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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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der Adel in Curland zu bedeuten habe, und
fühlt' es auch noch in den Gliedern, daß er
wegen einer Grabschrift drey Tage und drey
Nächte wachen müssen. Er dacht' an alle
Ehrenerklärungen und Maulschläge, die er
zu übernehmen nothgedrungen worden, und
an seine eigene Grabschrift, die man noch le-
bend auf ihn gemacht:
Hier wacht der lebendig Todte. --
Viele Leute pflegten dieser Grabschrift wegen
mit Herrn Herrmann ein Gespötte zu treiben
und zu behaupten, daß er mit lebendigem
Leibe spücke.

Ein Tag, wie der heutige, fieng Herr
v. G. an, nachdem er die Hände gefalten
und sie gen Himmel gebrochen hatte, ein Tag,
wie der heutige, ist eines solchen Abends werth!
Ich hab diesen Tag gelebt, und wenn gleich
viel vom Leben dieses Tages auf die Rechnung
der zehnjährigen Entfernung gehöret; ich setze
zehn für eins -- zwölf Tage könnte man im
Jahre von dieser Art leben. Wer wolt' aber
vergessen, daß der Tod aufs Leben folgt,
fuhr Herr v. G. fort! Der Herr v. W.
wußte nicht Worte zu finden, dem Herrn
v. G. seine Erkenntlichkeit zu beweisen; denn

er

der Adel in Curland zu bedeuten habe, und
fuͤhlt’ es auch noch in den Gliedern, daß er
wegen einer Grabſchrift drey Tage und drey
Naͤchte wachen muͤſſen. Er dacht’ an alle
Ehrenerklaͤrungen und Maulſchlaͤge, die er
zu uͤbernehmen nothgedrungen worden, und
an ſeine eigene Grabſchrift, die man noch le-
bend auf ihn gemacht:
Hier wacht der lebendig Todte. —
Viele Leute pflegten dieſer Grabſchrift wegen
mit Herrn Herrmann ein Geſpoͤtte zu treiben
und zu behaupten, daß er mit lebendigem
Leibe ſpuͤcke.

Ein Tag, wie der heutige, fieng Herr
v. G. an, nachdem er die Haͤnde gefalten
und ſie gen Himmel gebrochen hatte, ein Tag,
wie der heutige, iſt eines ſolchen Abends werth!
Ich hab dieſen Tag gelebt, und wenn gleich
viel vom Leben dieſes Tages auf die Rechnung
der zehnjaͤhrigen Entfernung gehoͤret; ich ſetze
zehn fuͤr eins — zwoͤlf Tage koͤnnte man im
Jahre von dieſer Art leben. Wer wolt’ aber
vergeſſen, daß der Tod aufs Leben folgt,
fuhr Herr v. G. fort! Der Herr v. W.
wußte nicht Worte zu finden, dem Herrn
v. G. ſeine Erkenntlichkeit zu beweiſen; denn

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[18/0024] der Adel in Curland zu bedeuten habe, und fuͤhlt’ es auch noch in den Gliedern, daß er wegen einer Grabſchrift drey Tage und drey Naͤchte wachen muͤſſen. Er dacht’ an alle Ehrenerklaͤrungen und Maulſchlaͤge, die er zu uͤbernehmen nothgedrungen worden, und an ſeine eigene Grabſchrift, die man noch le- bend auf ihn gemacht: Hier wacht der lebendig Todte. — Viele Leute pflegten dieſer Grabſchrift wegen mit Herrn Herrmann ein Geſpoͤtte zu treiben und zu behaupten, daß er mit lebendigem Leibe ſpuͤcke. Ein Tag, wie der heutige, fieng Herr v. G. an, nachdem er die Haͤnde gefalten und ſie gen Himmel gebrochen hatte, ein Tag, wie der heutige, iſt eines ſolchen Abends werth! Ich hab dieſen Tag gelebt, und wenn gleich viel vom Leben dieſes Tages auf die Rechnung der zehnjaͤhrigen Entfernung gehoͤret; ich ſetze zehn fuͤr eins — zwoͤlf Tage koͤnnte man im Jahre von dieſer Art leben. Wer wolt’ aber vergeſſen, daß der Tod aufs Leben folgt, fuhr Herr v. G. fort! Der Herr v. W. wußte nicht Worte zu finden, dem Herrn v. G. ſeine Erkenntlichkeit zu beweiſen; denn er

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/24>, abgerufen am 29.03.2024.