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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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das Irrlicht, von dem die gemeinen Leute
erzählen, es ließe sich dabey eine Stimme
hören: hier her, hier her! und wenn man
sie befolgt, bums! liegt man im Sumpfe.
Wie kommts, lieber Pastor? wer mit Frauen-
zimmern umgehen kann, versteht es auch
mit Fürsten und Gewaltigen, und mit den
Herren der Welt -- alle Welt sagt von ihm:
er hat Lebensart. --
Vater. Vornehme und Frauenzimmer
haben sehr viel ähnliches; sie wollen geschmei-
chelt seyn, und wir thuns gerne, weil wir
sie übersehen. Männer sehen auf das, was
man von ihnen denckt; Weiber, was man von
ihnen sagt. Wir huldigen dem Geschlecht,
nicht der Dame; wir huldigen dem Amt,
nicht Sr. Durchl. Lebensart ist Geschick,
schwere Sachen leicht vorzutragen, durch
treffende Beyspiele sie erleichtern, sie faßlich
machen, ein Buch, anstatt es zu lesen, es zu
durchbildern. Die Franzosen sind diejenigen
unter Europens Nationen, welche Lebens-
art haben. Ihre Schriftsteller haben in der
Philosophie nur die Bilder gesehen. Schön-
heit und Farben setzen eine Substanz vor-
aus, worauf sie angebracht werden sollen.
Schöne Wißenschaften ohne Philosophie ist
Farbe
das Irrlicht, von dem die gemeinen Leute
erzaͤhlen, es ließe ſich dabey eine Stimme
hoͤren: hier her, hier her! und wenn man
ſie befolgt, bums! liegt man im Sumpfe.
Wie kommts, lieber Paſtor? wer mit Frauen-
zimmern umgehen kann, verſteht es auch
mit Fuͤrſten und Gewaltigen, und mit den
Herren der Welt — alle Welt ſagt von ihm:
er hat Lebensart. —
Vater. Vornehme und Frauenzimmer
haben ſehr viel aͤhnliches; ſie wollen geſchmei-
chelt ſeyn, und wir thuns gerne, weil wir
ſie uͤberſehen. Maͤnner ſehen auf das, was
man von ihnen denckt; Weiber, was man von
ihnen ſagt. Wir huldigen dem Geſchlecht,
nicht der Dame; wir huldigen dem Amt,
nicht Sr. Durchl. Lebensart iſt Geſchick,
ſchwere Sachen leicht vorzutragen, durch
treffende Beyſpiele ſie erleichtern, ſie faßlich
machen, ein Buch, anſtatt es zu leſen, es zu
durchbildern. Die Franzoſen ſind diejenigen
unter Europens Nationen, welche Lebens-
art haben. Ihre Schriftſteller haben in der
Philoſophie nur die Bilder geſehen. Schoͤn-
heit und Farben ſetzen eine Subſtanz vor-
aus, worauf ſie angebracht werden ſollen.
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[402/0414] das Irrlicht, von dem die gemeinen Leute erzaͤhlen, es ließe ſich dabey eine Stimme hoͤren: hier her, hier her! und wenn man ſie befolgt, bums! liegt man im Sumpfe. Wie kommts, lieber Paſtor? wer mit Frauen- zimmern umgehen kann, verſteht es auch mit Fuͤrſten und Gewaltigen, und mit den Herren der Welt — alle Welt ſagt von ihm: er hat Lebensart. — Vater. Vornehme und Frauenzimmer haben ſehr viel aͤhnliches; ſie wollen geſchmei- chelt ſeyn, und wir thuns gerne, weil wir ſie uͤberſehen. Maͤnner ſehen auf das, was man von ihnen denckt; Weiber, was man von ihnen ſagt. Wir huldigen dem Geſchlecht, nicht der Dame; wir huldigen dem Amt, nicht Sr. Durchl. Lebensart iſt Geſchick, ſchwere Sachen leicht vorzutragen, durch treffende Beyſpiele ſie erleichtern, ſie faßlich machen, ein Buch, anſtatt es zu leſen, es zu durchbildern. Die Franzoſen ſind diejenigen unter Europens Nationen, welche Lebens- art haben. Ihre Schriftſteller haben in der Philoſophie nur die Bilder geſehen. Schoͤn- heit und Farben ſetzen eine Subſtanz vor- aus, worauf ſie angebracht werden ſollen. Schoͤne Wißenſchaften ohne Philoſophie iſt Farbe

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/414>, abgerufen am 28.03.2024.