenge-
waͤchſe!
Siehe dieſen Mann voll Kraft und
Gefuͤhl Gottes, aber ſo innig und ruhig fuͤh-
lend, als hier der Saft im Baum treibt, als

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[8/0012] Jndeß auch von dieſem heroiſchen Anfaͤn- ger der Bildung menſchlichen Geſchlechts weg- geſehen: nach den bloßen Truͤmmern der weltlichen Geſchichte und nach dem fluͤchtig- ſten Raiſonnement uͤber dieſelbe à la Vol- taire — welche Zuſtaͤnde koͤnnen erdacht werden, erſte Neigungen des menſchlichen Herzens hervorzulocken, zu bilden, und veſt- zubilden, als die wir ſchon in den Traditionen unſrer aͤlteſten Geſchichte wuͤrklich angewandt finden? Das Hirtenleben im ſchoͤnſten Kli- ma der Welt, wo die freywillige Natur den einfachſten Beduͤrfuiſſen ſo zuvor oder zu Huͤlfe kommt, die ruhige und zugleich wan- dernde Lebensart der vaͤterlichen Patriar- chenhuͤtte, mit allem, was ſie giebt, und dem Auge entziehet, der damalige Kreis menſchli- cher Beduͤrfniſſe, Beſchaͤftigungen und Ver- gnuͤgen, nebſt allem, was nach Fabel oder Geſchichte dazu kam, dieſe Beſchaͤftigungen und Vergnuͤgen zu lenken — man denke ſich alles in ſein natuͤrliches, lebendiges Licht — welch ein erwaͤhlter Garten Gottes zur Er- ziehung der erſten, zarteſten Menſchenge- waͤchſe! Siehe dieſen Mann voll Kraft und Gefuͤhl Gottes, aber ſo innig und ruhig fuͤh- lend, als hier der Saft im Baum treibt, als der

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/12>, abgerufen am 19.04.2024.