Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hilbert, David: Mathematische Probleme. Vortrag, gehalten auf dem internationalen Mathematiker-Kongreß zu Paris 1900. Göttingen, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

mathematische Probleme.
endliche Anzahl von solchen Ausdrücken auswählen läßt, durch
die jeder andere Ausdruck von jener Gestalt für irgend einen
Exponenten h ganz und rational darstellbar ist.


Aus den Grenzgebieten zwischen Algebra und Geometrie
möchte ich zwei Probleme nennen: das eine betrifft den geome-
trischen Abzählungskalkül und das zweite die Topologie alge-
braischer Curven und Flächen.

15. Strenge Begründung von Schuberts Abzählungskalkül.

Das Problem besteht darin, diejenigen geometrischen Anzahlen
strenge und unter genauer Feststellung der Grenzen ihrer Gültigkeit
zu beweisen, die insbesondere Schubert 1) auf Grund des soge-
nannten Princips der speciellen Lage mittelst des von ihm ausgebildeten
Abzählungskalküls bestimmt hat
. Wenn auch die heutige Algebra
die Durchführbarkeit der Eliminationsprocesse im Princip gewähr-
leistet, so ist zum Beweise der Sätze der abzählenden Geometrie
erheblich mehr erforderlich, nämlich die Durchführung der Elimi-
nation bei besonders geformten Gleichungen in der Weise, daß
der Grad der Endgleichungen und die Vielfachheit ihrer Lösungen
sich voraussehen läßt.

16. Problem der Topologie algebraischer Curven und Flächen.

Die Maximalzahl der geschlossenen und getrennt liegenden
Züge, welche eine ebene algebraische Curve n ter Ordnung haben
kann, ist von Harnack 2) bestimmt worden; es entsteht die
weitere Frage nach der gegenseitigen Lage der Curvenzüge in
der Ebene. Was die Curven 6ter Ordnung angeht, so habe ich
mich -- freilich auf einem recht umständlichen Wege -- davon
überzeugt, daß die 11 Züge, die sie nach Harnack haben kann,
keinesfalls sämtlich außerhalb von einander verlaufen dürfen, son-
dern daß ein Zug existiren muß, in dessen Innerem ein Zug und
in dessen Aeußerem neun Züge verlaufen oder umgekehrt. Eine
gründliche Untersuchung der gegenseitigen Lage bei der Maximalzahl
von getrennten Zügen scheint mir ebenso sehr von Interesse zu sein,
wie die entsprechende Untersuchung über die Anzahl, Gestalt und
Lage der Mäntel einer algebraischen Fläche im Raume
-- ist doch
bisher noch nicht einmal bekannt, wieviel Mäntel eine Fläche 4ter

1) Kalkül der abzählenden Geometrie. Leipzig 1879.
2) Mathematische Annalen, Bd. 10.

mathematische Probleme.
endliche Anzahl von solchen Ausdrücken auswählen läßt, durch
die jeder andere Ausdruck von jener Gestalt für irgend einen
Exponenten h ganz und rational darstellbar ist.


Aus den Grenzgebieten zwischen Algebra und Geometrie
möchte ich zwei Probleme nennen: das eine betrifft den geome-
trischen Abzählungskalkül und das zweite die Topologie alge-
braischer Curven und Flächen.

15. Strenge Begründung von Schuberts Abzählungskalkül.

Das Problem besteht darin, diejenigen geometrischen Anzahlen
strenge und unter genauer Feststellung der Grenzen ihrer Gültigkeit
zu beweisen, die insbesondere Schubert 1) auf Grund des soge-
nannten Princips der speciellen Lage mittelst des von ihm ausgebildeten
Abzählungskalküls bestimmt hat
. Wenn auch die heutige Algebra
die Durchführbarkeit der Eliminationsprocesse im Princip gewähr-
leistet, so ist zum Beweise der Sätze der abzählenden Geometrie
erheblich mehr erforderlich, nämlich die Durchführung der Elimi-
nation bei besonders geformten Gleichungen in der Weise, daß
der Grad der Endgleichungen und die Vielfachheit ihrer Lösungen
sich voraussehen läßt.

16. Problem der Topologie algebraischer Curven und Flächen.

Die Maximalzahl der geschlossenen und getrennt liegenden
Züge, welche eine ebene algebraische Curve n ter Ordnung haben
kann, ist von Harnack 2) bestimmt worden; es entsteht die
weitere Frage nach der gegenseitigen Lage der Curvenzüge in
der Ebene. Was die Curven 6ter Ordnung angeht, so habe ich
mich — freilich auf einem recht umständlichen Wege — davon
überzeugt, daß die 11 Züge, die sie nach Harnack haben kann,
keinesfalls sämtlich außerhalb von einander verlaufen dürfen, son-
dern daß ein Zug existiren muß, in dessen Innerem ein Zug und
in dessen Aeußerem neun Züge verlaufen oder umgekehrt. Eine
gründliche Untersuchung der gegenseitigen Lage bei der Maximalzahl
von getrennten Zügen scheint mir ebenso sehr von Interesse zu sein,
wie die entsprechende Untersuchung über die Anzahl, Gestalt und
Lage der Mäntel einer algebraischen Fläche im Raume
— ist doch
bisher noch nicht einmal bekannt, wieviel Mäntel eine Fläche 4ter

1) Kalkül der abzählenden Geometrie. Leipzig 1879.
2) Mathematische Annalen, Bd. 10.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0039" n="283"/><fw place="top" type="header">mathematische Probleme.</fw><lb/>
endliche Anzahl von solchen Ausdrücken auswählen läßt, durch<lb/>
die jeder andere Ausdruck von jener Gestalt für irgend einen<lb/>
Exponenten <hi rendition="#i">h</hi> ganz und rational darstellbar ist.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Aus den Grenzgebieten zwischen Algebra und Geometrie<lb/>
möchte ich zwei Probleme nennen: das eine betrifft den geome-<lb/>
trischen Abzählungskalkül und das zweite die Topologie alge-<lb/>
braischer Curven und Flächen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>15. Strenge Begründung von Schuberts Abzählungskalkül.</head><lb/>
          <p>Das Problem besteht darin, <hi rendition="#i">diejenigen geometrischen Anzahlen<lb/>
strenge und unter genauer Feststellung der Grenzen ihrer Gültigkeit<lb/>
zu beweisen, die insbesondere <hi rendition="#g">Schubert</hi> <note place="foot" n="1)">Kalkül der abzählenden Geometrie. Leipzig 1879.</note> auf Grund des soge-<lb/>
nannten Princips der speciellen Lage mittelst des von ihm ausgebildeten<lb/>
Abzählungskalküls bestimmt hat</hi>. Wenn auch die heutige Algebra<lb/>
die Durchführbarkeit der Eliminationsprocesse im Princip gewähr-<lb/>
leistet, so ist zum Beweise der Sätze der abzählenden Geometrie<lb/>
erheblich mehr erforderlich, nämlich die Durchführung der Elimi-<lb/>
nation bei besonders geformten Gleichungen in der Weise, daß<lb/>
der Grad der Endgleichungen und die Vielfachheit ihrer Lösungen<lb/>
sich voraussehen läßt.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>16. Problem der Topologie algebraischer Curven und Flächen.</head><lb/>
          <p>Die Maximalzahl der geschlossenen und getrennt liegenden<lb/>
Züge, welche eine ebene algebraische Curve <hi rendition="#i">n</hi> ter Ordnung haben<lb/>
kann, ist von <hi rendition="#g">Harnack</hi> <note place="foot" n="2)">Mathematische Annalen, Bd. 10.</note> bestimmt worden; es entsteht die<lb/>
weitere Frage nach der gegenseitigen Lage der Curvenzüge in<lb/>
der Ebene. Was die Curven <choice><orig>6 ter</orig><reg>6ter</reg></choice> Ordnung angeht, so habe ich<lb/>
mich &#x2014; freilich auf einem recht umständlichen Wege &#x2014; davon<lb/>
überzeugt, daß die 11 Züge, die sie nach <hi rendition="#g">Harnack</hi> haben kann,<lb/>
keinesfalls sämtlich außerhalb von einander verlaufen dürfen, son-<lb/>
dern daß ein Zug existiren muß, in dessen Innerem <hi rendition="#g">ein</hi> Zug und<lb/>
in dessen Aeußerem <hi rendition="#g">neun</hi> Züge verlaufen oder umgekehrt. <hi rendition="#i">Eine<lb/>
gründliche Untersuchung der gegenseitigen Lage bei der Maximalzahl<lb/>
von getrennten Zügen scheint mir ebenso sehr von Interesse zu sein,<lb/>
wie die entsprechende Untersuchung über die Anzahl, Gestalt und<lb/>
Lage der Mäntel einer algebraischen Fläche im Raume</hi> &#x2014; ist doch<lb/>
bisher noch nicht einmal bekannt, wieviel Mäntel eine Fläche <choice><orig>4 ter</orig><reg>4ter</reg></choice><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[283/0039] mathematische Probleme. endliche Anzahl von solchen Ausdrücken auswählen läßt, durch die jeder andere Ausdruck von jener Gestalt für irgend einen Exponenten h ganz und rational darstellbar ist. Aus den Grenzgebieten zwischen Algebra und Geometrie möchte ich zwei Probleme nennen: das eine betrifft den geome- trischen Abzählungskalkül und das zweite die Topologie alge- braischer Curven und Flächen. 15. Strenge Begründung von Schuberts Abzählungskalkül. Das Problem besteht darin, diejenigen geometrischen Anzahlen strenge und unter genauer Feststellung der Grenzen ihrer Gültigkeit zu beweisen, die insbesondere Schubert 1) auf Grund des soge- nannten Princips der speciellen Lage mittelst des von ihm ausgebildeten Abzählungskalküls bestimmt hat. Wenn auch die heutige Algebra die Durchführbarkeit der Eliminationsprocesse im Princip gewähr- leistet, so ist zum Beweise der Sätze der abzählenden Geometrie erheblich mehr erforderlich, nämlich die Durchführung der Elimi- nation bei besonders geformten Gleichungen in der Weise, daß der Grad der Endgleichungen und die Vielfachheit ihrer Lösungen sich voraussehen läßt. 16. Problem der Topologie algebraischer Curven und Flächen. Die Maximalzahl der geschlossenen und getrennt liegenden Züge, welche eine ebene algebraische Curve n ter Ordnung haben kann, ist von Harnack 2) bestimmt worden; es entsteht die weitere Frage nach der gegenseitigen Lage der Curvenzüge in der Ebene. Was die Curven 6 ter Ordnung angeht, so habe ich mich — freilich auf einem recht umständlichen Wege — davon überzeugt, daß die 11 Züge, die sie nach Harnack haben kann, keinesfalls sämtlich außerhalb von einander verlaufen dürfen, son- dern daß ein Zug existiren muß, in dessen Innerem ein Zug und in dessen Aeußerem neun Züge verlaufen oder umgekehrt. Eine gründliche Untersuchung der gegenseitigen Lage bei der Maximalzahl von getrennten Zügen scheint mir ebenso sehr von Interesse zu sein, wie die entsprechende Untersuchung über die Anzahl, Gestalt und Lage der Mäntel einer algebraischen Fläche im Raume — ist doch bisher noch nicht einmal bekannt, wieviel Mäntel eine Fläche 4 ter 1) Kalkül der abzählenden Geometrie. Leipzig 1879. 2) Mathematische Annalen, Bd. 10.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hilbert_mathematische_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hilbert_mathematische_1900/39
Zitationshilfe: Hilbert, David: Mathematische Probleme. Vortrag, gehalten auf dem internationalen Mathematiker-Kongreß zu Paris 1900. Göttingen, 1900, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hilbert_mathematische_1900/39>, abgerufen am 28.03.2024.