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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Erster Abschnitt. Aussicht in die Gärten
4.
Villen und Gärten der Römer.

Wenn die Griechen sich mehr an der natürlichen Schönheit und Einfalt der
Gärten ergötzten: so glaubten die Römer sich nur durch die Kunst, die Pracht und
den Ueberfluß der Villen befriedigen zu können. Bey ihnen läßt sich erst ein Stand-
ort nehmen, von welchem man einen sichern Blick in die Lustplätze des Alterthums
werfen kann.

In den Zeiten der Wildheit konnte die sanftere Empfindlichkeit für das Schö-
ne, die von stärkern Leidenschaften und Thätigkeiten übertäubt ward, noch nicht laut
genug durchdringen. Erst mußte die Begierde zur Gewaltthätigkeit und zum Raube
überwältigt, die Liebe zur Ruhe befestigt werden; und Plutarch bemerkt ausdrück-
lich in dem Leben des Numa, daß dieses bey den ältesten Römern durch nichts ge-
schwinder bewirkt worden, als durch die Cultur des Ackerbaues und die Gewöhnung
zum Landleben. Bey solchen Beschäftigungen und bey den Annehmlichkeiten des
Friedens konnten die feinern Gefühle, die zur Bemerkung und zum wahren Genuß
der Schönheit erfordert werden, den Anfang ihrer Entwickelung nehmen. Einige
Bequemlichkeit der Landhütten folgte ohne Zweifel bald nach der Befriedigung der
ersten Bedürfnisse, und mit jener blieb lange eine kunstlose Einfalt vereinigt. Dies
war auch der Charakter der Landwohnungen der ältesten Römer, ehe sie mit dem
Ueberfluß und den Künsten bekannter wurden, da sie in der villa rustica noch nicht
daran dachten, was eine vrbana seyn würde. *) Auch konnte es nicht anders seyn,
da sie nur für die Beschäftigung mit ihren Aeckern und Heerden auf dem Lande wohn-
ten, und fast kein anderes Vergnügen kannten, als was eine strenge Arbeitsamkeit
gewährt. Mit der allmähligen Ausbildung ihres Geistes, mit dem Wachsthum
des Reichthums und der Liebe zur Baukunst verfeinerte sich erst ihre Neigung zu Land-
häusern. Aber nachher und am meisten gegen das Ende der Republik fielen sie, durch
die eroberten Schätze und die Weichlichkeit fremder Sitten verleitet, auf eine Pracht
und Ueppigkeit, die, wenn auch die Politik sie nicht misbilligte, doch schon ein ge-
sunder Geschmack verwirft. Die Liebe zum Landleben artete in eine Ausschweifung
aus. Der ruhige und edle Genuß der Annehmlichkeiten der Natur ward von dem
Luxus unterbrochen. Und die Menge und der Umfang der Landpaläste raubten nicht
selten einen weiten nutzbaren Raum, der dem Pfluge gehörte. **)

Sehr
*) Varro Lib. 1. cap. 13.
**) Varro l. c. und Lib. 3. cap. 2. Horat. Lib. 2. od. 15.
Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten
4.
Villen und Gaͤrten der Roͤmer.

Wenn die Griechen ſich mehr an der natuͤrlichen Schoͤnheit und Einfalt der
Gaͤrten ergoͤtzten: ſo glaubten die Roͤmer ſich nur durch die Kunſt, die Pracht und
den Ueberfluß der Villen befriedigen zu koͤnnen. Bey ihnen laͤßt ſich erſt ein Stand-
ort nehmen, von welchem man einen ſichern Blick in die Luſtplaͤtze des Alterthums
werfen kann.

In den Zeiten der Wildheit konnte die ſanftere Empfindlichkeit fuͤr das Schoͤ-
ne, die von ſtaͤrkern Leidenſchaften und Thaͤtigkeiten uͤbertaͤubt ward, noch nicht laut
genug durchdringen. Erſt mußte die Begierde zur Gewaltthaͤtigkeit und zum Raube
uͤberwaͤltigt, die Liebe zur Ruhe befeſtigt werden; und Plutarch bemerkt ausdruͤck-
lich in dem Leben des Numa, daß dieſes bey den aͤlteſten Roͤmern durch nichts ge-
ſchwinder bewirkt worden, als durch die Cultur des Ackerbaues und die Gewoͤhnung
zum Landleben. Bey ſolchen Beſchaͤftigungen und bey den Annehmlichkeiten des
Friedens konnten die feinern Gefuͤhle, die zur Bemerkung und zum wahren Genuß
der Schoͤnheit erfordert werden, den Anfang ihrer Entwickelung nehmen. Einige
Bequemlichkeit der Landhuͤtten folgte ohne Zweifel bald nach der Befriedigung der
erſten Beduͤrfniſſe, und mit jener blieb lange eine kunſtloſe Einfalt vereinigt. Dies
war auch der Charakter der Landwohnungen der aͤlteſten Roͤmer, ehe ſie mit dem
Ueberfluß und den Kuͤnſten bekannter wurden, da ſie in der villa ruſtica noch nicht
daran dachten, was eine vrbana ſeyn wuͤrde. *) Auch konnte es nicht anders ſeyn,
da ſie nur fuͤr die Beſchaͤftigung mit ihren Aeckern und Heerden auf dem Lande wohn-
ten, und faſt kein anderes Vergnuͤgen kannten, als was eine ſtrenge Arbeitſamkeit
gewaͤhrt. Mit der allmaͤhligen Ausbildung ihres Geiſtes, mit dem Wachsthum
des Reichthums und der Liebe zur Baukunſt verfeinerte ſich erſt ihre Neigung zu Land-
haͤuſern. Aber nachher und am meiſten gegen das Ende der Republik fielen ſie, durch
die eroberten Schaͤtze und die Weichlichkeit fremder Sitten verleitet, auf eine Pracht
und Ueppigkeit, die, wenn auch die Politik ſie nicht misbilligte, doch ſchon ein ge-
ſunder Geſchmack verwirft. Die Liebe zum Landleben artete in eine Ausſchweifung
aus. Der ruhige und edle Genuß der Annehmlichkeiten der Natur ward von dem
Luxus unterbrochen. Und die Menge und der Umfang der Landpalaͤſte raubten nicht
ſelten einen weiten nutzbaren Raum, der dem Pfluge gehoͤrte. **)

Sehr
*) Varro Lib. 1. cap. 13.
**) Varro l. c. und Lib. 3. cap. 2. Horat. Lib. 2. od. 15.
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[12/0026] Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten 4. Villen und Gaͤrten der Roͤmer. Wenn die Griechen ſich mehr an der natuͤrlichen Schoͤnheit und Einfalt der Gaͤrten ergoͤtzten: ſo glaubten die Roͤmer ſich nur durch die Kunſt, die Pracht und den Ueberfluß der Villen befriedigen zu koͤnnen. Bey ihnen laͤßt ſich erſt ein Stand- ort nehmen, von welchem man einen ſichern Blick in die Luſtplaͤtze des Alterthums werfen kann. In den Zeiten der Wildheit konnte die ſanftere Empfindlichkeit fuͤr das Schoͤ- ne, die von ſtaͤrkern Leidenſchaften und Thaͤtigkeiten uͤbertaͤubt ward, noch nicht laut genug durchdringen. Erſt mußte die Begierde zur Gewaltthaͤtigkeit und zum Raube uͤberwaͤltigt, die Liebe zur Ruhe befeſtigt werden; und Plutarch bemerkt ausdruͤck- lich in dem Leben des Numa, daß dieſes bey den aͤlteſten Roͤmern durch nichts ge- ſchwinder bewirkt worden, als durch die Cultur des Ackerbaues und die Gewoͤhnung zum Landleben. Bey ſolchen Beſchaͤftigungen und bey den Annehmlichkeiten des Friedens konnten die feinern Gefuͤhle, die zur Bemerkung und zum wahren Genuß der Schoͤnheit erfordert werden, den Anfang ihrer Entwickelung nehmen. Einige Bequemlichkeit der Landhuͤtten folgte ohne Zweifel bald nach der Befriedigung der erſten Beduͤrfniſſe, und mit jener blieb lange eine kunſtloſe Einfalt vereinigt. Dies war auch der Charakter der Landwohnungen der aͤlteſten Roͤmer, ehe ſie mit dem Ueberfluß und den Kuͤnſten bekannter wurden, da ſie in der villa ruſtica noch nicht daran dachten, was eine vrbana ſeyn wuͤrde. *) Auch konnte es nicht anders ſeyn, da ſie nur fuͤr die Beſchaͤftigung mit ihren Aeckern und Heerden auf dem Lande wohn- ten, und faſt kein anderes Vergnuͤgen kannten, als was eine ſtrenge Arbeitſamkeit gewaͤhrt. Mit der allmaͤhligen Ausbildung ihres Geiſtes, mit dem Wachsthum des Reichthums und der Liebe zur Baukunſt verfeinerte ſich erſt ihre Neigung zu Land- haͤuſern. Aber nachher und am meiſten gegen das Ende der Republik fielen ſie, durch die eroberten Schaͤtze und die Weichlichkeit fremder Sitten verleitet, auf eine Pracht und Ueppigkeit, die, wenn auch die Politik ſie nicht misbilligte, doch ſchon ein ge- ſunder Geſchmack verwirft. Die Liebe zum Landleben artete in eine Ausſchweifung aus. Der ruhige und edle Genuß der Annehmlichkeiten der Natur ward von dem Luxus unterbrochen. Und die Menge und der Umfang der Landpalaͤſte raubten nicht ſelten einen weiten nutzbaren Raum, der dem Pfluge gehoͤrte. **) Sehr *) Varro Lib. 1. cap. 13. **) Varro l. c. und Lib. 3. cap. 2. Horat. Lib. 2. od. 15.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/26>, abgerufen am 28.03.2024.