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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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eins aus, war es ihr so, als wenn was le-
bendiges gestorben wäre. Gott hab es se-
lig, sagte sie, und begrub es in die Erde,
die, wie sie sagte, unser aller Mutter ist.

Das ist die Weise aller guten Seelen,
bemerkt' ich, und der Herr Candidat führte
bey dieser Gelegenheit an, daß mein Vater
keinen Citronen oder Pomranzenkern in die
Erde gesteckt. Ich halte dies, hätt' er zu
ihm gesagt, für eine Sünd' in einem Lande,
wie Curland, einen Citronenbaum zu pflan-
zen. Aber die Blätter riechen schön, und
sind gut im Schnupftobak, sagt ich zum
Herrn Vater. Der Blätter wegen, erwie-
dert' er, muß man keinen Citronenbaum in
die Welt setzen. Nichts halb, lieber Freund!
und ein Blat ist kaum ein Viertel. -- Ich
sahe wohl ein, daß der Herr Candidat mei-
nen Vater bei diesem Umstande sehr unrichtig
berechnete; indessen sah ich keine Pflicht ab,
ihn auf den rechten Weg zu lenken, und hie-
durch die edle Zeit zu verlieren. Wo ist eine
Zeit, die edler wäre, als die, wo ich von
Minchens Kinderjahren erzählen hörte. Wer
ein Mädchen kennen will, frage nicht wie es
jezt ist, da es Ja sagen soll; sondern wie's
als Kind war, wo noch an kein Ja gedacht

wer-
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eins aus, war es ihr ſo, als wenn was le-
bendiges geſtorben waͤre. Gott hab es ſe-
lig, ſagte ſie, und begrub es in die Erde,
die, wie ſie ſagte, unſer aller Mutter iſt.

Das iſt die Weiſe aller guten Seelen,
bemerkt’ ich, und der Herr Candidat fuͤhrte
bey dieſer Gelegenheit an, daß mein Vater
keinen Citronen oder Pomranzenkern in die
Erde geſteckt. Ich halte dies, haͤtt’ er zu
ihm geſagt, fuͤr eine Suͤnd’ in einem Lande,
wie Curland, einen Citronenbaum zu pflan-
zen. Aber die Blaͤtter riechen ſchoͤn, und
ſind gut im Schnupftobak, ſagt ich zum
Herrn Vater. Der Blaͤtter wegen, erwie-
dert’ er, muß man keinen Citronenbaum in
die Welt ſetzen. Nichts halb, lieber Freund!
und ein Blat iſt kaum ein Viertel. — Ich
ſahe wohl ein, daß der Herr Candidat mei-
nen Vater bei dieſem Umſtande ſehr unrichtig
berechnete; indeſſen ſah ich keine Pflicht ab,
ihn auf den rechten Weg zu lenken, und hie-
durch die edle Zeit zu verlieren. Wo iſt eine
Zeit, die edler waͤre, als die, wo ich von
Minchens Kinderjahren erzaͤhlen hoͤrte. Wer
ein Maͤdchen kennen will, frage nicht wie es
jezt iſt, da es Ja ſagen ſoll; ſondern wie’s
als Kind war, wo noch an kein Ja gedacht

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[37/0043] eins aus, war es ihr ſo, als wenn was le- bendiges geſtorben waͤre. Gott hab es ſe- lig, ſagte ſie, und begrub es in die Erde, die, wie ſie ſagte, unſer aller Mutter iſt. Das iſt die Weiſe aller guten Seelen, bemerkt’ ich, und der Herr Candidat fuͤhrte bey dieſer Gelegenheit an, daß mein Vater keinen Citronen oder Pomranzenkern in die Erde geſteckt. Ich halte dies, haͤtt’ er zu ihm geſagt, fuͤr eine Suͤnd’ in einem Lande, wie Curland, einen Citronenbaum zu pflan- zen. Aber die Blaͤtter riechen ſchoͤn, und ſind gut im Schnupftobak, ſagt ich zum Herrn Vater. Der Blaͤtter wegen, erwie- dert’ er, muß man keinen Citronenbaum in die Welt ſetzen. Nichts halb, lieber Freund! und ein Blat iſt kaum ein Viertel. — Ich ſahe wohl ein, daß der Herr Candidat mei- nen Vater bei dieſem Umſtande ſehr unrichtig berechnete; indeſſen ſah ich keine Pflicht ab, ihn auf den rechten Weg zu lenken, und hie- durch die edle Zeit zu verlieren. Wo iſt eine Zeit, die edler waͤre, als die, wo ich von Minchens Kinderjahren erzaͤhlen hoͤrte. Wer ein Maͤdchen kennen will, frage nicht wie es jezt iſt, da es Ja ſagen ſoll; ſondern wie’s als Kind war, wo noch an kein Ja gedacht wer- C 3

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/43>, abgerufen am 19.04.2024.