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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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und des neuen Geschmacks in den Gärten.
Blumen, Stauden und Wälder, der Bäche, Flüsse und Seen. Alles erscheint in
einer ganz freyen Anordnung, mit der größten Abwechselung, mit einer Art von an-
genehmer Nachläßigkeit und Zerstreuung, die mehr werth ist, als die sorgfältigste
Genauigkeit. Dieses Vorbild stellt die Natur dem Gartenkünstler zur Nachahmung
vor Augen. Da er durch eben die Gegenstände, wodurch sie ergötzt, ergötzen soll,
so muß er diese Gegenstände auch in einer ähnlichen Anordnung, als er bey ihr wahr-
nimmt, erscheinen lassen. Sie ist Muster und Regel. Der Gartenkünstler kann
nur glücklich arbeiten, in so fern er ihr getreu bleibt. Ein schöner Garten ist kein
anderer, als der nach der schönen Natur mit Geschmack und Beurtheilung ange-
legt ist.

Noch eine widrige Wirkung der Symmetrie ist die Einförmigkeit und Lange-
weile, die von ihr unzertrennlich ist, und die der Bestimmung der Gärten gerade ent-
gegen steht. Alles, natürliche und künstliche Gegenstände, alles sieht sich so gleich;
keine Mannigfaltigkeit, keine angenehme Unterbrechung; alles ist auf einmal über-
schaut, auf einmal begriffen. Wir fühlen es, daß die Eindrücke bald ermatten,
alle Kraft verlieren; wir wollen beschäftigt seyn, und finden nichts, das uns mehr
rührt; wir entwinden uns der Langeweile, indem wir über den engen gesperrten Be-
zirk des Gartens hinaus in die freyen Gefilde wandeln, wo die Natur uns wieder mit
der ihr eigenen Mannigfaltigkeit reizender Scenen ergötzt.

So augenscheinlich diese Bemerkungen den Unterschied zwischen der Kunst des
Gärtners und der Kunst des Architekten machen; so ist doch fast ein Jahrhundert
verflossen, ehe man es einsehen lernte, ehe man sich von dem Irrthum, der den Gär-
ten Symmetrie zutheilte, erholen konnte. Noch jetzt, nachdem schon so manches
Licht über die Gartenkunst aufgegangen ist, nachdem man in mehr als einem Lande
das alte Vorurtheil zu stürzen sich glücklich bemühet hat, giebt es hie und da manche
sonst aufgeklärte Köpfe, die, vom langen Wahn verwöhnt, die Unrichtigkeit der
symmetrischen Gartenanlagen nicht einsehen wollen. Man hat selbst ihre Vertheidi-
gung gewagt; aber mit Gründen, die keine Prüfung aushalten. *)

Indessen giebt es doch einige Fälle, worin symmetrische Gartenanlagen eine
zuläßige Ausnahme sind; und will man solche Plätze nicht mehr mit dem Namen von
Gärten beehren, so mag man ihnen einen andern ausfinden. Symmetrie ist also
verstattet in Gärten neben oder hinter Häusern in Städten und Vorstädten, in Plä-
tzen um Paläste, in Spaziergängen des Volks.

Man
*) Man sehe unter andern: Sur la Formation des Jardins. 8. Paris 1775.
S 2

und des neuen Geſchmacks in den Gaͤrten.
Blumen, Stauden und Waͤlder, der Baͤche, Fluͤſſe und Seen. Alles erſcheint in
einer ganz freyen Anordnung, mit der groͤßten Abwechſelung, mit einer Art von an-
genehmer Nachlaͤßigkeit und Zerſtreuung, die mehr werth iſt, als die ſorgfaͤltigſte
Genauigkeit. Dieſes Vorbild ſtellt die Natur dem Gartenkuͤnſtler zur Nachahmung
vor Augen. Da er durch eben die Gegenſtaͤnde, wodurch ſie ergoͤtzt, ergoͤtzen ſoll,
ſo muß er dieſe Gegenſtaͤnde auch in einer aͤhnlichen Anordnung, als er bey ihr wahr-
nimmt, erſcheinen laſſen. Sie iſt Muſter und Regel. Der Gartenkuͤnſtler kann
nur gluͤcklich arbeiten, in ſo fern er ihr getreu bleibt. Ein ſchoͤner Garten iſt kein
anderer, als der nach der ſchoͤnen Natur mit Geſchmack und Beurtheilung ange-
legt iſt.

Noch eine widrige Wirkung der Symmetrie iſt die Einfoͤrmigkeit und Lange-
weile, die von ihr unzertrennlich iſt, und die der Beſtimmung der Gaͤrten gerade ent-
gegen ſteht. Alles, natuͤrliche und kuͤnſtliche Gegenſtaͤnde, alles ſieht ſich ſo gleich;
keine Mannigfaltigkeit, keine angenehme Unterbrechung; alles iſt auf einmal uͤber-
ſchaut, auf einmal begriffen. Wir fuͤhlen es, daß die Eindruͤcke bald ermatten,
alle Kraft verlieren; wir wollen beſchaͤftigt ſeyn, und finden nichts, das uns mehr
ruͤhrt; wir entwinden uns der Langeweile, indem wir uͤber den engen geſperrten Be-
zirk des Gartens hinaus in die freyen Gefilde wandeln, wo die Natur uns wieder mit
der ihr eigenen Mannigfaltigkeit reizender Scenen ergoͤtzt.

So augenſcheinlich dieſe Bemerkungen den Unterſchied zwiſchen der Kunſt des
Gaͤrtners und der Kunſt des Architekten machen; ſo iſt doch faſt ein Jahrhundert
verfloſſen, ehe man es einſehen lernte, ehe man ſich von dem Irrthum, der den Gaͤr-
ten Symmetrie zutheilte, erholen konnte. Noch jetzt, nachdem ſchon ſo manches
Licht uͤber die Gartenkunſt aufgegangen iſt, nachdem man in mehr als einem Lande
das alte Vorurtheil zu ſtuͤrzen ſich gluͤcklich bemuͤhet hat, giebt es hie und da manche
ſonſt aufgeklaͤrte Koͤpfe, die, vom langen Wahn verwoͤhnt, die Unrichtigkeit der
ſymmetriſchen Gartenanlagen nicht einſehen wollen. Man hat ſelbſt ihre Vertheidi-
gung gewagt; aber mit Gruͤnden, die keine Pruͤfung aushalten. *)

Indeſſen giebt es doch einige Faͤlle, worin ſymmetriſche Gartenanlagen eine
zulaͤßige Ausnahme ſind; und will man ſolche Plaͤtze nicht mehr mit dem Namen von
Gaͤrten beehren, ſo mag man ihnen einen andern ausfinden. Symmetrie iſt alſo
verſtattet in Gaͤrten neben oder hinter Haͤuſern in Staͤdten und Vorſtaͤdten, in Plaͤ-
tzen um Palaͤſte, in Spaziergaͤngen des Volks.

Man
*) Man ſehe unter andern: Sur la Formation des Jardins. 8. Paris 1775.
S 2
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[139/0153] und des neuen Geſchmacks in den Gaͤrten. Blumen, Stauden und Waͤlder, der Baͤche, Fluͤſſe und Seen. Alles erſcheint in einer ganz freyen Anordnung, mit der groͤßten Abwechſelung, mit einer Art von an- genehmer Nachlaͤßigkeit und Zerſtreuung, die mehr werth iſt, als die ſorgfaͤltigſte Genauigkeit. Dieſes Vorbild ſtellt die Natur dem Gartenkuͤnſtler zur Nachahmung vor Augen. Da er durch eben die Gegenſtaͤnde, wodurch ſie ergoͤtzt, ergoͤtzen ſoll, ſo muß er dieſe Gegenſtaͤnde auch in einer aͤhnlichen Anordnung, als er bey ihr wahr- nimmt, erſcheinen laſſen. Sie iſt Muſter und Regel. Der Gartenkuͤnſtler kann nur gluͤcklich arbeiten, in ſo fern er ihr getreu bleibt. Ein ſchoͤner Garten iſt kein anderer, als der nach der ſchoͤnen Natur mit Geſchmack und Beurtheilung ange- legt iſt. Noch eine widrige Wirkung der Symmetrie iſt die Einfoͤrmigkeit und Lange- weile, die von ihr unzertrennlich iſt, und die der Beſtimmung der Gaͤrten gerade ent- gegen ſteht. Alles, natuͤrliche und kuͤnſtliche Gegenſtaͤnde, alles ſieht ſich ſo gleich; keine Mannigfaltigkeit, keine angenehme Unterbrechung; alles iſt auf einmal uͤber- ſchaut, auf einmal begriffen. Wir fuͤhlen es, daß die Eindruͤcke bald ermatten, alle Kraft verlieren; wir wollen beſchaͤftigt ſeyn, und finden nichts, das uns mehr ruͤhrt; wir entwinden uns der Langeweile, indem wir uͤber den engen geſperrten Be- zirk des Gartens hinaus in die freyen Gefilde wandeln, wo die Natur uns wieder mit der ihr eigenen Mannigfaltigkeit reizender Scenen ergoͤtzt. So augenſcheinlich dieſe Bemerkungen den Unterſchied zwiſchen der Kunſt des Gaͤrtners und der Kunſt des Architekten machen; ſo iſt doch faſt ein Jahrhundert verfloſſen, ehe man es einſehen lernte, ehe man ſich von dem Irrthum, der den Gaͤr- ten Symmetrie zutheilte, erholen konnte. Noch jetzt, nachdem ſchon ſo manches Licht uͤber die Gartenkunſt aufgegangen iſt, nachdem man in mehr als einem Lande das alte Vorurtheil zu ſtuͤrzen ſich gluͤcklich bemuͤhet hat, giebt es hie und da manche ſonſt aufgeklaͤrte Koͤpfe, die, vom langen Wahn verwoͤhnt, die Unrichtigkeit der ſymmetriſchen Gartenanlagen nicht einſehen wollen. Man hat ſelbſt ihre Vertheidi- gung gewagt; aber mit Gruͤnden, die keine Pruͤfung aushalten. *) Indeſſen giebt es doch einige Faͤlle, worin ſymmetriſche Gartenanlagen eine zulaͤßige Ausnahme ſind; und will man ſolche Plaͤtze nicht mehr mit dem Namen von Gaͤrten beehren, ſo mag man ihnen einen andern ausfinden. Symmetrie iſt alſo verſtattet in Gaͤrten neben oder hinter Haͤuſern in Staͤdten und Vorſtaͤdten, in Plaͤ- tzen um Palaͤſte, in Spaziergaͤngen des Volks. Man *) Man ſehe unter andern: Sur la Formation des Jardins. 8. Paris 1775. S 2

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/153>, abgerufen am 29.03.2024.