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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Erster Abschnitt. Aussicht in die Gärten
raculum nennt. Vermuthlich befand sich zu Babylon ein Hügel, der in verschie-
dene Absätze getheilt und mit hohen Bäumen bekleidet war. Das Ungewöhnliche eines
solchen Gegenstandes in einem ebenen Lande erschien einer erhitzten Phantasie wunder-
bar, und die Sage machte daraus ein Wunder in der besten Form. Was dieser
Vermuthung einen Grad der Wahrscheinlichkeit mehr giebt, ist das Stillschweigen
des Herodot. Er hatte Babylon sorgfältig besucht, er beschreibt alle Seltenheiten
ausführlich; von den schwebenden oder hangenden Gärten aber schweigt er ganz.
Und nur Schriftsteller reden davon, die viel jünger sind als er.

[Abbildung]
2.
Gärten der Perser.

Die Gärten der alten Perser, die nicht wenig im Alterthum ihr Lob hatten,
verdienen allerdings diesen Namen mehr, als die zu Babylon. Es scheint aber,
daß sie mehr natürlich angenehme Plätze, mehr Gegenden voll freywillig wachsender
schöner Fruchtbäume, Pflanzen und Blumen, als Gärten gewesen, die nach einer
bestimmten Absicht angelegt worden. Das Klima und das Erdreich begünstigten
vorzüglich die herrlichen Gewächse und Früchte, die diesem Lande eigenthümlich sind.
Der Fremde, der sie auf seiner väterlichen Flur nicht gesehen hatte, ward von ihnen
desto mehr bezaubert, je mehr neu und reizend er sie sowohl für das Auge, als auch
für den Geschmack fand. Und bald war der Ruhm der persischen Gärten verbreitet.

Die

Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten
raculum nennt. Vermuthlich befand ſich zu Babylon ein Huͤgel, der in verſchie-
dene Abſaͤtze getheilt und mit hohen Baͤumen bekleidet war. Das Ungewoͤhnliche eines
ſolchen Gegenſtandes in einem ebenen Lande erſchien einer erhitzten Phantaſie wunder-
bar, und die Sage machte daraus ein Wunder in der beſten Form. Was dieſer
Vermuthung einen Grad der Wahrſcheinlichkeit mehr giebt, iſt das Stillſchweigen
des Herodot. Er hatte Babylon ſorgfaͤltig beſucht, er beſchreibt alle Seltenheiten
ausfuͤhrlich; von den ſchwebenden oder hangenden Gaͤrten aber ſchweigt er ganz.
Und nur Schriftſteller reden davon, die viel juͤnger ſind als er.

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2.
Gaͤrten der Perſer.

Die Gaͤrten der alten Perſer, die nicht wenig im Alterthum ihr Lob hatten,
verdienen allerdings dieſen Namen mehr, als die zu Babylon. Es ſcheint aber,
daß ſie mehr natuͤrlich angenehme Plaͤtze, mehr Gegenden voll freywillig wachſender
ſchoͤner Fruchtbaͤume, Pflanzen und Blumen, als Gaͤrten geweſen, die nach einer
beſtimmten Abſicht angelegt worden. Das Klima und das Erdreich beguͤnſtigten
vorzuͤglich die herrlichen Gewaͤchſe und Fruͤchte, die dieſem Lande eigenthuͤmlich ſind.
Der Fremde, der ſie auf ſeiner vaͤterlichen Flur nicht geſehen hatte, ward von ihnen
deſto mehr bezaubert, je mehr neu und reizend er ſie ſowohl fuͤr das Auge, als auch
fuͤr den Geſchmack fand. Und bald war der Ruhm der perſiſchen Gaͤrten verbreitet.

Die
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[8/0022] Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten raculum nennt. Vermuthlich befand ſich zu Babylon ein Huͤgel, der in verſchie- dene Abſaͤtze getheilt und mit hohen Baͤumen bekleidet war. Das Ungewoͤhnliche eines ſolchen Gegenſtandes in einem ebenen Lande erſchien einer erhitzten Phantaſie wunder- bar, und die Sage machte daraus ein Wunder in der beſten Form. Was dieſer Vermuthung einen Grad der Wahrſcheinlichkeit mehr giebt, iſt das Stillſchweigen des Herodot. Er hatte Babylon ſorgfaͤltig beſucht, er beſchreibt alle Seltenheiten ausfuͤhrlich; von den ſchwebenden oder hangenden Gaͤrten aber ſchweigt er ganz. Und nur Schriftſteller reden davon, die viel juͤnger ſind als er. [Abbildung] 2. Gaͤrten der Perſer. Die Gaͤrten der alten Perſer, die nicht wenig im Alterthum ihr Lob hatten, verdienen allerdings dieſen Namen mehr, als die zu Babylon. Es ſcheint aber, daß ſie mehr natuͤrlich angenehme Plaͤtze, mehr Gegenden voll freywillig wachſender ſchoͤner Fruchtbaͤume, Pflanzen und Blumen, als Gaͤrten geweſen, die nach einer beſtimmten Abſicht angelegt worden. Das Klima und das Erdreich beguͤnſtigten vorzuͤglich die herrlichen Gewaͤchſe und Fruͤchte, die dieſem Lande eigenthuͤmlich ſind. Der Fremde, der ſie auf ſeiner vaͤterlichen Flur nicht geſehen hatte, ward von ihnen deſto mehr bezaubert, je mehr neu und reizend er ſie ſowohl fuͤr das Auge, als auch fuͤr den Geſchmack fand. Und bald war der Ruhm der perſiſchen Gaͤrten verbreitet. Die

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/22>, abgerufen am 25.04.2024.