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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.

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Gartens bey Zelle.
Grün bekleideter Boden. Die kiesichten Gänge sind fest, bequem, und in der Mitte
etwas erhoben; und ihnen zur Seite bieten Bänke, einige von unbeschälten Birken
geflochten, die ein ländliches Ansehen haben, angenehme Ruhesitze an.

Der Garten ist seit zehn Jahren angepflanzt, und scheint jetzt seine schönsten
Tage erreicht zu haben. Die ganze Anlage ist in einem sehr reinen und anmuthigen
Geschmacke. Sie hat keine große Mannigfaltigkeit; allein das Einfache und
Ländliche, das ihren Charakter ausmacht, und worüber sich eine liebliche Hei-
terkeit verbreitet, hat so viel Reiz, die Anordnung ist so frey und so natürlich,
daß man vergißt, etwas mehr zu wünschen, als was man genießt. Es ge-
hörte ein feiner Geschmack dazu, diese Einfachheit nicht blos vorzuziehen, son-
dern sie auch gegen jeden kühnen Einfall der Mode zu schützen. Und noch
mehr als Feinheit des Geschmacks, auch eine liebenswürdige Unschuld der Seele
war es, von welcher der Prinz die Kunst lernte, sich an dieser ungeschmink-
ten Schönheit der Natur zu ergötzen.



Verzeich-
J i 2

Gartens bey Zelle.
Gruͤn bekleideter Boden. Die kieſichten Gaͤnge ſind feſt, bequem, und in der Mitte
etwas erhoben; und ihnen zur Seite bieten Baͤnke, einige von unbeſchaͤlten Birken
geflochten, die ein laͤndliches Anſehen haben, angenehme Ruheſitze an.

Der Garten iſt ſeit zehn Jahren angepflanzt, und ſcheint jetzt ſeine ſchoͤnſten
Tage erreicht zu haben. Die ganze Anlage iſt in einem ſehr reinen und anmuthigen
Geſchmacke. Sie hat keine große Mannigfaltigkeit; allein das Einfache und
Laͤndliche, das ihren Charakter ausmacht, und woruͤber ſich eine liebliche Hei-
terkeit verbreitet, hat ſo viel Reiz, die Anordnung iſt ſo frey und ſo natuͤrlich,
daß man vergißt, etwas mehr zu wuͤnſchen, als was man genießt. Es ge-
hoͤrte ein feiner Geſchmack dazu, dieſe Einfachheit nicht blos vorzuziehen, ſon-
dern ſie auch gegen jeden kuͤhnen Einfall der Mode zu ſchuͤtzen. Und noch
mehr als Feinheit des Geſchmacks, auch eine liebenswuͤrdige Unſchuld der Seele
war es, von welcher der Prinz die Kunſt lernte, ſich an dieſer ungeſchmink-
ten Schoͤnheit der Natur zu ergoͤtzen.



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J i 2
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[251/0262] Gartens bey Zelle. Gruͤn bekleideter Boden. Die kieſichten Gaͤnge ſind feſt, bequem, und in der Mitte etwas erhoben; und ihnen zur Seite bieten Baͤnke, einige von unbeſchaͤlten Birken geflochten, die ein laͤndliches Anſehen haben, angenehme Ruheſitze an. Der Garten iſt ſeit zehn Jahren angepflanzt, und ſcheint jetzt ſeine ſchoͤnſten Tage erreicht zu haben. Die ganze Anlage iſt in einem ſehr reinen und anmuthigen Geſchmacke. Sie hat keine große Mannigfaltigkeit; allein das Einfache und Laͤndliche, das ihren Charakter ausmacht, und woruͤber ſich eine liebliche Hei- terkeit verbreitet, hat ſo viel Reiz, die Anordnung iſt ſo frey und ſo natuͤrlich, daß man vergißt, etwas mehr zu wuͤnſchen, als was man genießt. Es ge- hoͤrte ein feiner Geſchmack dazu, dieſe Einfachheit nicht blos vorzuziehen, ſon- dern ſie auch gegen jeden kuͤhnen Einfall der Mode zu ſchuͤtzen. Und noch mehr als Feinheit des Geſchmacks, auch eine liebenswuͤrdige Unſchuld der Seele war es, von welcher der Prinz die Kunſt lernte, ſich an dieſer ungeſchmink- ten Schoͤnheit der Natur zu ergoͤtzen. Verzeich- J i 2

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/262>, abgerufen am 20.04.2024.