Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweyter Abschnitt.
Ihr gewölbetes Dach von dicken verwachsenen Zweigen
War ein dichter verflochtener Schatten von Lorbeer und Myrte;
Und was höher noch wuchs, von starkem duftenden Laube.
Ihre Seiten umschloß in grünenden Wänden Acanthus,
Und jedwede riechende Stande; die herrlichsten Blumen,
Iris von mancherley Farben, Jasmin und Rosen erhuben
Ihre Häupter darunter empor, und flochten mosaisch
In die Wände sich ein; den Boden stickten Violen,
Krokus und Hyacinth mit reichem schimmernden Schmelze.

Mit eben der gefälligen Nachlässigkeit müssen Bogengänge, die eine Fortsetzung
oder Verbindung von mehrern Lauben sind, angelegt seyn, entbunden von aller Ueber-
ladung von Gitterwerk, der mehr natürlichen Freyheit und kleinen Wildniß des
Wachsthums überlassen, nur aufgestützt, wo es Bedürfniß, und gesäubert, wo es
Bequemlichkeit erfordert. Sträucher mit breiten und glänzenden Blättern, mit Blüh-
ten von lebhaften Farben und süßen Düften, rankende Pflanzen mit wohlriechenden
Blumen empfehlen sich hier; und zu einer vorzüglichen Verschönerung können frucht-
tragende Bäume darunter gemischt werden. Es ist ein nicht geringes Vergnügen,
unter einem kühlen Gewölbe von grünen Zweigen zu wandeln, zu sehen, wie hin und
wieder zwischen dem Gedränge der Blätter eine reifende Pfirsich, oder eine Traube
freundlich hervorlächelt, hier zum süßen Genuß einladet, dort die Erwartung auf kom-
mende Tage hinhält.

ee.
Labyrinth.

Home *) erklärte die Labyrinthe (Irrgärten, Irrgänge) für ein bloßes Ge-
tändel, und setzte sie unter den Werth der Räthsel herab; wenn auch die Gän-
ge und Hecken angenehm seyn möchten, so könnten sie doch in Form eines La-
byrinths zu nichts dienen, als zu verwirren; die Scharfsinnigkeit gebe keine Hül-
fe, den Ausgang eines Irrgartens aufzuspüren, da sie doch bey der Auflösung eines
Räthsels für ein Verdienst gelte.

Allerdings
*) Grundsätze der Kritik.
Zweyter Abſchnitt.
Ihr gewoͤlbetes Dach von dicken verwachſenen Zweigen
War ein dichter verflochtener Schatten von Lorbeer und Myrte;
Und was hoͤher noch wuchs, von ſtarkem duftenden Laube.
Ihre Seiten umſchloß in gruͤnenden Waͤnden Acanthus,
Und jedwede riechende Stande; die herrlichſten Blumen,
Iris von mancherley Farben, Jasmin und Roſen erhuben
Ihre Haͤupter darunter empor, und flochten moſaiſch
In die Waͤnde ſich ein; den Boden ſtickten Violen,
Krokus und Hyacinth mit reichem ſchimmernden Schmelze.

Mit eben der gefaͤlligen Nachlaͤſſigkeit muͤſſen Bogengaͤnge, die eine Fortſetzung
oder Verbindung von mehrern Lauben ſind, angelegt ſeyn, entbunden von aller Ueber-
ladung von Gitterwerk, der mehr natuͤrlichen Freyheit und kleinen Wildniß des
Wachsthums uͤberlaſſen, nur aufgeſtuͤtzt, wo es Beduͤrfniß, und geſaͤubert, wo es
Bequemlichkeit erfordert. Straͤucher mit breiten und glaͤnzenden Blaͤttern, mit Bluͤh-
ten von lebhaften Farben und ſuͤßen Duͤften, rankende Pflanzen mit wohlriechenden
Blumen empfehlen ſich hier; und zu einer vorzuͤglichen Verſchoͤnerung koͤnnen frucht-
tragende Baͤume darunter gemiſcht werden. Es iſt ein nicht geringes Vergnuͤgen,
unter einem kuͤhlen Gewoͤlbe von gruͤnen Zweigen zu wandeln, zu ſehen, wie hin und
wieder zwiſchen dem Gedraͤnge der Blaͤtter eine reifende Pfirſich, oder eine Traube
freundlich hervorlaͤchelt, hier zum ſuͤßen Genuß einladet, dort die Erwartung auf kom-
mende Tage hinhaͤlt.

ee.
Labyrinth.

Home *) erklaͤrte die Labyrinthe (Irrgaͤrten, Irrgaͤnge) fuͤr ein bloßes Ge-
taͤndel, und ſetzte ſie unter den Werth der Raͤthſel herab; wenn auch die Gaͤn-
ge und Hecken angenehm ſeyn moͤchten, ſo koͤnnten ſie doch in Form eines La-
byrinths zu nichts dienen, als zu verwirren; die Scharfſinnigkeit gebe keine Huͤl-
fe, den Ausgang eines Irrgartens aufzuſpuͤren, da ſie doch bey der Aufloͤſung eines
Raͤthſels fuͤr ein Verdienſt gelte.

Allerdings
*) Grundſaͤtze der Kritik.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="3">
          <div n="4">
            <div n="5">
              <div n="6">
                <pb facs="#f0076" n="72"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Zweyter Ab&#x017F;chnitt.</hi> </fw><lb/>
                <lg type="poem">
                  <l>Ihr gewo&#x0364;lbetes Dach von dicken verwach&#x017F;enen Zweigen</l><lb/>
                  <l>War ein dichter verflochtener Schatten von Lorbeer und Myrte;</l><lb/>
                  <l>Und was ho&#x0364;her noch wuchs, von &#x017F;tarkem duftenden Laube.</l><lb/>
                  <l>Ihre Seiten um&#x017F;chloß in gru&#x0364;nenden Wa&#x0364;nden Acanthus,</l><lb/>
                  <l>Und jedwede riechende Stande; die herrlich&#x017F;ten Blumen,</l><lb/>
                  <l>Iris von mancherley Farben, Jasmin und Ro&#x017F;en erhuben</l><lb/>
                  <l>Ihre Ha&#x0364;upter darunter empor, und flochten mo&#x017F;ai&#x017F;ch</l><lb/>
                  <l>In die Wa&#x0364;nde &#x017F;ich ein; den Boden &#x017F;tickten Violen,</l><lb/>
                  <l>Krokus und Hyacinth mit reichem &#x017F;chimmernden Schmelze.</l>
                </lg><lb/>
                <p>Mit eben der gefa&#x0364;lligen Nachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Bogenga&#x0364;nge, die eine Fort&#x017F;etzung<lb/>
oder Verbindung von mehrern Lauben &#x017F;ind, angelegt &#x017F;eyn, entbunden von aller Ueber-<lb/>
ladung von Gitterwerk, der mehr natu&#x0364;rlichen Freyheit und kleinen Wildniß des<lb/>
Wachsthums u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en, nur aufge&#x017F;tu&#x0364;tzt, wo es Bedu&#x0364;rfniß, und ge&#x017F;a&#x0364;ubert, wo es<lb/>
Bequemlichkeit erfordert. Stra&#x0364;ucher mit breiten und gla&#x0364;nzenden Bla&#x0364;ttern, mit Blu&#x0364;h-<lb/>
ten von lebhaften Farben und &#x017F;u&#x0364;ßen Du&#x0364;ften, rankende Pflanzen mit wohlriechenden<lb/>
Blumen empfehlen &#x017F;ich hier; und zu einer vorzu&#x0364;glichen Ver&#x017F;cho&#x0364;nerung ko&#x0364;nnen frucht-<lb/>
tragende Ba&#x0364;ume darunter gemi&#x017F;cht werden. Es i&#x017F;t ein nicht geringes Vergnu&#x0364;gen,<lb/>
unter einem ku&#x0364;hlen Gewo&#x0364;lbe von gru&#x0364;nen Zweigen zu wandeln, zu &#x017F;ehen, wie hin und<lb/>
wieder zwi&#x017F;chen dem Gedra&#x0364;nge der Bla&#x0364;tter eine reifende Pfir&#x017F;ich, oder eine Traube<lb/>
freundlich hervorla&#x0364;chelt, hier zum &#x017F;u&#x0364;ßen Genuß einladet, dort die Erwartung auf kom-<lb/>
mende Tage hinha&#x0364;lt.</p>
              </div><lb/>
              <div n="6">
                <head><hi rendition="#aq">ee.</hi><lb/><hi rendition="#g">Labyrinth</hi>.</head><lb/>
                <p><hi rendition="#fr">Home</hi><note place="foot" n="*)">Grund&#x017F;a&#x0364;tze der Kritik.</note> erkla&#x0364;rte die Labyrinthe (Irrga&#x0364;rten, Irrga&#x0364;nge) fu&#x0364;r ein bloßes Ge-<lb/>
ta&#x0364;ndel, und &#x017F;etzte &#x017F;ie unter den Werth der Ra&#x0364;th&#x017F;el herab; wenn auch die Ga&#x0364;n-<lb/>
ge und Hecken angenehm &#x017F;eyn mo&#x0364;chten, &#x017F;o ko&#x0364;nnten &#x017F;ie doch in Form eines La-<lb/>
byrinths zu nichts dienen, als zu verwirren; die Scharf&#x017F;innigkeit gebe keine Hu&#x0364;l-<lb/>
fe, den Ausgang eines Irrgartens aufzu&#x017F;pu&#x0364;ren, da &#x017F;ie doch bey der Auflo&#x0364;&#x017F;ung eines<lb/>
Ra&#x0364;th&#x017F;els fu&#x0364;r ein Verdien&#x017F;t gelte.</p><lb/>
                <fw place="bottom" type="catch">Allerdings</fw><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0076] Zweyter Abſchnitt. Ihr gewoͤlbetes Dach von dicken verwachſenen Zweigen War ein dichter verflochtener Schatten von Lorbeer und Myrte; Und was hoͤher noch wuchs, von ſtarkem duftenden Laube. Ihre Seiten umſchloß in gruͤnenden Waͤnden Acanthus, Und jedwede riechende Stande; die herrlichſten Blumen, Iris von mancherley Farben, Jasmin und Roſen erhuben Ihre Haͤupter darunter empor, und flochten moſaiſch In die Waͤnde ſich ein; den Boden ſtickten Violen, Krokus und Hyacinth mit reichem ſchimmernden Schmelze. Mit eben der gefaͤlligen Nachlaͤſſigkeit muͤſſen Bogengaͤnge, die eine Fortſetzung oder Verbindung von mehrern Lauben ſind, angelegt ſeyn, entbunden von aller Ueber- ladung von Gitterwerk, der mehr natuͤrlichen Freyheit und kleinen Wildniß des Wachsthums uͤberlaſſen, nur aufgeſtuͤtzt, wo es Beduͤrfniß, und geſaͤubert, wo es Bequemlichkeit erfordert. Straͤucher mit breiten und glaͤnzenden Blaͤttern, mit Bluͤh- ten von lebhaften Farben und ſuͤßen Duͤften, rankende Pflanzen mit wohlriechenden Blumen empfehlen ſich hier; und zu einer vorzuͤglichen Verſchoͤnerung koͤnnen frucht- tragende Baͤume darunter gemiſcht werden. Es iſt ein nicht geringes Vergnuͤgen, unter einem kuͤhlen Gewoͤlbe von gruͤnen Zweigen zu wandeln, zu ſehen, wie hin und wieder zwiſchen dem Gedraͤnge der Blaͤtter eine reifende Pfirſich, oder eine Traube freundlich hervorlaͤchelt, hier zum ſuͤßen Genuß einladet, dort die Erwartung auf kom- mende Tage hinhaͤlt. ee. Labyrinth. Home *) erklaͤrte die Labyrinthe (Irrgaͤrten, Irrgaͤnge) fuͤr ein bloßes Ge- taͤndel, und ſetzte ſie unter den Werth der Raͤthſel herab; wenn auch die Gaͤn- ge und Hecken angenehm ſeyn moͤchten, ſo koͤnnten ſie doch in Form eines La- byrinths zu nichts dienen, als zu verwirren; die Scharfſinnigkeit gebe keine Huͤl- fe, den Ausgang eines Irrgartens aufzuſpuͤren, da ſie doch bey der Aufloͤſung eines Raͤthſels fuͤr ein Verdienſt gelte. Allerdings *) Grundſaͤtze der Kritik.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/76
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/76>, abgerufen am 18.04.2024.